Re: La Grande Boucle du Doubs

von: veloträumer

Re: La Grande Boucle du Doubs - 14.11.17 19:18

La Grande Boucle du Doubs I (Est/Nord)
Elsgau – Sundgau
feat. Maître Fromager et Affineur Bernard Antony, Clos du Doubs, St-Ursanne, Porrentruy, Source d'Ill


14.-16.5.2016 | 3 Tage | 325 km | 4565 Hm

Sundgau – Zwischenspiel mit versteckten Genussmomenten

Streng gewertet ist diese 3-tägige Pfingstreise nicht mehr als ein Tagesausflug in den Jura, der Rest entfällt auf An- und Abreisewege durchs Sundgau, jene hügelige Zwischenlandschaft zwischen Oberheinebene, Elsass, Vogesen, Jura und Burgund – meist in den Orten bereits mit elsässischem Fachwerk hübsch zurecht gemacht, touristisch aber weniger besucht. Im Osten des Sundgaus, also Basel-Umgebung, finden sich weniger der Teiche, die typisch den Karpfenbestand fürs Sundgau sichern samt mancher Legende ob seiner goldenen Farbe in frittierter Form (Pays de la Carpe Frite). Es gibt hier zahlreiche Alternativen zu radeln, deren attraktivste ich bereits auf meiner Großen Juraprüfung gefahren bin (Burg Landskron, Lützeltal). Weitere Anknüpfungspunkte zum Sundgau (Belfort, Altkirch) gibt es in meinem Vogesen-Sammler Vogesen-Tripel 2012 & die Folgen (Tour I/Petit Ballon). Erster und dritter Tag lassen sich natürlich auch miteinander verbinden und anders kombinieren. Es seien daher die besonders lohnenswerten Routen und Ziele zusammengefasst, gleich mit dabei auch die Sundgau-Wege vom Schlusstag der zweiten Reise berücksichtigt.



Mit einer Burgruine wartet Ferrette auf, deutlich oberhalb des Ortes, ab Torbogen nicht mit Rad zu erkunden, nur zu Fuß. Die Besichtung der Ruine fällt auf den Schlusstag der zweiten Reise, ich fuhr aber bereits auf der ersten Reise durch den Ort. Erklärungen zur Historie sind auch in Deutsch auf dem frei zugänglichen Gelände vorhanden, weite Ausblick vor allem in den flachhügeligen Sundgau, zur anderen Seite auf die erste Juraerhebung. Die Gründung der Burg Ferrette (Hohenpfirt) entsprang um 1100 der Grafschaft Mömpelgard, wie weite Teile von Elsass und Sundgau einst Herrschaftsgebiet des Hauses Württemberg waren. Ferrette stieg zunächst zu einer mächtigen Grafschaft auf, verlor dann aber zunehmend an Bedeutung, als sich die Machtzentren nach Altkirch und Thann verschoben. Im 14. Jahrhundert wechselte Ferrette in die Habsburger Machtsphäre und wurde an verschiedene österreichische Adelshäuser belehnt. Mit dem Westfälischen Frieden 1648 änderte sich der Herrschaftsraum erneut zur französischen Hoheit. Nach Jahrhunderten adeliger Herrschaft fand auch die Burg von Ferrette ihr Ende im Geist der französischen Revolution 1789, als Teile der Burg niedergebrannt wurden und den königlich eingesetzten Vögten ein Ende bereitete. Ferrette ist auch als Ort recht charmant um den Burgberg gebaut, innerorts kann man zwischen gemäßigtem Anstieg im weiten Bogen auf der Straße wählen oder Steilrampe über historisches Pflaster.



Eine besondere Adresse gibt es in Vieux Ferrette, das entgegen seines Namens weniger historisch anmutet als Ferrette selbst, tatsächlich aber der ältere Ort ist. An einem Ortszipfel des also eher langweiligen Dorfes befindet sich das Geschäft mit kleinem Restaurant von Bernard Antony, auch als Käsepapst bezeichnet und einer der honorigsten Käsekenner in Frankreich, wo das ja eine olympische Disziplin ist. Die Käsesorten sind weniger Lokalspezialitäten, sondern mehr ausgewählte Stücke aus ganz Frankreich – pasteurisierte Milch ist dabei tabu, aromatische Hochkultur gewiss – für geübte Gaumen ein wahrhaftiges Erlebnis. Der kleine familiäre Laden floriert auch wegen Schweizer Publikumsverkehr, denn die Preise sind hoch. Das kleine Restaurant bietet stilvolle Bewirtung, sodass man eine Käseprobe mit Weinbegleitung genüsslich zelebrieren kann. Wem es nur um den Käseeinkauf geht, kann sich auch informieren, wann und wo er einen Stand auf den umliegenden Märkten bereit hält, in Altkirch auf jeden Fall.



