Re: Alpes Occidentales „PACA“

von: veloträumer

Re: Alpes Occidentales „PACA“ - 20.11.18 20:19

PACA-10 Pays des Paillons & Niçoise

Mo 10.7. St-Martin-Vésubie - Roquebillière-Vieux - Lantosque - Gorges de la Vésubie - Plan-du-Var - Les Moulins - Nice - St-André-la-Roche - Gorges de la Banquière - Tourrette-Levens - Col de Châteauneuf (628 m)
98 km | 740 Hm | 6:30 h | 15,4 km/h

AE: Bistro im self service (Tourrette-Levens): Pizza, Bier 12 €
Ü: C frei

Also Nizza – gegen Mittag. Mag die Promenade noch so schön für Radler hergerichtet sein, so ist die Einfahrt nach Nizza abseits der Meeresroute nicht vorgesehen. Der Radler, zur rechten Uferseite des Var übrigens mit Radweg bedacht (hatte ich nicht genutzt), sieht sich einem wilden Wechsel von Radwegsymbolen und Radverbotsschildern gegenüber, die einander widersprechen. Die offizielle Zentrumseinfahrt entpuppte sich dann noch als Baustellentorso, der das schwäbische Stuttgart trotz S21 wie eine schnuckelige Idylle erscheinen lässt. Weder die Hochzeit des Sommertourismus noch mehre Großveranstaltungen konnten offenbar die Stadträte von der Organisation größtmöglichen Chaos abhalten.

Alternativen zu fnac gibt es schon, die meisten der Spezialgeschäfte haben aber montags geschlossen. Besonderes Stirnrunzeln verursachte die Auskunft über einen geschlossenen Fotoladen, die mir benachbarte Ladenbesitzer gaben. Ich wollte wissen, ob Mittagspause oder ganz geschlossen montags oder überhaupt. Es gab als Auskunft alle drei Varianten! Tatsächlich hatte er nur verlängerte Mittagspause, ward aber nicht relevant für mich. Im fnac gab es sogar meine exakt gleiche Kamera – leider gibt es keine Garantiegleichheit zwischen Frankreich und Deutschland und Reparaturversuche scheiterten vor Ort ebenso wie ein letztlich identischer Software-Reset im Laden und in einem Callcenter, wo ich mit Olympus Hamburg telefonierte. Hätte ich in Summe viel Zeit sparen können, wenn ich meinem Gefühl gleich freien Lauf gelassen hätte – eine Ersatzkamera ohne Diskussionen zu kaufen. Nicht die Originalvariante (2000 €) wurde es, sondern „nur“ ein Altmodellvariante derselben Firma (600 €), wobei ich das Konvolut mit Objektiv nehmen musste – gab es doch keinen Rabatt ohne (Objektive hatte ich ja noch alle vier funktionsfähig in der Tasche).

Wäre ich meinem Instinkt gefolgt, hätte ich weniger als eine Stunde gebraucht. So aber wurde es Vorabend, ohne einen Euro einzusparen. Für eine kleine Mahlzeit bietet Nizza-Zentrum alles von Austern mit Champagner zum Gesehen-Werden bis zum Essen aus Aserbeidschan in dunklen Spelunken. Was es nicht gibt, sind einfache Bistros oder Cafés mit klassisch französischen Kleinigkeiten, wie man sie in Paris zu Hauf findet. Selbst klassische Eiscafés sind hier nicht hipp genug und müssen neumodischen Cocktailbars den Vortritt lassen.

Von einem Nachtlager hatte ich nunmehr keine Vorstellung, wo das sein könnte. Ich hoffte aber aus dem Speckgürtel zu gelangen. Das geht in Nizza zuweilen recht schnell, insbesondere auf eingeschlagener Route nach Tourette-Levens. Hat man die richtige Abzweigung nach St-André-de-la-Roche erwischt und die Autobahn unterfahren, dauert es nicht lange bis zur Gorges de la Banquière, die quasi das urbane Gewirr wie ein Fallbeil abschneidet und in erstaunliche Ruhe in Großstadtnähe reinführt. Da Tourette-Levens mit zwei Museen und Gasthof bereits weit vor dem Ort volltönende Plakatwerbung macht, malte ich mir einen schönen Abend in einem Bergort aus.



