Re: Tour de France: Pyrenäen - Auvergne - Jura

von: veloträumer

Re: Tour de France: Pyrenäen - Auvergne - Jura - 11.02.19 21:03

TdF-5 Grüne Schafshügel, elegante Städte, Fiesta, Muschelbuchten, Farbenfachwerk, Schinkenbaguette und Pfefferschokolade: Baskische Streifzüge durch Navarra, San Sebastián und Labourd

Sa, 3.7. Lumbier – Urroz – Pamplona – Puerto de Belate (847 m) – Sunbilla (108 km)

Unter der klaren Sonne hat sich die Morgenluft bald aufgewärmt. Der Gegenwind soll aber den ganzen Tag bleiben. Um nicht die verkehrsreiche und schnurgerade Route der N 240 zu fahren, wähle ich die etwas längere Route über Urroz (entlang der Irati-Aue) nach Pamplona. Nur wenige Pappeln und kleine Haine lockern die Landschaft mit weiten Kornfeldhügeln auf. Auch die Orte wirken abgeschieden und reizlos, erst mit Urroz erscheint ein etwas größerer Ort, auf einem Hügel gelegen. Obwohl ich eigentlich keine Vorräte an Essbarem und gar an Wasser habe, möchte ich nicht noch durch einen aufwändigen Ortsabstecher Zeit verlieren, d.h. fast 40 Kilometer ohne Versorgungsstelle auf der Landstraße. Erst in der Mittagshitze kurz vor Pamplona bietet eine Tankstelle Erfrischungen an.

Die Anfahrt nach Pamplona über die Nordostroute macht eine direkte Weiterfahrt nach Norden möglich, ohne in die Stadt einzufahren. Obwohl ich als Radler große Städte eher meide, will ich hier doch doch einen Abstecher hinein wagen. Noch vor der Cityeinfahrt hat man einen guten Blick auf weite Teil der Stadt. Zunächst passiere ich einige wenig attrakive Hochhaus- und Wohnblockviertel. Pamplona ist auch wichtige Industriestadt, beherbergt u.a. das größte VW-Werk Spaniens. Die verkehrsreichen Boulevards in der City sind großräumig angelegt. Davon zweigen kleinere Straßen ab, ein großer Bereich davon ist Fußgängerzone. Das moderne Pamplona zeigt sich dem Besucher als elegante Einkaufsstadt.

Das Berühmteste in Pamplona ist ein verrücktes Spektakel. Eine Steinskulptur hält fest, was drei Tage später real in den Gassen der Altstadt sich abspielen soll: Junger Macho wird vom Stier verfolgt – in Massen läuft das Szenario bei der Fiesta de San Fermín ab. Was die Menschen zu einem solch ausschweifenden Stierlauf antreibt, dürfte mir immer verborgen bleiben. Bewusst hatte ich meine Fahrt über Pamplona noch auf die Zeit vor der Fiesta gelegt. Dennoch ziehen bereits Musikgruppen durch die kopfsteingepflasterten Altstadtgassen, auf Plätzen haben sich bunte und riesenhafte Großköpfe (cabezudos) versammelt, die bis an die eisernen Balkonbrüstungen reichen.

Das Leben mit aufgeregten Gesprächsrunden in den meist schattigen Gassen spielt sich vor den offen stehenden Pintxo-Bars ab, die innen einfallsreich varierte kleine Köstlichkeiten anbieten – meist an der Theke wie ein Buffet aufgebaut. Man steht mit dem Drink davor, unterhält sich und greift sich dann und wann etwas aus den kühlen, dunklen Kneipen. Zum Glück gibt es auch an den Plätzen im Freien bestuhlte Möglichkeiten, ein Bocadillo in Ruhe zu speisen, ohne dabei das Velo aus dem Auge zu verlieren. Bei dem Angebot hat man die Qual der Wahl. Um die schmackhaftesten Sachen zu genießen, müsste man sich jedoch in die dichten Gassen drängeln, was mit dem Rad aber kaum möglich ist.

Die Fahrt Richtung Norden nach Frankreich verläuft über eine verkehrsreiche Straße (Lastverkehr), ist aber durchaus reizvoll. Die Landschaft führt aus einem Tal heraus langsam nach oben mit weitem Blick über viele der grünen Bergkuppen, die das so typische und liebliche Bild der Pyrenäen zeichnen. Etwa vier Kilometer vor dem Puerto de Belate zweigt die alte Passstraße von der Schnellstraße ab, die in Teilintervallen durch Tunnels führt (keine Fahrräder zugelassen). Trotz steiler Rampe mit mindestens 10% Steigung genieße ich die Fahrt auf der ruhigen alten Passstraße durch lichten Buchen- und Lärchenwäldern, in denen sich die frühe Abendsonne goldfarben streut.