Von Ferrette aus erreicht man auch einen weiteren Grenzort zwischen Sundgau und Jura – Winkel. Lohnenswert der Weg dorthin von Courtavon (immerhin zu Saisonzeiten ein Camping) über das hübsche, von einem Dorfbach durchflossene Levoncourt, aber auch der Weg über Liebsdorf empfiehlt sich und hält sein Namensversprechen. Winkel mag jetzt keinen spektakulären Anblick bieten, doch sollte man den Ort komplett durchradeln und zum Schluss noch einen kleinen Anstieg in Kauf nehmen. Man gelangt zur Source d’Ill – liebevoll, mit künstlerisch erotisch-geschwungen modellierten hellem Stein in Szene gesetzt. (Tatsächlich spielt die Skulptur von Anne Rochette auf die hügelige Landschaft des Sundgaus, aber auch auf den weiblichen Charakter an, der Quellen in der Volkskultur zugedacht wird.) Ein Platz zum Ausruhen und Enspannen.

Eine asphaltierte Steilrampe lässt sich noch weiterfahren zu einer Höhe (Bildstoeckle), und weiter per Stichstraße zu einem Ausflugslokal. Mountainbiker kommen auch quer über den Berg und können weitere Varianten erschließen. Zwischen Ill-Quelle und Bildstoeckle befindet sich auch der Marokkanerweg, in Teilen identisch mit der Straße. Es waren einst Marokkaner, die hier den französischen Verteidigungsring der Maginot-Linie verstärkten, befürchtend, dass die Deutschen einen Überfall über die Schweiz auf das Elsass führen könnten. Als die Bewohner von Winkel 1940 evakuiert wurden, sollte das marokanische Regiment das Dorf weiter beschützen, wurde jedoch wenig später an der nordvogesischen Front verheizt. Da das Verhältnis zwischen der elsässischen Bevölkerung und den marokkanischen Soldaten als besonders freundlich galt, steht der Marrokanerweg heute auch als Symbol für die französisch-marokkanische Freundschaft.



Wer will, kann von Winkel abwärts auch der gesamten Ill nach Altkirch folgen (oder umgekehrt). Ganz so spektakulär idyllisch, wie sich die Ill in Orten wie Altkirch, Colmar oder Strasbourg präsentiert, ist sie dann auf dem Lande dazwischen nicht. Insofern nett zu fahren, aber nicht die erste Wahl in der Region. Wenn wir schon bei den erotischen Reizen der Ill sind: Sundgau-Jura ist auch eine Region der Liebe (ich verweise schon mal auf Le Locle in der zweiten Reise) – wer hätte das gedacht? – Dazu ein Blick Ill-abwärts in das ländliche, nahezu unauffällige Werentzhouse, gleichwohl an der Achse Oberrhein/Basel-Region – Ferrette gelegen. Das historische Erbe des Sundgaus ist eingebunden in ein Museum, das sich auch der Liebe widmet – Schwerpunkt ist aber eine historische Postkartensammlung, auch über die Geschichte der Postkarte selbst. Von außen dominiert hingegen die Hommage an die Liebe. Das Musée des Amoureux et du Patrimoine Sundgauvien ist leider nur mit sehr kleinen Öffnungszeiten bedacht am ersten Sonntag des Monats und dann nur nachmittags.



Während im Westen Orte wie Beaucourt oder Delle bereits von der Urbanisation Montbéliards geprägt sind, gelangt man unmittelbar nordöstlich von Delle in die typische wie auch verlassenste Ecke der Teichlandschaft des Sundgaus. Hier hat man nun manchmal Mühe zu bemerken, ob man in Frankreich oder der Schweiz ist. Nicht jeder Ort bietet überhaupt Möglichkeiten zum Einkaufen oder ein Restaurant. Etwas versteckt fand ich in Rechésy eine gute Adresse für das Abendmahl. Mal irgendwo ein Zelt aufstellen in den feuchtkalten Auen ist hier allerdings weder einfach noch angenehm. Okay, dieses Pfingsten hätte auch Ostern sein können – das hatten wir auch schon mal wärmer.