Da liegt in der Tat Tourette-Levens mit einladendem Burgberg vor dem Auge, hechelte ich hinauf und überblickte große Siedlungsgebiete weit hinüber zur anderen Talseite. Doch hier angekündigte Gasthöfe gab es nicht oder waren trostlos ohne nähere Hinweise geschlossen. Einzig verblieb ein gerade neu geöffneter Pizza-Abholservice – die Tische durfte man noch nicht benutzen. Der Betreiber wusste nicht einmal, in welcher Umgebung er arbeitet. Bis ich das erste Mäuerchen erreichte, auf dem sich die Pizza verspeisen ließ, war sie bereits erkaltet. Freiflächen sind hier trotz der ländlichen Ruhe rar – entweder zu steil oder wieder eine Villa. So kam ich zu nächtlicher Zeit noch bis auf die Passhöhe hinauf – eigentlich keine schlechte Wahl in dieser Region, die immer wieder zwischen Zersiedlung und einsamer Verlassenheit extrem hin- und herpendelt.

Di 11.7. Col de Châteauneuf - Contes - Bendejun - Coaraze - Col du Savel (972 m) - Col St-Roch (990 m) - Col de la Portè (1068 m) - Col de St-Arnoux (653 m) - Lantosque - Roquebillière
58 km | 1320 Hm | 5:53 h | 10,4 km/h

AE: RDV Vésubien: Salade Chèvre Chaud, Ente in Honigsauce, Gratin Dauphinois, Brioche m. Schoksauce & Vanilleeis, RW, Cafe 28,50 €
Ü: C Les Templiers 11,70 €

Die Folgen nicht organischer Besiedlung durch Berufspendler wirkt in viele dieser Dörfer hinein, so auch im nächsten Dorf Villevielle unterhalb der Passhöhe. Das kleine Lädele verweigerte geöffnete Ladentüren ebenso wie ein Bistro mit Café – trotz angeschriebener Offenzeiten. Abhilfe schuf erst das infrastrukturelle Zentrum Contes, in dem sich die Autos umliegender Dörfer zum Einkaufen sammeln. Es sei dazu erwähnt, dass man von Villeveille nach Contes in einem atemberaubenden Kurveneldorado heruntergleitet – eine Straßentypik, die im Paillons nicht gerade selten ist und daher immer reizvolle Touren eröffnet, auch wenn man Tagestouren von Nizza aus starten sollte.



So ist denn die fortgesetzte Route ins Vésubie-Tal ein kleiner Traum aus Kurven und Schluchtabschnitten, mit Coaraze als sehenswertes, steil über Treppen zu erschließendes Felsennest (Freirestaurant ganz oben) und Heimat eines okzitanischen Dichters und Sängers. Die Straße fällt auch mal zwischenzeitlich ab und ist daher steigungsschwankend, besonders im finalen Zug auf den Col du Savel auch mal recht steil. Jenseits vom Col de Porte darf man sich auf eine durchaus eindrucksvolle Nebenschlucht des Vésubie-Tals freuen, wobei die Straße lange weit oben verbleibt. Lantosque an der Vésubie ist wiederum lohnenswert durch die steilen Gassen zu bewandern, gleich unterhalb des Ortes gibt es auch einen Canyoning-Einstieg, der sich aber nur für Profi-Kletterer eignet.

Der Tag läuft hier noch aus in Richtung Roquebillière – Startort für die Seealpen-Fortsetzung nach dem außerplanmäßigen Nizza-Exkurs. Roquebillière wurde ja bereits mit Beginn Kapitel 8 besprochen, sodass hier jetzt wieder ein Zeitsprung stattfindet zum 20. Juli, als ich von St-Jeanette in das untere Var-Tal abgefahren bin (Ende PACA-9). Man denke sich nun vielleicht ein morgendliches Abgleiten durch die Vésubie-Schlucht ohne Bilder und erwarte den veloträumer wieder an der Brücke über den Var zwischen Carros le Neuf und La Manda bzw. etwas nördlicher in Les Moulins am Fuße des nächsten Aufstiegs.

