La Petite-Pierre revisited 2016

von: veloträumer

La Petite-Pierre revisited 2016 - 05.11.17 15:46

V. LPP revisited 2016 feat. Swinging New Musette – oder: Warum Schwaben in Baden immer noch verjagt werden und ein Sachse Wochenendasyl im Elsass gewährt

5.-7.8.2016 | 3 Tage | 313 km | 2705 Hm

Erneut hatte Hans aus Sachsen den Besuch des Jazz Festivals in den Nordvogesen angekündigt – sogar für die gesamte Festivallänge. Er musste seine Frau Birgit zurücklassen, brachte stattdessen ein ebenfalls in der Dresdener Jazzszene engagiertes Paar mit (die allerdings nur kurze Zeit in LPP weilten). Es stand außer Frage, dass ich wiederum einen Wochenendausflug nach LPP starten würde, wenngleich ohne zusätzlichen Urlaubstag wie 2014. Entsprechend blieb der radlerische Neuerkundungsteil dieser Tour bescheiden.

Die Umstände der Tour waren zwar in puncto Wetter um einiges besser als 2014, jedoch damit nicht ohne Probleme. Noch immer laborierte ich an einer offenen Kniewunde von einem Unfall auf der großen Sommerreise zuvor – die Wunde sollte sich erst nach gut 2 Monaten des Unfalls schließen, das Nässeln hielt noch weitere Monate an, und noch heute vermag das Knie insbesondere bei hohen Belastungen dezent Erinnerungen wachrufen. Trotz elastischer Sportsbandage verrutschte dann beim flotten Tempo auf der Rückfahrt der Verband ziemlich häufig, sodass ich mehrfach anhalten musste. Sicherlich war die Tour aus medizinischer Sicht nicht unbedingt angeraten.

Wo kein Schmerz auch kein Freud – keine Frage, auch diese Tour lohnte sich sehr wohl. Sicherlich, das Wiedersehen mit Hans herzlich, seine Begleiter gleichwohl nette Sachsen. Auch wenn die besondere Übernachtungssituation 2014 eine verbindende wie schmunzelnde Geschichte geschrieben hat, so knabberte Hans an seinem schlechten Gewissen, mir 2014 kein Hotelzimmer spendiert zu haben. Eigentlich kann ich dieses schlechte Gewissen nicht nachvollziehen, bin ich doch ganz andere Übernachtungssituationen gewohnt. Auch hätte sich diesmal eine Zeltnacht auf dem talwärts liegenden Camping durchaus besser angeboten als 2014. So aber orderte Hans für mich ein Hotelzimmer – wegen ausgebuchter Zimmer allerdings gegenüber seinem Hotel, gefrühstückt haben wir dann zusammen in seinem.



Fr 5.8. Stuttgart - Leonberg - Rutesheim - Perouse - Hausen - Neuhausen - Schellbronn - Unterreichenbach - Langenbrand - Höfen – Schwanner Warte – Conweiler - Marxzell - Schöllbronn - Spessart - Schluttenbach - Sulzbach - Malsch - Waldprechtsweier (+)
104 km | 14,8 km/h | 1585 Hm
AE (R Badisch, Malsch): Bad. Käseknödel m. Spinat/Kirschtomaten/Pfifferlinge/Shitakepilze, Salat, Rw, Cafe 25,10 €
Ü: C frei