Sa 14.5. Stuttgart | per Bahn | Weil am Rhein (FR) - Hesingue - Folgensbourg - Werentzhouse - Demnach - Vieux-Ferrette - Ferrette - Hippoltskirch - Kiffis - Moulin Neuf - Lucelle - Charmoille - Asuel - La Malcôte - Les Malettes (799 m) - Sceut Dessous - La Roche - Montfaucon - St-Brais (1000 m) - Soubey (476 m) - Montenol (743 m) - St-Ursanne
Ü (Fr/Sa): C Huningue
W: sehr windig, einige Täle windgeschützt, meist bewölkt, auch etwas Regen, sehr kühl, max. ca. 16 °C, meist 10-14 °C
S: Fromage Antony (Vieux-Ferrette)
AE (H/R des Deux Clefs): Kalbsnieren, Rahmsauce, Pommes, Gemüse, Salat, Rw 35,20 SFr
Ü: C St-Ursanne 12 €, Warmdusche funktioniert nicht
123 km | 1930 Hm | 13,4 km/h

Ganz im Nordwesten des Kantons Jura liegt eine fast vergessene Region, die selten genannt wird – weder mit dem französischen Namen Ajoie, noch dem deutschen Elsgau. Weitgehend ist das Gebiet mit dem Bezirk bzw. einem ehemaligen Grafschaftsbereich (mit 2-3 Vogteien) von Pruntrut identisch, einheimisch französisch heute Porrentruy, gleichnamig der Hauptort. Natürlich kann man die Route auch zunächst ganz nach Westen über Porrentruy legen, doch würde man so zunächst etwas außerhalb typischer jurassischer Landschaftelemente bleiben. Schneller ist also der Jura über St-Ursanne erreicht – und da ist man sogar schon mittendrin.

Die doppelbergige Überfahrt von Ferrette ins Lützeltal nach Moulin Neuf ist landschaftlich reizvoll, aber auch anspruchsvoll. Eher noch etwas anstregender ist Route jenseits von Lucelle, wenn man über Asuel nach La Malcôte aufsteigt, ein sehr enges Weidetal, schon ein wenig alpiner Almcharakter, verkehrsarm – die denkbare Alternative zu der auch ansprechenden Route von Delémont über Les Rangiers nach St-Ursanne, allerdings verkehrsreicher, auch mehr Fels und Wald (mit Walderdbeeren und Heidelbeeren) meiner Erinnerung nach.

Statt dem schnellen Sturz hinunter nach St-Ursanne von Les Malettes (Gasthaus verlassen, vgl. auch letzter der Tag der zweiten Reise), bietet sich die Fahrt der Corniche du Jura zu den Franches Montagnes an. Wer aussichtsreiche Blicke in das tief geschnitte Doubs-Tal erwartet, wird entäuscht sein. Trotz der steilen Uferfelsen, konnte sich ausreichend Wald ausbreiten und meist noch auf einen überhöhten Grat, der selbst die letzten Ausblicke verwehrt. Zu entlaubten Jahreszeiten gibt es einige Blicke mehr, aber auch nur wenige. Ausblicke hat man hingegen immer wieder mal in die anfangs recht zerfurchte Hochebene mit weiten grünen Weidewiesen, aber auch karstigen Felsreihen zwischendrin. Von Sceut Dessous kann man den Kurs abkürzen und nach St-Ursanne abfahren, ohne den Doubs zu queren – wohl mit mehr Ausblicken, aber auch waldreich bestückt.



Die Corniche weiter ausgefahren – immerhin die 1000-m-Marke erreichend, erlaubt dann die erste Talabfahrt mit Doubs-Überqerung von Montfaucon hinunter nach Soubey (Bild), schon etwas mehr als ein Weiler fast ein kleines Dorf in idyllischer Lage in der Flussenke, aber kaum Platz sich dort auszubreiten. Gleich steigt man also wieder an, letztlich bestehen sogar mehrere Auffahrtsvarianten. Hier folge ich dem Höhenrücken, der Clos du Doubs, der die innere Zunge der Doubs-Schleife bildet und direkt nach St-Ursanne hinunterführt. Aussicht hat man länger ab Soubey, nach oben Rapsfelder, danach wieder weniger freier Blick.

So 15.5. St-Ursanne (430 m) - Col de la Croix (789m) - Courgenay - Porrentruy (430 m) - Col de Montvoi (858 m) - Glère - Vaufrey (401 m) - Grotte de Réclère (658 m) - Réclère - Pierrefontaine - Blamont - Glay - Hérimoncourt - Vandancourt - Beaucourt - Delle - Faverois – Rechésy
W: teils sonnig, teils heiter, auch mal stärker bewölkt, sehr windig, daher auch recht kühl, nur wenig wärmer als am Vortag
AE (R La Vielle Ferme): Meeresfrüchte-Pastete, überb. Pfanne m. Kart., Schinken, Munsterkäse, Eis Birne Helene, Rw, Cafe 38,60 €
Ü: C frei
97 km | 1675 Hm | 12,7 km