Do 20.7. St-Jeanette - Col de Peyron (304 m) - Gattières - Carros le Neuf - Les Moulines - La Croix de Fer/Col de l'Olivier/Col de Galante (327 m) - St-Blaise - St-Antoine - Levens - Tourette-Levens - Col d'Aspremont/Col de la Prairie (530 m) - Aspremont - D14 - Falicon - Nice-Cimiez - Drap - La Pointe de Contes - Le Collet - Col de Pelletier (300 m) - Blausasc - Col de Nice (412 m) - L'Escarène - Gorges du Paillon - La Grave - Peille
92 km | 1665 Hm | 8:24 h | 10,9 km/h

AE: Pizza-R/Zelt-Imbiss (La Grave): Pizza Chicken, RW, Cafe 19 €
Ü: C frei

So sei es – das Frühstück bekam ich noch zur anderen Talseite in St-Jeanette –, dass der Weg sich gleich nach oben windet, eher mittlere Steigung. Gleich mehrere Optionen sind denkbar, je nachdem, welchen Bogen man fahren möchten zwischen Aspremont und Levens. An der Strecke, die sich im weiteren Verlauf auf und ab bewegt, in Nebentäler kurz hineinschaut, dann aber wieder in distanzierter Sicht zum Var-Tal verläuft, präsentieren sich Skulpturen einer Schäferin von Jean-Pierre Augier, der hier anbei in St-Blaise lebt. Es ist einer größeren Eintrübung aus Norden geschuldet, dass der Tag etwas an Glanz einbüßt, allerdings nur leichter Regen bis zur Küstenregion vordringt als ich von Aspremont nach Nizza abgleite. Erst gegen Abend stabilisiert sich wieder mildes Sonnenlicht.



Von Levens (ohne Ortsbesichtigung) gelange ich schnell zurück zum bereits aus den Vortagen bekannte Tourette-Levens, zur Tangente dort gleich wieder leicht hinauf nach Aspremont, daselbst auch Passhöhe. Hier treffe ich einen Radler, der sich im dortigen Hotel einquartiert hat, um Tagesrundkurse in der Nizzaregion zu absolvieren. Von Aspremont aus ergeben sich wiederum verschiedene Varianten des Nizza-Abstiegs, den man mit weiteren Querrouten hinausziehen kann. Durch die vielen Villengelände mit übermannshohen Schutzzäunen und Sicherheitsmauern hat man auf Nizza allerdings seltener Ausblick als es die Topografie hergeben würde. „Über den Dächern von Nizza“ ist also nicht nur ein Film von Alfred Hitchcock mit Grace Kelly und Cary Grant, sondern auch ein Wohlstandsprivileg von Villenbewohnern.

Ich streife Nizza nur am Rande beim Matisse-Museum, alles noch recht gut vom Stadttrubel abgeschirmt. An den verkehrsreichen Stadtrand stoße ich hier nur kurz, die Passage nach Norden bei der Autobahnbrücke kenne ich schon – nur diesmal schlage ich das breitere Tal ein in Richtung Col de Nice ein. Da es zwei parallele Straßen bis zum Abzweig in La Pointe de Contes gibt, fährt sich auch dieser Streckenteil erstaunlich idyllisch. Die folgende Route über den Col Pelletier ist nicht als Durchfahrt ausgeschrieben – Blausasc ist noch auf anderem Wege erreichbar. Diese folglich recht verschwiegene Strecke bricht sich Bahn durch Pinienwald mit angedeuteten offenen Erdschichtungen, die zwischen dem hellen Kieferngrün hervortreten – eine Art Bergsavanne. Den zweifellos lohnenswerten Umweg muss man sich aber mit einer heftigen Rampe erarbeiten. Kurz vor Blausasc gelangt man auf besser ausgebaute Straße mit Radweg (den man hier aber eigentlich nicht braucht) und passiert ein Boule-Zentrum, dass samt riesigem Zelt auch bei schlechtem Wetter Wettkämpfe mit der Nationalkugel der Franzosen erlaubt.



