Re: Tour de France: Pyrenäen - Auvergne - Jura

von: veloträumer

Re: Tour de France: Pyrenäen - Auvergne - Jura - 11.02.19 21:00

TdF-2 Mandelkekse, schmale Schluchten, Gipfeltanke für Schnäppchenjäger, gelbsüchtige Ginsterteppiche: Im Dreiländerkreuz der Ostpyrenäen durch die Aude-Schlucht über die Cerdagne und Andorra in das Val d’Aran

So, 20.6. St-Paul-de-Fenouillet – Col du Linas (680 m) – Col de St-Louis (687 m) – Quillan – Col de la Quillane (1714 m) – Mont Louis (121 km)

Wer zuletzt ankommt, geht auch als Erster – nach diesem Motto ward ich auf dem Wege. St-Paul ist ein kleiner Ort und doch gleich für zwei Dinge bekannt: Es gibt einen sehr noblen, teuren Wein hier und ausgezeichnete Mandelkekse. An letzteren komme ich nicht vorbei – sie sind ziemlich hart, aber ausgesprochen delikat aromatisiert – ein ausgezeichnetes Kaffeegebäck und außerdem sehr haltbar: einige Kekse überstanden die ganze Tour sehr gut, also auch die heißen Tage.

Von heißen Tagen bin ich heute Morgen aber weit entfernt. Dunkle Wolken, ein wenig Regen und weiterhin heftiger Wind begleiten mich hinauf bis zur Einfahrt in die Gorges de Galamus. Hier ergeben sich Panoramablicke auf die Bergkette der östlichen Pyrenäen Richtung Süden. Die Wolken lassen die Gipfel jedoch nicht richtig frei werden. Dann versuche ich in die Schlucht einzufahren. Ein Schild warnt vor gefährlichen Winden. Ich lächle – schließlich fahre ich nun schon einige Zeit gegen heftigen Wind und so stark wie gestern Abend ist das wohl kaum zu toppen. – Aber weit gefehlt! – Die enge Schlucht wirkt wie ein Windkanal. Der Wind lässt mich stehen bzw. reißt mich vom Rad. Ich versuche das Rad zu schieben. Locker gehalten treibt der Wind das Rad zurück, sogar die Straße nach oben. Ich komme nicht durch die Pforte der Schlucht. Ein wenig Warten hilft jedoch. Ein windschwache Phase nutze ich, schnell die ersten 300-400m zu durchfahren, danach nimmt die Kanalwirkung wieder ab. Wenigstens entschädigt die fantastische Schlucht für das grausame Wetter.

Am Ende der Schlucht hinauf Richtung Col du Linas – ein klassischer Mittelgebirgspass mittlerer Schwierigkeit – setzt der Regen stärker ein, es bleibt allerdings fahrbar. Die grünen Pyrenäenhügel verschwinden in nieseligen durchhängenden Wolken. Die Kühe und Ziegen ertragen geduldig das ungemütliche Nass. Noch in der Abfahrt biege ich ab zum nächsten Mittelgebirgspass ähnlicher Art, bei etwas besser werdendem Wetter. Eine Ziegenherde kreuzt die Straße, jeder Hof hier bietet Ziegenkäse an. Die Ziegen sind eigentlich recht feige Tiere. Sie stellen sich den Autos etc. in den Weg, laufen dann aber auch wieder durchdrehend von dannen – meist sehr unkoordiniert. Das ist bei Abfahrten sogar gefährlich, weil sie dann nicht von der Straßen springen, sondern genau vor das Rad. Man muss also immer schon vorbremsen, um noch reagieren zu können.