Die untouristische und für einen halben Tag anspruchsvolle Schwarzwaldtransitroute bedürfte keiner weiteren Erwähnung hier, gäbe es nicht zwei kleine Vorfälle zu vermerken – einer davon positiv, der andere negativ. Mangels Sitzgelegenheiten erlaubte ich mir in Eyachbrücke ein Picknick direkt an der Straße bei einem Markierungsstein und gegenüber einem Gasthof. Wegen Nackenverspannung ruderte ich etwas mit den Armen und machte ein wohl grimmiges Gesicht, da ich schon mal kräftig durchatmen musste ob der gefahrenen Strecke. Kam daraufhin aus dem Gasthof eine im Dirndl gekleidete Servicedame zum gegenüberliegenden Straßenrand und erkundigte sich besorgt, ob mit mir alles in Ordnung sei. Wie sie kommentierte, habe sie schon vor ihrem Gasthof erlebt, dass Radler aufgrund gesundheitlicher Problem zusammengebrochen seien (direkt am Enzradweg gelegen). Ich musste gleich zweimal versichern, dass ich nicht nahe am Kreislaufkollaps sei, bevor ich gute Fahrt gewünscht bekam. Solche Sorge von Fremden kenne ich zwar gelegentlich aus dem Ausland, jedoch nicht aus Deutschland. Das finde ich mal einen empathischen Lichtblick im Land der Misstrauens- und Missgunstbürger – lieber einmal zuviel als zu wenig gefragt, wie die Dame meinte.

Hatte ich verzweifelt mit Erreichen der Oberrheinebene in Sulzbach bis in die obersten Dorfetagen nach geöffneten Gasthöfen gesucht, bot sich letztlich nur Malsch zum Essen an, wo zwar mir bekannter Gasthof auch Urlaubspause verkündete, jedoch ich eine andere, sehr schick dekorierte Gaststube mit badischem Bekenntnis in Küche und Namen fand. Trotz nettem Ambiente und Service muss ich allerdings die Wertung „überteuert“ abgeben. Zur Nacht wollte ich einmal den Camping in Waldprechtsweier ausprobieren – daselbst aber kein Restaurant im Ort.

Nun wäre zu meiner denkbaren Ankunftszeit gegen halb zehn wohl auch die Küche des Campingbistros geschlossen gewesen (auch wenn der Ausschank noch länger offen). Waldprechtsweier liegt ca. 3 km aufwärts von Malsch, der Camping dabei nochmals deutlich über dem Dorfkern per steiler Rampe erreichbar. So wäre ich ohne Zwischenhalt beim Malscher Gasthof nicht mehr zu einer Mahlzeit gekommen, hätte ich zuerst den Camping angesteuert. Kam ich nun ca. 10 Minuten vor 23 Uhr dort an, trat ein Mann aus einem Holzchalet heraus und fragte, wo ich denn hin wolle. Naja, zum Camping, meinte ich. „Der Camping ist jetzt geschlossen!“ bekam ich recht unwirsch zu hören. „Wer so spät vorbeikommt, für den sei der Camping geschlossen.“ Ich solle woanders einen Platz suchen. Nebenbei erfuhr ich vom Campingwart, dass er seine Kneipe nur wenige Minuten zuvor geschlossen habe. Da ist die Frage, wo das Problem liegen soll? Ruhestörung für schlafende Dauercamper wohl kaum, Zutritt ohne Kenntnis des Hausherrn auch nicht. Aber nun, als Wahlschwabe muss man in Baden immer mal wieder mit Vertreibung rechnen. Es herrscht da ein erbitterter Wettkampf, wer kann unfreundlicher. Diesmal Punktsieg für Baden! Geld genug hat der Badener auch wohl. Neid!

Soweit die Geschichte damit endete, dass ich mein Zelt irgendwo auf einer verwilderten Wiese unter einem Nussbaum und Blick auf die Rheinebene aufstellte – zu sagen: beste Lage! Nur hatte ich wegen meines angeschlagenen Knies die hygienische Umgebung der Sanitäranlagen eines Campings angestrebt. Um künftig nicht noch mehr unwillige Gastfreundschaft von Zeltplatzanbietern herauszufordern, werde ich meine Freicamping-Methode noch ausweiten – zumindest in der Schwarzwald/Oberrhein-Region. Nicht zuletzt stieß ich in der Schwarzwaldregion noch auf weitere Erlebnisse, die nahe legen, dass entweder der nomadisierende Radler nicht erwünscht ist (wegen der Übermacht von Dauercampern) oder einfach simpelste Serviceaspekte für Urlaub zur Urlaubszeit nicht gegeben scheinen. Darf man sich nicht wundern, wenn der Velopedalist lieber ins Ausland geht, z.B. als Exil-Touri ins Elsass.