Blausasc ist dann ein Kleinod abseits der Transitachse über den Col de Nice, den Zusammenschluss mit der Passstraße erfolgt nur wenig unterhalb des Passes. Gleich zur anderen Seite öffnet sich schon der Blick auf L’Esacarène, dass wie auch Teile der folgenden Paillon-Schlucht durch gemauerte Eisenbahnbrücken der Pinienzug-Trasse geprägt ist. Die Paillon-Schlucht ist zwar nur eine kurze Passage bei leichtem Gefälle, beeindruckt aber mit imposantem nacktem Fels und einigen Gumpen im Flussbett.

Wähnt man sich ja eigentlich im Hinterland des metropolen Nizza und zeugen in La Grave eine große Abraumhalde mit Zementfabrik sowie eine recht umfängliche Besiedlung von Arbeitsplätzen ebenso wie von Pendlern, so setzt sich diese weiter oben bereits bemerkte Entkernung der Dörfer im Hinterland von Nizza auch hier fort. Nur wenige Dienstleister weisen bescheidene Öffnungszeiten aus, Gastronomie ist keine vorhanden (selbst in L’Escarène war das Angebot dürftig, aber vorhanden) und ersatzweise auch hier ein mobile Billiglösung: In einem Zelt werden mit angedocktem Imbisswagen laut Karte diverse Gerichte angeboten, Pizza zum Mitnehmen, aber auch zu Tisch. Letztlich ist das Angebot dann doch nur auf Pizza beschränkt – immerhin mit Sitzgelegenheit und einem Glas Wein. Auch hier fährt aber eher der moderne Stadtfranzose mit Auto vorbei und nimmt den Hefefladen im Karton mit nach Hause. Vorbei das Treffen der Dorfgemeinschaft in der gemeinsamen Lokalität, das Schwätzchen mit den anderen Bewohnern des Ortes bei Wein, Terrine und Entenbrust.

Das Schicksal zum Tage bei Tourette-Levens wiederholte sich hier auf eigenartige Weise noch weiter hin auch zur Nacht. Wieder konnte ich keinerlei Freifläche finden, in der nunmehr steilen Auffahrt nach Peille reihten sich in die Steillagen immer wieder Villengelände samt kläffenden Hundebestien ein – bis hinein in die Spitzkehrenausläufe. So trug es mich nicht ohne Schweiß im Mondlicht noch ganz nach oben nach Peille, wiederum ein Schwalbennest, trutzig in den Berg gebaut, mit dem stillen Charme nostalgischer Dorfidylle.



Fr 21.7. Peille - Col des Banquettes (741 m) - Col St-Sébastiene près Sainte-Agnès (605 m) - Ste-Agnès - Col de la Madone de Gorbio (927 m) - Col de St-Pancrace (711m) - Col de Guerre (555 m) - La Turbie - Col d'Eze (512 m) - Col des 4 Chemins (327 m) - Col de Villefranche (149 m) - Villefranche-s-Mer - Cap Nice - Nice
57 km | 800 Hm | 4:38 h | 12,2 km/h

AE: Casa Nizza: Muscheln in Weiweinsud, Kesselfleisch (Nizza-Spez.), Nudeln, Fleischfarce, eingelegtes Gemüse/Zweibeln/Pilze, Salat, Ananascarpaccio m. Ananassorbet, RoséW 34,50 €
Ü: Hostal Villa Saint Exupéry 32 oFr

Sa 22.7. Nice - Col des 4 Chemins (327 m) - La Trinité - Laghet - La Turbie - Cap d'Ail - Beaulieu-s-Mer - Col des 4 Chemins (327m) - Col de Villefranche (149 m) - Nice 20:05 || per Bahn || Paris-Austerlitz 7:38 h (So)
53 km | 940 Hm | 4:30 h | 11,7 km/h

AE: Woody’s Diner (Nice): Burger „Basque“, Pommes, Bier 22,10 €

Ganz davon fasziniert war der Chansonnier Leo Ferré, der sich häufig in dem Dorf aufhielt, ja ihm ein Lied-Hommage widmete: Peille (5:19 min.). Das Restaurant, in dem er gerne Gast war, verfügt allerdings auch nur über sehr ausgewählte Öffnungszeiten – keine Frage, dass die örtliche Bäckerei es nicht besser eingerichtet hat. Das ist nicht mal die Regel, sondern an bestimmten, nominell vermerkten Tage der Fall – ausgerechnet hatte ich mal wieder einen solchen Tag erwischt.