Eine Brücke ist gesperrt, kein Vorbeischleichen ist möglich, sodass ich einen weiteren kleinen Berg nehmen muss. Unten in Quillan an der Aude tritt die Sonne aus den Wolken hervor und ermöglicht einen köstliches Broschette mit Poulet in angenehm wärmender Atmosphäre zu kosten. Es ist aber nur ein kurzes Intervall. Nunmehr führt die Route durch die Schlucht der Aude entlang, kurz nach Axat beginnt der spektakulärste Abschnitt der Aude-Schlucht. Die Felswände ragen unmittelbar an die Straße, ja sogar verläuft die Hälfte der Fahrbahn brückenartig über dem Fluss um überhaupt sich durch den Felsspalt zu winden. Es folgt eine lange, nur leicht ansteigende Fahrt durch die nunmehr waldreiche Schlucht. Mit dem dann steiler werdenden Anstieg durchfahre ich verschiedene Vegetationsstufen des Capcir. Unten herrscht Mischwald vor, es folgt ein ausgeprägter Buchenwald, dann zeigen sich die Wiesen mit moosüberzogenen Steinen, lichter Nadelwald mutet fast kanadisch an und schließlich öffnet sich eine Wiesenhochebene, die später nochmal von einem Nadelwaldstreifen durchzogen wird.

Auf der Hochebene ist es bitterkalt, immer noch windig und ich brauche mehrere Kleiderschichten, um überhaupt weiterfahren zu können. Ich probiere noch ein paar gazeartige karamelisierte Gebäckkreationen in Formiguères, denke auch schon mal daran die Etappe abzubrechen. Doch ein Kerl, der solche Reisen tut, nimmt auch noch weitere ungemütliche Kilometer wie hier zum Col de la Quillane in Angriff. Der letzte Teil ist nicht so steil. Auf meiner rechten Fahrtseite schweifen die Blicke über ein Tal hinüber an den Gegenhang, an dem Ski-touristische Bausünden die Landschaft in Mitleidenschaft ziehen. Sowohl im Capcir als auch in der Cerdagne auf der anderen Seite des Passes wird intensiv Skitourismus gepflegt – das treibt einem solch garstigem Sommerwetter noch zusätzlich Kälte in die Knochen.

Vom Pass aus nehme ich nochmal alle Abwehrkräfte zusammen, um die Abfahrt mit mäßigem Gefälle nach Mont Louis zu überstehen. Die Temperatur hat mittlerweile nur noch einstellige Celsiuswerte. Eigentlich wollte ich in der sommerlichen Hochebene Cerdagne zelten, um die Bergluft ausgiebig zu genießen – in Saillagouse gäbe es einen Campingplatz. Doch für mich geht es nun nicht mehr weiter. Mont Louis hat eine Wehrmauer, ist ein Fort vom Baumeister Vauban aus der Zeit Ludwig XIV, das höchst gelegene in Frankreich (1600 m). Einige charmante Restaurants und kleine Hotels liegen an den gepflasterten Straßen mit kräftigem Gefälle. Dort sind aber alle Zimmer ausgebucht. Vor den Stadttoren liegt zum Glück noch ein Hotel, in dem ich Schlaf, Trank und Speise finde. Die Kälte hat mir so zugesetzt, dass ich das Menü nicht nicht in Gänze genießen kann.

Mo, 21.6. Mont Louis – Saillagouse – Col de Puymorens (1920 m) – Port d'Envalira (2408m) – Andorra la Vella – La Seu d'Urgell/Montferrer (125 km)

Morgens schweift mein Blick über die weite, nach Westen abfallende Hochebene Cerdagne, umrahmt von Bergketten nach Norden und Süden, die teils auch noch eine magere grüne Grasschicht bedeckt. Es ist keine echte Ebene, das Gefälle ist recht kräftig und viele Hügel schaffen Mulden und kleine Täler. Im nunmehr klaren Sonnenschein zeigt die Cerdagne sich von ihrer schönsten Seite. Wiesen mit Bergblumen, Sträucher und Steine wie dahingelegte Findlinge prägen das alpine Szenario – auf der anderen Seite weiter über der Ebene ragen die Häuser des Wintersportortes Font-Romeu aus den grünen Wiesenhängen wie Fremdlinge heraus. Dort an der Nordroute befindet sich auch ein riesiger Sonnenofen, an dem ich der Südroute folgend aber nicht vorbei komme. Trotz der Sonne ist es zunächst noch ungemein kalt, langes Beinkleid unverzichtbar.