Auf der Passhöhe weiden Kühe auf einer verträumten Wiesenlandschaft, der Berg zur rechte Hand ist eine Weidekuppe mit Pferden und Schafen, Touristen wandern hinauf um weite Panoramablicke zu gewinnen. Doch auch ohne den Hügel zu erklimmen, entfaltet sich ein herrliches Panorama nach Norden hin über unzählige Bergkuppen. Bei der Abfahrt steigert sich die Wirkung noch mit der dichten Vegetation, die hier auf der Nordseite der Pyrenäen mehr Feuchtigkeit bindet als auf der Südseite. Buchen, Eichen und Edelkastanien formieren sich zu urwüchsigen, fast geheimnisvollen Wäldern. Auch die exotischen Pflanzen des Gartens beim Parque Natural Señorio de Bertiz bei Oiregi weben sich in das Bild bei der rauschenden Fahrt aus der Höhe ein – wenn auch hier ein heftiger Gegenwind eine gehörige Bremswirkung entwickelt.

Bereits im flachen unteren Teil, wo beide Straßen wieder zusammenlaufen, zweigt eine kleine Straße nach Sunbilla ab. Im silbernen Abendlicht glänzt der Rio Bidasoa, den eine Brücke zum pittoresken Ortskern hinüberspannt. Der Ort dokumentiert sehr schön die baskische Bauweise mit rotem Fachwerk. Die Häuser sind sehr solide gebaut und gepflegt, mit reichlich Blumenschmuck verschönert. Die Menschen scheinen stark auf sich selbst eingeschworen zu sein, eher abweisend gegenüber Fremden. Die ganze Atmosphäre erinnert mich irgendwie an die Schweiz. Auf der kleinen Straße, kurz vor der Einmündung zurück auf die Nationalstraße, sticht eine kurze, extrem steile Rampe (> 16%) hinauf zu einem eichenbestandenen Campinggelände, der wunderbare Ausblicke auf die Bergwelt des Tales gewährt. Im Restaurant bekomme ich ein Steak mit Pommes frites – einfach, aber ordentlich und reichlich.

So, 4.7. Sunbilla – Lesaka – Puerto de Aritxulegi (450 m) – Oyarzun – Errenteria – San Sebastián (Donostia) – Hondarribia – Hendaye – St-Jean-de-Luz (106 km)

Nach kühler Nacht breche ich auf, weiter im schattig-feuchten Tal nach unten. Nach 12 km gebe ich der schwierigeren Route über weitere, niedere Pyrenäenhügel den Vorzug, zweige nach Lesaka ab – eine sehr lohnenswerte Strecke. Auch Lesaka ist ein pittoreskes Baskendorf, mit typischen Fachwerkhäusern und einem sperrigen Verteidigungsturm im Ortskern. Es ist Sonntag und ruhig, immerhin kann ich ein bisschen Frühstücksgebäck ergattern. Ein Postkarte zeigt die klassischen Trachten, die nur drei Tage später beim Fest San Fermín mit traditionellen Tänzen zum Einsatz kommen.

Kurz nach dem Ort beginnt der Aufstieg, zunächst durch Wald, dann über einen offenen Hang, bei wechselnden Steigungsprozenten, aber nie über 8 %. Von der Passhöhe genieße ich nochmal einen Panoramablick – der letzte über die immer wieder herrlichen Pyrenäenhügel, während eine kleine Radgruppe vorbeifährt. Unten liegt ein Stausee und weiter hinten erkennt man einen Tunnel der auf einer weiteren bevorstehenden Auffahrt liegt. In der Talsohle verläuft die Straße über die Staumauer, gleich danach geht es wieder nach oben, nochmal ziemlich steil. In einer aufsteigenden Kurve liegt ein Bistro, das als Sonntagstreff bei den Einheimischen beliebt zu sein scheint. Mit einem Bocadillo stärke ich mich. Es könnte ein Genuss sein, hier in der Ruhe zu sitzen, wenn da nicht dieses unablässige Gekläffe von zwei Hunden wäre, die von zwei Höfen in der Nähe das gesamte Tal zum laut-schallenden Echo ihres Kommunikationsbedürfnisses machen. Warum wohnen Menschen in der Einsamkeit, um sich dort dann solche Lärmverbrecher zuzulegen?