Pinienwald und immer wieder an Straße aufrückende Felsen begleiten den weiteren Weg mit zunächst ausgiebigen Panorama nach Norden. Bevor man das Wegekreuzplateau vom Col de la Banquette erreicht, durchfährt man noch einen kühlenden hellgrünen Laubwald. Hier nun weitet sich der Blick hin zum im Dunst liegende Meer, mehrere Schotterpisten zeigen Alternativen, sowohl von Peille, als auch nach Süden oder Südost in die Bucht von Menton, nach Norden darf man sogar noch ein Stück Asphalt in Anspruch nehmen, wenn man zum Col de Braus aufsteigen wollte (weiter Sospel/Col de Turini erreichbar). Die hier unmittelbar doch reizvollste Strecke ist die Straße nach Ste-Agnès, auf der sich aus der mediterranen Vegetation das Bild eines Dorfes wie ein Gemälde herausschält.



Ste-Agnès bezeichnet sich als das höchstes Küstendorf Europas, der historische Dorfkern liegt dabei etwa auf 800 m Höhe, wird aber nochmal von einem Burgberg überragt. Die offiziellen Gemeindegebiete reich von fast Meereshöhe bis auf über 1200 m. Die Burg deutet bereits die strategische Lage an, die dem Ort auch militärisch zugedacht wurde, noch in den 1930er Jahren wurde hier die südlichste Anlage der Maginotlinie mit Bunkern und unterirdischen Gängen eingerichtet. Heute zeigt sich der Ort in vollendeter Lieblichkeit und verlockt mit dem Prädikat schönster Dörfer Frankreichs als die Perle des Paillons-Landes. Der verwinkelte Gang durch die Treppengassen führt etwa zu Arpeca Spatium, ein Atelier von Frédéric Pélissier und Chrystine Cacciaguerra, die hier lichtdurchflutetes Kunsthandwerk von gefärbten Glas schaffen – vornehmlich als Lampen und Spiegel – von großem Wohnaccessoirs bis hin auch zu kleinen Schmuckkästchen oder auch Schmuck.

Von der gedimpten Lichtmalerie geht es alsbald weiter ins gleißende Sonnenlicht, gestreut vom Küstendunst, kraftvoll reflektiert von hellen Kalkfelsen, durch die man auch hindurchtaucht. Küstenwolken schaffen hier sogar ein eigenes Mikroklimat, unterbrechen für kurz den Sonnentag rundum, weil sie sich an den Graten des Bergmassivs verfangen. Zur Passhöhe findet sich mal wieder ein Devotional aus der Radsportszene. Der Col de la Madone diente Profis wie Tony Rominger und Lance Armstrong gerne als Trainingsareal – mehr noch galt der Pass als Gradmesser für seine Form, von ihm zu bestimmter Zeit gemessene Laktatwerte an diesem Berg sollen ihm hellseherische Fähigkeit ob seines Toursieges verliehen haben. Vielleicht war es aber auch nur die rechtzeitige Lieferung von der Hausapotheke, die er am Col de la Madone feierte?



Nochmal wendet sich Straße in den Talkessel von Peille, die Sicht weit hinunter bis zur Zementfabrik in der Talsohle. Weniger spektakulär der nun zweite Durchstoß zur Küstenseite. Weit oben ein gar größeres Häusermeer als unten an den Küstenstreifen, weil sich Monaco geschickt hinter dem Berg versteckt. Näher betrachtet überragt ein monumentales Bauwerk sogar die hiesige Kathedrale. Ist Rom nur 20 km von Nizza entfernt? – Ich lese nach, Kaiser Augustus ließ eine mächtige Siegessäule in La Turbie erreichten – als Zeichen des Sieges über die Alpenvölker. Na, wenn da Augustus nicht mal meine Sympathien eines Alpenradlers verspielt hat?