Auch Saillagouse (1320 m) auf meiner Route nach Bourg Madame ist ein Skiort, aber noch recht organisch ohne Bausünden, ja sogar mit charmanten Ortsbild. Originelle lustige bunte Figuren in der Nähe des Rathauses karikieren menschliche Schwächen ebenso wie Wanderer oder Skitouristen. An einem Rastplatz schlängelt sich plötzlich ein Panoramazug mit offenen „Cabrio“-Wagen vorbei. Mit dieser touristischen Attraktion kann man auch die Cerdagne naturnah kennen lernen – wenn man sich nicht auf einem Fahrrad quälen will. Nach der Frühstücksrast wirkt endlich die wärmende Sonne und es geht schwungvoll weiter bergab bis Bourg Madame (1148 m) mit unschönen mehrstöckigen Häuserblöcken, wie sie eher für Vororte von Großstädten typisch sind. Noch ein paar Kilometer flach bis Ur, wo die Alternativroute von Mont Louis über Font-Romeu dazustößt, beginnt nun der Aufstieg zum Col de Puymorens.

Entlang des Flüsschens Carol bleibt die Steigung mäßig. Mit 12 km/h radele ich vor mich hin, als zwei Rennprofis aus dem Stall Cofidis mit einem Begleitfahrzeug an mir vorbeiziehen. Sie fahren lockeres Trainingstempo, das ist trotzdem ungefähr doppelt so schnell wie mein Tempo. Das Tal ist trotz des stärkeren Verkehrs sehr angenehm zu fahren, die Landschaft nicht spektakulär, aber anziehend schön und mit kleinen heimeligen Ortschaften. Vor dem finalen Anstieg zum Pass – eine taloffene, lange Schleife und nicht allzu schwer – können Autos und Zug jeweils in einen Tunnel eintauchen, wodurch sich insbesondere die Fahrt nach Ax-les-Thermes verkürzt. Die Cofidis-Fahrer haben übrigens ihre Räder auf das Begleitauto geschnallt, dessen Fahrer auf seine Zöglinge wartet, die wohl einen Snack im Bahnhof sich genehmigen – ob die vor den harten Anstiegen kneifen?

Auf dem Col de Puymorens ist es unangenehm windig. Die Blicke wandern über die umliegenden schneebedeckten Bergketten, darunter die typischen grünen Wiesenhänge mit gelben Ginster durchsetzt. Nur drei Kilometer sind es abwärts bis es erneut nach Richtung Pas de la Casa in Andorra geht. Von unten trifft hier die N 22 von Ax-les-Thermes in vielen Schleifen kommend mit der von mir gefahrenen N 320 zusammen. Der Verkehr ist Richtung Andorra nun unsäglich heftig, eine Menge Schwerlastverkehr quält sich die Serpentinen nach oben. Auch landschaftlich ist die Strecke nicht besonders reizvoll, die Steigung mittlerweile allerdings recht stark. Mit der Höhenluft zusammen fällt da das Durchatmen schon mal schwer.

In Pas de la Casa (2085 m) erklärt sich ein Teil des starken Verkehrs: Die Franzosen fahren zum Einkaufen nach Andorra – billiger sind offentlich Zigaretten, Parfum etc., und insbesondere Benzin. Die Anzahl der Zapfsäulen dürfte die Einwohnerzahl des in die Bergwelt hineingeklatschten Skiortes deutlich übertreffen. Der Tunnel Richtung Andorra la Vella darf nur von PKWs benutzt werden – so muss ich die dicken Laster auch weiter auf dem Weg zum höchsten Punkt meiner Reise als Begleiter akzeptieren. Weiter über Casa liegt in den Berg hinein gebaut nochmal eine riesige Tankstellenanlage. Obwohl es schon eine gewaltige Anstrengung auf die 2408 m des Port d’Envalira bedeutet, erweist sich der Pass als doch nur gemäßigt schwierig – jedenfalls nicht vergleichbar mit der Großglochnerhochalpenstraße über 2505 m im letzten Jahr. Außer ein paar Panoramablicke auf die umliegenden Schneeberge bietet der Port d’Envalira grausam-groteske Scheußlichkeit: ein wenig einladender Gasthof, ein überdimensioniertes Hinweisschild für McDonald’s in Andorra la Vella und – zwei Tankstellen! – Man könnte meinen, dass hier die Adler zum Auftanken landen, wüsste man es nicht besser. – Oh, du Schandfleck der Bergwelt!