Für die hier gefahrenen Verbindungen vom Doubs nach Porrentruy und wieder zurück, nur wenig weiter abwärts in Glère sei angemerkt, dass es sich um recht harte Anstiege handelt – und zwar zu beiden Seiten. Das gilt auch für die Route von Vaufrey nach Réclere mit der Höhle und prähistorischem Park, wo ich wegen Besucherandrang (viele Familien, Kinder) und der ungemütlichen Witterungsverhältnisse den Besuch verworfen habe. Von den drei harten Anstiegen ist der von Porrentruy über den Col de Montvoi noch der gemäßigste. Porrentruy liegt also keineswegs auf einer Hochebene, sondern auf nahezu gleicher Höhe wie St-Ursanne am Doubs, nur getrennt durch einen Höhenrücken. Die Niederung um Porrentruy verweist dann auch schon auf den auslaufenden Jura, zeigt aber noch Karsterscheinungen.



Porrentruy (Bild) ist schon etwas betriebiger, hat Gassen mit Geschäften und das Gesicht der Stadt lebt von mehreren Türmchen – vom Stadttor bis zu denen vom überhöht gelegen großen Schlosskomplex. Auch hier musste ich wegen der giftigen Windeskälte dem wärmenden Frühstück in einem Tea-Room gegenüber einer Schlossbesichtigung den Vorzug geben, sodass ich über das magere Besichtigungsmoment etwas unglücklich bin. Wärmezeit schlägt Besichtungszeit.

In Glère zurück an der Flussschleife, gleitet man naturnah am Doubs entlang, kaum Verkehr dabei – ein romantisches Idyll in Grün, garniert mit gelben Wiesenblühern. Manchen Baum hat sich der Doubs erobert, ihn zum nackten Stamm entkleidet, deren gleißende Reflektionslichter dem Betrachter die Iris weiten. Vaufrey grüßt mit alten Schloss- und Kirchengemäuern, in Zeitlupe gefasster Verfall, bewahrt für Genießeraugen. Diese schauen unausweichlich in die wasserspeienden Löwenköpfe des Dorfbrunnens – Gesichter mit vermoosten Narben der Zeit – Zeit im Strahl, erfrischender Quell der Wasserkreisläufe – Vergänglichkeit und Wiederkehr in einem Bild. Sogar die Sonne wollte sich hier nicht verweigern, ihr mildes Frühlingslächeln auf die Wangen zu senden. Großartige Verweilzeit!

Eine hübsche Entdeckung war das Vallée du Gland, bis zum Zusammenfluss in Glay von Creuse und Doue gespeist, nach recht plötzlichem Karstabfall unterhalb von Blamont öffnet sich ein liebliches Wiesental. Glück im Unglück erwischte mich dem Riss des Seilzugs am Umwerfer. Der Feiertage wegen konnte ich ja keine professionelle Hilfe erwarten, Radeln war nur noch in kleinen Gängen möglich – ungünstig vor allem für den letzten Tag, wo es schon Strampelstrecken mit weniger Bergprofil geben sollte. Da grüßte ein älteres Ehepaar in Hérimoncourt vom Bürgersteig. Ich grüßte zunächst gedankenlos zurück, überlegte aber dann, vielleicht ist da jemand radfahreraffin. So drehte ich um, und fragte, ob sie vielleicht eine Idee hätten, wo ich Abhilfe finden könnte. Der Mann erkärte sich als dem Rennradfahren zugeneigt und meinte, in seiner Garage könnte sich was finden. Wir mussten etwas durchprobieren, der erste Seilzug war zu kurz, doch es fand sich dann ein passender. Die Frau brachte Kaffee und Gebäck, im Haus sprangen mehrere Enkel herum. Immer wieder wunderbar, welche Geschichten das Radreisen schreibt. Pannenzeit wird zur Begegnungszeit.

Mo 16.5. Rechésy - Pfetterhouse - Courtavon - Winkel - Source d'Ill - Bildstoeckle - Winkel - Hippoltskirch - Oltingue - Bettlach - Hagenthal - Folgensbourg - Ranspach - Helfrantzkirch - Bartenheim - Sierentz - Kembs - Ottmarsheim - Neuenburg - Müllheim | per Bahn | Stuttgart
W: Bewölkt, zunehmend auch regnerisch, sehr kühl, windig
105 km | 960 Hm | 15,2 km/h

Vgl. Anmerkungen zu Anfang der Reisenotizen zum Sundgau

Bildergalerie La Grande Boucle du Doubs I (83 Fotos):
(die Bilder der Burg Ferrette entstammen alle der folgenden 2. Jura-Kurzreise, da sie hier inhaltlich besser reinpassen)



Fortsetzung folgt