Ich darf hier vorwegnehmen, dass ich am morgigen letzten Tag La Turbie nochmal erreiche, einige Gassen erwandere in dem arg betriebigen Ort, wohl eine Art Balkon für die Monegassen, aber auch nahe der Transitachse gelegen, der Autobahn, die hier näher aus dem Hinterland ans Meer rückt. Die Küstenseite in Richtung Nizza verursacht leicht Verwirrung ob seiner Kleinteiligkeit, aber auch ob einiger namentlichen Überschneidungen. Die sog. Corniche gibt es hier nämlich gleich dreifach. Während die Basse Corniche zuunterst am Meer entlang führt, erhebt sich die Grande Corniche weit oben mit den besten Panoramablicken, diese auch durch La Turbie führt und der ich zunächst weiter in Richtung Nizza folge. Das Highlight dieser Strecke ist vielleicht der Blick auf den Felsenort Èze, der wiederum auf der zwischenliegende Moyenne Corniche thront. Letztere habe ich meist nur gekreuzt oder bin kleine Teile unmittelbar bei Nizza gefahren. So war ich auch nicht in Èze selbst. Zwar gibt es Verbindungstraßen zwischen den Corniches, aber auch nicht viele. Fährt man etwa von der Grande Corniche nach Èze runter, führt dort keine weitere Straße hinunter nach Èze-Bord-sur-Mer.



Es musste ja noch ein Meerbad sein, bevor ich mich auf das städtische Nizza einlassen wollte. Wegen der doch schlechten Zugangsmöglichkeiten etwa am Cap de Nice ließ mich mal ausnahmsweise an dem Massenstrand an der Promenade des Anglais nieder. Sogleich durfte ich mit meinem Weinkorkenzieher-Opinel ein paar Muslime beglücken, die sonst an ihren Wein nicht rangekommen wären – von dürfen war eh keine Rede.

Überraschend einfach fand ich Unterkunft gleich im ersten Hostel von dreien, die mir bei der Touristinfo in Fußweite zum Place Masséna angegeben wurde (die offizielle Jugendherberge wiederum liegt eher zentrumsfern am Berg der Corniche Moyenne). Das Ambiente der Herberge ist sehr angenehm und mit zahlreichen Kunstdrucken gestaltet, sogar noch etwas edler als die Herberge zu Anfang der Tour in Marseille. Nur ein paar Meter sind es zu Lokalitäten, wo ich noch vergnüglich Speisen genießen konnte, nachdem ich ebenfalls unproblematisch die Karte für das Konzert beim Jazzfestival Nizza erworben hatte.



Es waren nun nochmal nur ein paar Meter bis zum Eingangsareal zu den Bühnen an der Place Massèna, die mich ins Verderben ritten. Das Sicherheitspersonal verweigerte den Eintritt mit einer Kamera. Nach zähen Verhandlungen wollte ich schließlich die Kamera abgeben, nicht aber die Tasche mit den Objektiven, Geldbeutel, Windjacke etc. Bei der erneuten Diskussion mit einer Dame am Abgabetresen sprang der erste Kontrolleur erneut heran, bedeute mir mich rauszuschmeißen und riss die Tasche über den vom TIsch, sodass bei der Schleuderbewegung der Magnetverschluss aufriss und die Kamera zu Boden krachte. Das Display war komplett zersplittert und unbrauchbar. Kleine Schäden an der Sonnenblende (gerissen) und am Objektiv (kleine Delle) kamen hinzu. Zwar schien die Kamera weiterhin mit Sucher zu funktionieren, jedoch war ich mittlerweile mental so aufgewühlt, dass ich der Verzweiflung nahe war. Ein Unrechtsbewusstsein des Personals war nicht zu erkennen, im Gegenteil verhielt es sich weiter aggressiv, ich müsse die Sicherheitszone sofort verlassen. Das war jetzt die Entscheidung, ob überhaupt der Konzertbesuch noch Sinn machte. Da konnte ich aber das ohnehin nur halbe Konzert mit Herni Texier gar nicht richtig genießen, und selbst der inbrünstige Kamasi Washington vertrieb nur langsam meinen Groll. Übrigens: Hunderte von Handykameras klickten dann, drängten sich nah an die Bühne. Was nun macht den Unterschied?