Ein tief eingeschnittenes Tal führt in die Hauptstadt des Zwergstaates. Hier ist kaum Platz für Häuser, dennoch haben sich die Andorraner mit der Natur arrangiert. Geradezu abenteuerlich ragen aus den Steilhängen mehrstöckige Häuser heraus, teils für den Ski-Tourismus, teils aber auch schlicht mühsam der Natur abgerungener Wohnraum. Die Häuser besitzen offenbar alle eine Doppelwand. Die Außenwand besteht aus einer dunklen Natursteinmauerwand, was ein eigenes Landschaftsgepräge bewirkt – die teils dunklen Nadelbaumhänge unterstützt. Nur wenige Bauten vermitteln allerdings Charme, dafür sind sie meist zu klotzig in die Hänge gesetzt. Ein weiteres Phänomen fällt auf: Ganz Andorra erscheint als kollektive Baustelle. Häuser werden allerorten hochgezogen und an sämtlichen Straßen rattern Baumaschinen, wirbeln den Staub auf – oder neue Straßen werden in die Steilhänge hineingezogen.

Das Bild bleibt auch in der Hauptstadt Andorra la Vella erhalten: stinkender Teer qualmt neben den Luxusgeschäften und Boutiquen, die nur über enge Barrieren zugänglich sind. Diesel- und Benzingeruch verbreitet zudem die ächzende Blechmoräne, die sich durch alle Straßen der Stadt wälzt. Durch die halbseitig im Bau befindliche Straße versucht sich ein Feuerwehrauto durchzuheulen und verebbt im Stau als trotzige Jammersirene. Trotz der schlechten Umweltbedingungen gruppieren sich charmante Cafés und Restaurants an den Verkehrsadern – sonst ist ja auch nur wenig Platz. Das beste an Andorra la Vella ist der Panoramablick, bevor man in die Stadt einfährt. Hier schaut man in den Talkessel, der sich in leicht bauchiger Weise aus dem schmalen Tal kommend öffnet und in den sich die Stadt maßgerecht einpasst, ohne auch nur irgendeine eine Fläche jenseits von Stein und Beton freizulassen. Diesen Blick bieten dauerhaft vorgelagerte luxuriöse Hotels ihren Gästen. Genau genommen handelt es sich im oberen Teil um Escaldes, die Grenze zu la Vella ist jedoch fließend, weil beide Orte untrennbar ineinander verwachsen sind.

Mein Umwerfer macht mir Schwierigkeiten und so richtig weiß ich nicht, wie ich die Schrauben drehen muss, damit es wieder flutscht. Er ist auch wackelig, müsste wohl ausgetauscht werden. Auf dem oberen Teil der Shopping-Meile (noch Escaldes) finde ich schnell einen Fahrradhändler. Er stellt mir kostenlos den Umwerfer wieder ein, rät mir aber zum Austausch nach vollendeter Tour. – Na, doch noch ein solch positives Erlebnis in Andorra! – Muchas gracias! – Der Händler verdient doch noch, denn ich kaufe ein luftiges Triathlon-Trikot. Nette Gesten lohnen sich eben.

Erleichtert lasse ich die Stadt hinter mir in Richtung Spanien. Dazwischen stehen aber noch Beamte – Zollbeamte. Ein solcher vermutet in meinem Radgepäck doch tatsächlich Schmuggelware – Zigaretten und Alkohol. Na, ob der so weiß, was ein Radler so durch die Berge schleppt? – Whiskey-Kisten und Klimmstengel natürlich, was sonst Alkoholprozente und Steigungsprozente – ist doch alles dasselbe? Er war sehr mürrisch ob der dicht gepackten Klamotten in den Taschen und soviele Landkarten, das ist ja ganz verdächtig… Irgendwann hat er ein Einsehen und wendet sich wieder Mr. McCar zu, da findet man wohl doch mehr.

