Re: Wo’s Wassr koschdbar isch - Alb-Donau-Kurier

von: veloträumer

Re: Wo’s Wassr koschdbar isch - Alb-Donau-Kurier - 05.02.19 20:49

ALB-2018-08 Rottenburg – Reutlinger Alb – Zwiefalter Alb – Großes Lautertal

Fr 10.8. Stuttgart – Leinfelden – Steinenbronn – Waldenbuch – Dettenhausen – Pfrondorf – Tübingen – Hirschau – Rottenburg – Ro.-Weiler
61 km | 750 Hm

Sa 11.8. Ro.-Weiler – Ofterdingen – Mössingen – Tal (651 m) – Wasserfälle – Talheim – Salmendingen – Kornbühl-Parkplatz (780 m) – Ringingen – Melchingen – Sonnenbühl-Genkingen – Gönninger See – Sonnenbühl-Genkingen – Erpfingen – Trochtelfingen – Steinhilben – Oberstetten
87 km | 1470 Hm

So 12.8. Oberstetten – Hohenstein-Ödenwaldstetten – Ho.-Eglingen – Dapfen – Gomadingen – Würtingen – Oberer Lindenhof – Eningen – Pfullingen – Ruoffseck (780 m) – Sonnenbühl-Genkingen – Gönningen – Reutlingen-Hochschulen – Betzingen – Kirchentellinsfurt – Pfrondorf – Dettenhausen – Waldenbuch – Steinenbronn – Echterdingen – Stuttgart
124 km | 1445 Hm

Von der An- und Abfahrt bis bzw. vom Neckar aus abgesehen, steckt in dieser Tour 100 % Alb drin, der Aktionsradius überschaubar. Schon wieder plante ich Zwiefalten zu besuchen und verfehlte es erneut. Auch hier mag Faulheit am Badeplatz den Ausschlag gegeben haben. Der Gönninger See war dabei gleich zweimal Ort der zeitvergessenen Untugend. Ohne diese Exkurse läge weit mehr Potenzial für weitere Ziele drin. Fast wäre ich aber gleich gescheitert: Auf der Anfahrt am Freitag versuchte mich eine leopardenkleidgetünschte Daimlerfahrerin in Steinenbronn vom Sattel zu stoßen. Der Sieger in diesem Duell mit der Cannstatter Blechkiste hieß allerdings veloträumer. James Bond in mission weiß das bad girl sicher abzuwehren.

Am Hirschauer Baggersee überlegte ich noch, mal den Camping in Tübingen zu probieren, entschied mich doch für eine zielgerichtete Weiterfahrt. In Rottenburg, zur Stadt Gratis-Musikfest open air, hat es zwar auch einen Camping, nach schlechten Erfahrungen mit Spätankünften auf Campings in Baden und Vorarlberg nach dem Abendessen fühlte ich mich allerdings nicht mehr motiviert, diesen aufzusuchen und weilte auf einer Streuobstwiese, die nicht weit davon entfernt gewesen sein kann. Was ich schon von der Laichinger Alb berichtete, gilt auch für die Zollernalb: In Dörfern erschallt Partymusik und die Straßen werden weit in die Nacht hinein mit Raserei aufgerieben.

Kaum habe ich am Morgen den Tritt gefunden, wird es Alb global. Ein Amerikaner auf Velotour durch Teile Europas, kam aus Frankreich herüber zur Alb. D‘ Wäld dreffat sich uff d’ Alb. Sein Ziel galt München, die Routenwahl aber schlecht. Seine Karte viel zu kleiner Maßstab. Ich suchte ihn zu beraten, er versuchte es sich zu merken. Im Katzenbach-Dünnbachtal (für den Amerikaner: cat creek & small creek valley) wurde ein neues Speicherbecken, aber auch ein neuer Radweg gebaut, mal im Wald, mal wenig neben der Straße – allerdings nicht asphaltiert. Eine eher überflüssige Ausgabe von Steuergeld. Ich kenne die Strecke als ruhige Straßenpassage durch ein sanft aufgleitendes Auental. Aber die Älbler-Autos haben zugenommen, ich spüre es sogar am frühen Morgen. Mehr Verkehr, mehr getrennte Wege.