Ich hatte einen weiteren längeren Anstieg erwartet, jedoch markiert der Tunnel das Ende der Steigung. Auf der anderen Seite geht es über eine gute Straße hinunter, die Dichte der Siedlungen nimmt zu. Nach einem kleinen schattigen Abschnitt am Fluss entlang fahre ich über eine offene Fläche, die Sonne stark drückend. Die Stadt Errenteria stimmt bereits auf ein großstädtisches Moloch ein, doch sind es noch einige Kilometer bis Donostia, wie San Sebastián auf baskisch heißt. Die Weiterfahrt ist von Industrie, Hafenanlagen und garstigem Verkehr geprägt. Ein Hügel erschwert nochmal den Zugang zur Stadt, dann öffnen breite Boulvardstraßen den Weg zum Meer. Gebäude und moderne Straßenlaternen-Designs geben einen sehr gepflegten Eindruck, der sich auch bei der weiteren Besichtigung bestätigt. Bevor ich jedoch mir Teile der Stadt anschaue, verweile ich an der ersten Bucht am brandenen Meer zu einer späten Mittagsrast. Ausgehend von der ersten Bucht führt vom Strandboulevard ein Pfad über den Felsen zu weniger stark besuchten Plätzen, die sich weniger zum Baden eignen (Brandung, scharfe Klippen), ab wo man sich auch nackt sonnen kann. Für eine kurze, erstmalige Atlantikdusche reicht es auch hier.

Über den Strandboulevard an der Playa de la Zurriola radele ich Richtung Altstadt. Die Buchten von San Sebastián erinnern an jene von Rio de Janeiro, zumal vom Monte Urgull auch eine Christusstatue auf beide Buchten herabblickt und auch das Menschengewimmel wohl vergleichbar ist (ohne jemals in Rio gewesen zu sein). Vorbei am Kongresszentrum geht es über die Brücke zur Altstadt. Wie die Straßenlaternen verraten auch die Brücken den Sinn für modernes Design. Den wohlhabenen Status der Stadt bestärken zahlreiche Bankgebäude, noble Geschäfte, elegante Cafes, einladende Pintxo-Bars, schmucke Restaurants und nicht zuletz die vielen flanierenden Menschen in der recht übersichtlich angeordneten Stadt. Auf der westlichen Seite der Altstadt stoße ich dann auf die zweite, noch größere, muschelförmige Bucht, die Bahia de la Concha. Sie ist im Westen wiederum durch einen Berg geschützt, dem Monte Igueldo. Eigentlich habe ich Lust auf ein Eis, muss jedoch ähnlich wie in Frankreich feststellen, dass es auch in Spanien nur wenige Eisdielen gibt. Für die angeblich besten Pintxos Spaniens (sonst in Spanien Tapas genannt) ist jetzt die falsche Zeit, zumal ich ja noch weiterfahre.

Die Ausfahrt ist dann für den Radler sehr schwierig. Ein Tunnel, für Radfahrer gesperrt, hindert die Weiterfahrt Richtung Frankreich. Der Tunnel ist, im Innern nach oben steigend und mit dichtem Verkehr, auch nicht für Wagemutige zu empfehlen. Ich suche außer dem Umweg über das verkehrsreiche Errenteria ein Alternative, frage mich zunächst erfolglos durch, weil alle nur den Tunnel als Verkehrsweg kennen (wer fährt auch schon mit dem Rad herum?). Dann weiß doch noch jemand, dass auch über den Berg noch eine Straße führt, die allerdings als Durchgangsstraße am Kreisel nicht ausgeschildert ist. So geht es nochmal kurz heftig nach oben (am Gipfelpunkt gelange ich dann auf die Straße aus dem Tunnel), bevor es in der Ebene Richtung Frankreich geht. Ich verpasse eine Abzweigung und komme so nach Hondaribbia, von wo aus das französische Hendaye zwar greifbar scheint, aber durch eine Lagune und einen Flugplatz den Weg versperrt. Ich muss die Straße wieder zurückfahren. Im quirligen Hendaye führt eine Schleife durch blumengeschmückte Gärten nach oben, wo sodann das leichte Auf-und-Ab über die Corniche Basque folgt – jene legendäre Küstenstraße der sinnlich-vergänglichen Sonnenuntergänge für Verliebte, die auch schon als Filmkulisse diente.

Rotes Fachwerk ist dann das historisch-pittoresk anmutende Bild von Ciboure, gegenüber liegend das nicht weniger schöne St-Jean-de-Luz. Da es mittlerweile dunkel wird und die bekannt eingeschränkten Schließzeiten der französischen Restaurants wieder drohend über mir schweben, beende ich die Etappe hier statt wie geplant in Bayonne. Der Campingplatz am westlichen Ortsausgang ist so schlecht wie billig. Nach meiner Rückkehr vom Essen kann ich nicht mehr duschen, Warmwasser ist ebenso Mangelware wie ein Licht in den Sanitäranlagen. Dafür mundet das Menü bei einem italienischen Franzosen umso mehr.