Während es in Andorra noch magere 15° C war, wird es nun deutlich wärmer – Spanien hält, was es als „Südstaat“ verspricht. In la Seu d’Urgell habe ich noch über eine Stunde zur Weiterfahrt, aber der nächste Pass wartet und dort liegen keine Unterkünfte mehr. Und wie ich später sehe, ist la Seu d’Urgell ein wirklich heimeliges Städtchen mit historischen Pflastergassen. Ein früherer Camping in la Seu existiert nicht mehr, entsprechend muss ich drei Kilometer weiterfahren nach Montferrer, wo gleich am Ortseingang auf der linken Seite der Hauptstraße ein Campingplatz liegt. Vom Platz aus habe ich einen tollen Blick auf einen Hügel mit kleinem Ort und rundem Schlosstürmchen. Zwar könnte ich auch hier essen, fahre aber auch zum Besichtigen abends nochmal zurück nach la Seu. Dort genieße ich gemäß einem Reiseführertipp eine gute spanische Küche in rustikalem Ambiente („Cal Pacho“).

Di, 22.6. Montferrer – Coll del Canto (1725 m) – Sort – Llavorsi – Esterri de Aneo (86 km)

Der warmen Temperaturen dieses Jahr eher entwöhnt, wird der sonnig-heiße Tag für mich bald zur großen Belastung. Nach ein paar Kilometern beginnt der Anstieg zum Coll del Canto. Die Straße ist wenig befahren und führt durch nur wenige, völlig abweisende Dörfer. Ich habe in Montferrer versäumt, Proviant nachzulegen und muss den Tag von Resten des Vortags zehren. Nach einem heftigen Anstieg fällt die Straße wieder in eine Mulde ab, wo ein Bachlauf Erfrischung verspricht. Zwar gibt es eine Weidenabsperrung, aber ich finde durch. Es ist noch weit vor high noon, aber ich fühle mich schon gewaltig schlapp und es folgt danach Anstieg und Trockenzone ohne Flusslauf.

Den Faulpelz schließlich abgelegt, fließt der Schweiß wieder in salzigen Bächen – auch wenn die Steigung etwas moderater ausfällt als zuvor am Morgen. Nach einem Panoramapunkt mit Blick bis hin zur Sierra del Cadí geleitet mich die Straße über einen faszinierendsten Streckenabschnitte meiner Tour. Linksseitig schweift der Blick über ein Tal auf die gegenüberliegenden Berghügel mit ihren so charakteristischem Grünwiesen, immer wieder von kleinen Hainen in dunklem Grün unterbrochen und mit den weißen Tupfern der Bergziegen und Schafe tätowiert. Durch die schnell ziehenden Wolken kommt es zu verblüffenden Licht-Schatten-Spielen, die unendliche Variationen von Grün auf den Hügeln aufführen. Die Straße selbst durchschneidet ein Meer aus Ginsterblüte, dessen Gelb wie ein leuchtender Teppich meine rechsseitige Flanke ausstaffiert. Und mehr noch erfüllt das Gesträuch die Luft mit einem süßlichen Honigduft, die meine Kräfte zu beflügeln vermögen. Aus dem Gelb treten eine Reihe anderer Bergpflanzen hervor, Fingerhüte und Lippenblüttler in Rot, Rosa und Blau – eine Fahrt wie durch die Farbwerkstatt eines Malers.