Zurück aber zur Romantik: Es zirpt ein Harfenklang durch die Luft, der Gesang ergießt sich in Liebe, Leid und Lust. So könnte es zu hören sein, steht man unter der Andreas Futters Skulptur des Heinrich von Ofterdingen, seinerzeit einer der 12 besten Minnesänger. Als Romanfigur wird er unter der Feder von Novalis um 1800 zum Sinnbild der Romantik erhoben, insbesondere in der Blauen Blume, die die Sehnsucht verkörpert und hier der Figur zu Füßen liegt. Der Stoff inspirierte weitere Schriftsteller der Romantik und auch Richard Wagner zum „Tannhäuser“. Indes bleibt die Figur Heinrich von Ofterdingen auch ein Rätsel, welches zwischen Realität und Fantasie hin- und herpendelt. Ha so äbbes dôh!

Mössingen hat hübsches Fachwerk und verwunschene Plätze, doch erschweren aufgerissene Straßen die Ortsbegehung. Gleich dahinter steigen liebliche Streuobstwiesen auf, nicht nur dem Apfel gefällst. Diese alternativ verschwiegene Route nach Talheim führt über eine kleine Passhöhe mit dem widersprechenden Namen „Tal“, unweit auch ein Bergrutsch zu besichtigen. Die Alb bewegt – und bewegt sich. Vor Talheim fahre ich rechter Hand hinauf zum Waldrand, bald wieder hinunter, wo ein Bachlauf austritt. Man kann hier hinaufwandern zum Kornbühl, doch bereits unten mit wenig Schieberei finde ich die Talheimer Wasserfälle – über moosüberwucherte Tuffsteinstufen fließende Kaskaden – wenn es denn Wasser gäbe!? Wir erinnern uns: „Wo’s Wassr koschdbar isch“ – sogar die Wasserfälle sind abgestellt. Es sprudelt nur, wenn es regnet – der ist ja umsonst, auch auf der Alb. Das Grün hier ist aber auch ohne Wasser immer noch intensiv und unterirdisch feucht gehalten.

Die Talheimer Steige lässt zwei offensichtlich unerfahrene Rennradler zu hängenden Köpfen niederkeuchen. Oben geöffnet die Waldauffahrt mit Äckern und Hainen, verteilen sich mehrere Orte um den Kornbühl, eine recht markante Kuppe von gut 880 m, gekrönt mit der St. Annakapelle, die bis ins 19. Jahrhundert Einsiedler anlockte. Berg und Kapelle zu Ehren findet sich Brunnen (mit Wasser!, aber nicht dem Tranke freigegeben), Sonnenliege für Riesen und ein Fensterblick aus Holzschnitzwerk. Drumrum einsame Felder mit auch mal kräftigen Hebungen. Sonnen- und Kornblumen gedeihen kontrastreich neben Ackerkrumme und Weizenfeld. Der Fast-Rundkurs schließt sich in Melchingen, Ursprung der Lauchert und trotz seiner nur knapp 1000 Einwohner eine Kulturhochburg der Alb. Das Theater Lindenhof erwarb sich mit vielfältigen, auch kontroversen Inszenierungen, die beachtete Gastspiele bis nach Italien und Tadschikistan einbrachten, einen mehrfach mit Preisen ausgezeichneten Ruf als ebenso heimatgebundene schwäbische Dialektbühne wie als gesellschaftspolitischer Vorhang. Einen Abend genoss ich schon mal im örtlichen Straßengasthof, noch aber wünsche ich mal eine Aufführung in diesem Theater zu erleben.

Den Badesee-Exkurs Gönningen mal ausgeblendet, wandelt der Radler wellig über die Alb-Hochfläche nach Genkingen, wo die Wasserscheide Rhein/Donau angeschrieben ist, und weiter hin nach Trochtelfingen, wo Nudelfabrik, Brauerei und mehrere Gasthöfe warten, das führende Hotel aber gar Ferienpause hat. Wahrlich ist die Alb daselbst noch nicht als Ferienregion entdeckt. So ist denn der weitere Weg von vielen geschlossenen Gastbetrieben gekennzeichnet, da ich mittlerweile Zwiefalten auch als zu weit entfernt einstufen musste. Erlösung für den knurrenden Magen schafft die Hocketse in Oberstetten – gewiss muss ich die Dorfmusi eher ertragen als genießen. Aber die Waffeln zum Nachtisch kosten nur 1 € – also koschda faschd nix.