Fotografierverbote hat man meistens den sog. Popacts zu verdanken, deren Managements über lizensierte Fotografierrechte für ihre Künstler verfügen. In den ärmeren Schichten der Jazzgemeinde sind die Künstler eher froh um jedes Bild, das von Ihnen geschossen wird und möglicherweise noch in einer Zeitschrift erscheint. Ein Akkreditierungsgesuch ist für mich aber aus mehreren Gründen nicht geeignet, u.a. steigen bei den Festivals da schnell die Erwartungen an Berichterstattung. Mit dem Eintritt hatte man automatisch Zutritt zu zwei Bühnen, wobei die eine poppiger bespielt wurde (u.a. Myles Sanko, Fatoumata Diawara/Lamomali). Die räumliche Trennung ist allerdings akustisch nicht ausreichend, überlagern sich gerne die lauten E-Bässe der Popbühne mit leisen Spielarten auf der Jazzbühne, die übrigens ein amphitheatrisches Rund bildet, was allerdings kein historisches Gestein ist.



Zum nächsten Morgen habe ich dann den Schaden bei der Polizei gemeldet, was über ein mehrsprachiges Alt-PC-Gerät anhand von unzureichend ausgedachten Fragen erfolgt. Letztlich scheitert eine richtige Anzeige an den unzureichenden Französischkenntnissen meinerseits bzw. den Fremdsprachenkenntnissen der Franzosen. Die Meldung ist dafür gedacht, dass die Hausratversicherung etc. zahlt, derer ich aber überhaupt keine abgeschlossen habe. Schuldige werden dabei nicht ermittelt. Letztlich darf ich den Schaden doch noch als geringfügig vermerken, fiel die Reparatur von Olympus günstiger aus als erwartet (ca. 100 €). Eher irritierend, dass sich meine Schubladen mit immer mehr Ersatzkameras füllen, was ja nicht diesem Vorfall zuzuschreiben war.

Natürlich ließ der Ärger nur langsam nach. Durch die morgendliche Verspätung wollte ich auch von ambitionierten Zielen absehen, den Tag nur noch mit kleiner Runde und Meerbad ausklingen lassen. Dazu nahm ich einen Bergübergang, der sich schon östlich des Observatoriums nach La Trinité ergibt. Dabei fällt man jenseits der städtischen Passhöhe durch idyllisches Naturgebüsch bei extrem steilen Gefälle hinab. Das kleine urbane Intermezzo in La Trinité weicht alsbald wieder einem ruhigen Talverlauf, der gegen Ende kräftiger ansteigt, um nach La Turbie zu gelangen.



Der Tag verströmte weniger Dunst, was die Panoramasichten auf das Meer noch eindrücklicher machten. Über die Serpentinentraße ist bald die Basse Corniche erreicht. Badegelegenheiten sind zuweilen etwas abgeschnitten durch die Bahnlinie, für die Geheimbuchten muss man etwas verwegene Zugänge suchen. Für ein krönendes Abschiedsessen erwies sich dann die Bahnhofsgegend als ungeeignet. Hier hat sich Globetrotterküche breit gemacht und was kann da auf den Tisch kommen? – Richtig: ein Hamburger! Mit Bier, versteht sich.

Das war Oktzitanien im mediterran-alpinen Südosten von Frankreich im Jahre 2017 – ein weiterer Mosaikstein in der okzitanischen Fortsetzungsgeschichte – meist ein Traum, nur selten ein Alptraum und in jedem Fall mehr als eine Reise wert, wenn es schon nicht das ganze Leben lang sein darf – Gott, wo hast du deine Menschen so willkürlich ausgesetzt ohne sie zu fragen?

Heimreise (nicht Teil des Berichts/der Statistik!):
So 23.7. Paris Gare d'Austerlitz - Paris Gare de l'Est 10:13 h || per Bahn || 13:12 h Strasbourg - Bischheim - Le Wantzenau - Drusenheim || Fähre || Greffern - Kriegersee - Rheinmünster-Söllingen - Rastatt 19:34 h || per Bahn || 20:58 h (+15) Stuttgart
68 km | 185 Hm | 3:39 h | 18,5 km/h

Bildergalerie PACA-10 (143 Bilder):




E N D E schmunzel