Mo, 5.7. St-Jean-de-Luz – Bayonne – Tarnos – Capbreton – Arnaoutchot (76 km)

Der Morgen ist verregnet, es wechselt zwischen Trockenphasen, leichtem Niesel und mäßigem Landregen. Ich schiebe eine Espressopause ein. Die Straße verläuft immer noch auf und ab, die nahen Pyrenäenberge am Horizont weisen darauf hin, dass sich hier bergiges, wenn auch bebautes Küstenland befindet. Die vermeintlich kurze Fahrt nach Bayonne dauert entsprechend länger als geplant.

Nun also Bayonne: „le capital de chocolat!“ – so wird man auch per Straßenschild empfangen. Und Bayonne, die französische Baskenhauptstadt, strahlt trotz der furchterregend dunklen Wolken lieblichen Charme aus. Die schmalen Häuser in den Gassen – Fachwerk, Putz und Fensterläden in Rot, Gelb, Blau und anderen Farben erzeugen ein schmuckes und intimes Gepräge. Dazwischen finden sich verschiedenste Geschäfte – und sie sind die besonderen: die weltbesten Chocolatiers mit den verführerischen Auslagen. Andrieu bezeichnet sein Geschäfte als l’atelier du chocolat, es gibt 70-, 80-prozentige Bruchschokoladen, nach Herkunftsländern sortiert, mit Orange, Pistazien, Kaffee, Ingwer und Pimentpeffer(!)-Aromen oder ganzen Stückchen, außerdem köstlich gefüllte Großpralinen, gar als Golfball geformt. (Mittlerweile haben sich längst solche Schokoladen bis in die deutschen Discounter verbreitet – möglicherweise eine Folge meines Großimportes dieser Tour? – Anm. 2019.) Ein anderes Geschäft ist auf Praliné und Tourone spezialisiert, noble Glastheken im Biedermeierverschnitt, Bedienung in blauen Rüschenblusen und weiß gestickten Schürzchen. Valerie et Christophe Puyodebat lassen Schokolade durch die Konche im Schaufenster laufen. Das Konchieren ist die eigentliche Kunst des Schokolademachens, sie entscheidet über die Qualität. Einen Teil der Konfiserieartikel packe ich in ein Paket. Über den Wert der Schachtel muss ich hier schweigen – es würde einem die Goldkronen aus dem Gebiss raushauen, wenn es der Kariesbefall nach dem Genuss des Ganzen alleine nicht schaffen sollte … – Diesmal bekomme ich von der Post ein Verpackung, es gilt 2 kg Obergrenze, mit ca. 15 Euro nicht ganz billig, und im vorgefertigten Format, das nur wenig Volumen erlaubt. Nach einigem logistischen Hin-und-her habe ich es immerhin geschafft, mal ein Paket von Frankreich nach Deutschland zu verschicken. Das grenzenlose EU-Vergnügen ist aber auf dem Postwege noch in weiter Ferne. Ich gönne mir noch eine andere Spezialität hier: Bayonner Schinken mit frischem Baguette – keine Soße, kein Salatblatt, keine Butter, nur so – der wahre Genuss!

Die miese Wetterlage erleichtert mir die Entscheidung, das noble Seebad Biarritz unbeachtet im Westen liegen zu lassen und meinen Ruhetagort direkt anzusteuern. Das immer noch schlechte Wetter und ein gewisses Hungergefühl trieb mich in Tarnos in ein Supermarkt-Restaurant. Hier gibt es im self service ein große Auswahl von preiswerten, gut zubereiteten Speisen. Am Ende war ich wohl überversorgt, verbrauche ich doch jetzt ohne Berge weit weniger Energie. Wieder draußen, ist es schwül-warm geworden, noch meist bewölkt, aber mit Aussicht auf Wetterbesserung. Die Fahrt durch die küstennahen Kiefernwälder kann man meist auf Radwegen zurücklegen – doch sei den schnelleren Radlern gesagt, dass man auch hier gegenüber der Straßenfahrt durch den schlechteren Untergrund (Wurzelwellen) und lästige Kreuzungen an Geschwindigkeit verliert (zuweilen auch starker Familientourismus, bisweilen mit Leihrädern von den Atlantikcamps hier).

In Moliets-et-Maa geht dann eine wenig befahrene Straße durch ein Naturreservat zum Camp Arnaoutchot, besser mit Arna bezeichnet. Das im Kiefernwald gelegene FKK-Camp ist groß genug, um das Velo sinnvoll für Fahrten zu den Einrichtungen zu benutzen – zu Fuß hat man zuweilen weite Wege zu gehen. Richtiges Nackt-Feeling kommt nur zögerlich auf, ist das Wetter doch weiterhin wenig sommerlich. Zwei Restaurants erlauben ein ordentliches Essen, ohne das Camp zu verlassen, welches allerdings generell sehr teuer ist.

Fortsetzung folgt