Gefeiert wird auch noch umher irgendwo auf einem Hof oder Waldplatz, die Dorfmusi halt weit über die Ackerflächen. Das Licht am Morgen ist mal aus Silber, mal aus Gold, in Ödenwaldstetten der eingangs besagte Albkiosk, auch eine preisgewürdigte Braumanufaktur. Wo’s Wassr koschdbar isch, dôh isch d‘ Durscht fir a Kriagla grooß. Klein hingegen bekommt unweit ein eigenes Naturschutzgebiet. Eher ist es wohl ein Kinderlehrpfad zur Albnatur mit spielerischen Apparaturen. Auch Eglingen schön wie stillgeruht in der Morgenstund. Sonntagsbäcker ist da noch nicht, aber ein historisches Backhaus erinnert an alte Dorftreffpunkte zum Schwätzle machen. Anfang des 19. Jahrhundert wurde verordnet, die gefährlichen Backöfen auf Gemeinschaftsbackhäuser zu beschränken, die abseits von zentralen öffentlichen Wegen und Chausseen zu errichten seien. Ha noi, isch d‘ Alb gfährlich! Erschd a Mordhehl, dann des Milidär, jeddz no a Baggofa!

Im leichten Abschwung stehe ich bald im Großen Lautertal zwischen Wasserstetten und Dapfen – irisierende Lichtbrechungen im spiegelnden Auenglanz. Wieder ein „Albtraum“. Zum vielleicht beschaulichsten Verweilort mit Genussberechtigung an der Großen Lauter lädt das Lagerhaus ein – eine unorthodoxe Mischung aus Bistro, Café, eigener Rösterei, Chocolaterie und Seifenmanufaktur, den Biospärenprodukten der Alb besonders verpflichtet (trotzdem Kaffeesträucher und Kakaobohnen da noch nicht wachsen!). Die Öffnungszeiten richten sich an Spätaufsteher und Kaffeekränzchengänger am Nachmittag, schade. An einem Augustwocheennde wird rumdum ein Genussmarkt abgehalten, der ist just eine Woche später – schmoll. Muss ich wiederkommen, das untere Große Lautertal mit Zwiefalten bleibt ja noch in meinem Entdeckerfokus.

Die Landschaft mischt silbrig weidentränende Flussidylle und mit von dunkelgrünen Stumpen gesprenkelte Hügelhänge. Dieses aufgeräumte Landschaftsbild von Wacholderheiden erinnert ja auch ein wenig an die Zypressen-Toskana, nur schwäbisch bescheiden etwas mehr zusammengepresst. Kaum die nächste Kurve bewältigt, machen sich Pferde breit, von elegant muskulöser Statur. Kein Wunder, beherbergt das Landgestüt Marbach viele prämienwürdige Rassepferde, von denen einige die großen Rennbahnen der Welt gesehen haben, arabische Namen nicht selten. Die weitläufige Gestütsanlage selbst verdient einen kleinen Rundgang, zur Straße hin auch eine Gaststätte mit mageren Öffnungszeiten und gar eine öffentlich zugängliche Toilette. Sowas bereitet dem verwilderten Reiseradler durchaus Freude. Auf die Holzofenbäckerei Glocker musste ich hingegen noch bis Gomadingen warten. Einer der jungen Wilden hier hat sich den Food Rebellen angeschlossen. Ufschdändische mit Gschmaggswaffa! Ha noi, isch d‘ Alb gfährlich! Schnell weiter!

Allmählich entschwindet die feuchte Talidylle und die Haut brennt unter der erbarmungslosen Sonnenflut des offenen Albplateaus. Das Netz der Feld- und Radwege ist etwas unübersichtlich, aber ermöglicht manche Abkürzung gegenüber den Straßenfurten. Andere Wege machen eher einen umwegigen Knick, wie die Route über den Oberen Lindenhof. Der Körper ist erhitzt und doch jage ich ihn aus der Pfullinger Echazaue nochmal einen Albanstieg hinauf. Auch der Wald an der Auffahrt zum Sonnenbühler Ruoffseck wurde an den Rändern vielfach und weit ausgeschlagen, sodass der Schatten spärlicher beschirmt als früher. Dem vielleicht verdienten Bad am Gönninger See folgt noch eine recht charmante, eng gewundene Nischenfahrt durch Schrebergärten und Streuobstwiesen, die zwischen der Reutlinger Hochschule und Betzingen die letzten Albwellen unter den Pneu treiben. Der Neckar grüßt schon bald und Heimfahrt eilt. In Stuttgart wartet Leitungswasser vom Bodensee und koschda faschd nix.

I grieß eich, adéle, bis zur nächschde Dour uff d‘ Alb!

Bildergalerie Tour ALB-2018-08 (62 Fotos, bitte auf Bild klicken):