Ein Radlerpaar begegnet mir noch kurz vor der Passhöhe, von der sich noch mehr wunderbare Panoramasichten eröffnen. Die anschließende Abfahrt führt ziemlich steil ins Tal und berauscht im Ginsterduft, an kuriosen Steinformationen vorbei, mit weiten Blicken ins Tal – Adrenalin pur, Momente für die sich solch riesige Strapazen wie einer solchen Tour lohnen. Im Ort Sort an dem Fluss la Noguera Pallaresa herrscht reger Betrieb – es ist ein Eldorado für Kajak- und Rafting-Begeisterte. Bei abendlichen 28 °C stocke ich erst mal mein Energiepolster auf – Brot, Dosen-Tintenfisch, Oliven, Joghurts, Obst. Entlang des Flusses bleibt die Steigung lange unerwartet leicht, ich erreiche hohes Tempo. Dies bleibt auch über Llavorsi hinaus so, nur in kleinen Stufen kommen leichte Anstiege. An einem schönen, verträumten Stausee vorbei beziehe ich schließlich bei Dämmerungseinbruch auf dem Camping am Ortseingang von Esterri de Aneo Quartier. Ordentliches Essen im Ort. Ich hätte noch Lust ein halbes Stündchen weiter zu radeln, aber nach den letzten Häusern beginnt der harte Anstieg und die Einsamkeit des Berges.

Mi, 23.6. Esterri de Aneo – Port de la Bonaigua (2072 m) – Vielha – Col du Portillon (1320 m) – Bagnères-de-Luchon (92 km)

Ich empfinde den Passanstieg heute morgen als angenehm. Nach Obst-, Oliven –und Weinanbauhängen treten immer mehr Wiesen hervor, aus den überall Wasser quillt. Nicht zuletzt ist die Schneeschmelze aufgrund des späten Sommerbeginns noch im Gange. Einige größere Wasserfälle zieren als Schweif den Gegenhang. Dann quellen die feuchten Wiesen wieder über mit Ginstergelb und Buschwindrosenrosa, dazwischen auch immer wieder Fingerhut in Blau und Rot. Auf einer langen mäandernden Straße winde ich mich nach oben, die Sonne heiß über mir. Am Pass weiden Kühe und Pferde, zieren den nahen Berghügel, dahinter im Blick die schneebedeckten Gipfel. Während der Rast an dem kleinen Imbissrestaurant treffen eine deutsche Viererradgruppe und ein weiteres Franzosenradpaar ein – beide von der anderen Seite kommend. Ich warne die Deutschen schon mal vor dem Coll del Canto, den sie auch noch angehen möchten. Auf Parkplatz und Straße machen die umlaufenden Tiere den Autofahrer den Platz streitig, was einigen gar nicht gefällt. – Tja, das ist eben Bergwelt, Mr. McCar!

Die Abfahrt ist ungemütlich aufgrund des schlechten Straßenbelags. Noch oberhalb von Baqueira lege ich nochmal eine Pause ein, weiter unten im Val d’Aran besichtige ich den pittoresken Ort Arties (was mir die Vierergruppe ans Herz legte). Hier kann man die traditionelle Bauweise an besonders gelungenen Natursteinfassaden gut studieren. Nach Vielha zieht sich der Himmel wieder zu – pünktlich zum Grenzübertritt nach Frankreich, als wäre die Landesgrenze auch eine Wettergrenze. Noch vor dem Ort Bossost geht es in engen Schleifen durch dichten Mischwald mit dicken Moosschichten zum Col du Portillon ziemlich steil nach oben. Tiefe Wolken hängen im Tal der anderen Seite, Wasserfälle rauschen, Nebeldampf raucht wie in den Tropen aus dem Wald – nur ist es merklich kühl hier. Hinab Straßenbelag eher schlecht bei starkem Gefälle. Von Bagnères-de-Luchon, Badeort, umgeben von waldreichen Berghängen, lassen sich die Gipfel nicht ausmachen – alles ist in Wolken gehüllt. Schon witterungsbedingt möchte ich nicht weiterfahren, allerdings folgt auch gleich wieder der nächste Pass und das ist ohnehin für heute zuviel der Berge. Auf dem Camping und auf dem Weg zum Essen in den Ort fröstele ich, es bleibt unangenehm kühl-feucht.

Fortsetzung folgt