Im Nachklang sei noch erwähnt, dass ich gegebenen Vorfall auch beim Albtal/Schwarzwald-Tourismus auf der Stuttgarter Tourismus-Messe CMT vorgetragen habe. Beschwerde aber zwecklos, weil laut Tourismusvertreter jeder Betrieb sein eigenes Süppchen kocht und keinerlei Einflussmöglichkeit vom Verband bestünden. Es sei auch diesbezüglich durchaus abträglich einer gemeinschaftlichen Werbung und verbesserter regionaler Tourismusstrukturen durch gemeinsame Gestaltung und Absprachen wie etwa vernetzter Buchungssysteme usw. Ich kann an dieser Stelle nur individuell davon abraten, den Camping in Waldprechtsweier zu besuchen.



Sa 6.8. Waldprechtsweier - Kuppenheim - Sinzheim - Rheinmünster Stollhofen - (R.-Söllingen) - Kriegersee - R.-Greffern || Fähre || Drusenheim - Dalhunden - Drusenheim - Bischwiller - Niederschaeffolsheim - Batzendorf - Wittersheim - Alteckendorf - Ringendorf - Kirrwiller - Bouxwiller - Weiterswiller - La Petite-Pierre
108 km | 17,1 km/h | 705 Hm
B: Festival Au Grés du Jazz: Richard Galliano/Philip Catherine 4tet 25 €
AE: Flammkuchen Melange, Ww, Cafe
Ü: H du Vosges (reg. vermutl. 69 € oFr/Fr 12 €)

Der Sommer hält sich arg zurück, sodass angestrebter Baggersee-Aufenthalt kürzer ausfällt und noch Zeit für eine Umweg-Variante bleibt. Allerdings sei dazu gesagt, soweit man abseits der Moder-Route jenseits von Haguenau zu fahren gedenkt, sich immerzu nur schwer kalkulierbare Hügelstrecken auftun. Die Steigungen sind zwar selten ernst, aber doch fordernd und natürlich sehr bremsend, kam hier noch der Wind hinzu.

Ein Kleinod findet sich zwischen Wittersheim und Minversheim. Geht man kurz vom Parkplatz in der Talmulde des Duerrbachgrabens hinauf, durchwandert man einen Hain mit teils gepflegten, wenngleich dicht überwucherten Becken, zuoberst gespeist von der Quelle St. Ulrich. Dem Wasser wurde therapeutische Bedeutung zugeordnet und im 19. Jahrhundert waren dort Wasch- und Schöpfplätze nach Glaubensrichtung unterschieden eingeteilt – zwei den Juden, drei den Katholiken. Heute ein besinnlicher Erholungsort mit Picknickgelegenheit, Konfession wird nicht mehr abgefragt und auch nach Schwaben oder Badenern nicht unterschieden.

Gemessen an der Hügelstrecke zuvor stellte sich die Auffahrt von Weiterswiller nach LPP eher leichter als erwartet dar (auch eine Zwischenmulde dabei), obwohl sie mir bekannt gewesen sein sollte, da so exakt die selbe Strecke wie bei meinem Erstbesuch 2012. So war ich dann trotz der Winde und zermürbenden Auf und Abs zur geplanten Zeit an Ort und Stelle.

Mit Richard Galliano konnte ich einen weiteren Genre-sprengenden Künstler der modernen französischen Musikszene in meine Live-Erlebnisreihe einfügen. Galliano und die New Musette stehen für die modern aus dem Jazz, der Klassik und weltmusikalischen Elementen angereicherte Traditionsmusik der Musette, die neben dem Chanson französische Identität widerspiegelt, den Klang de Clochards im fahlen Laternenlicht über mittelalterlichen Pflastergassen verkörpert, Sehnsucht evoziert zwischen Landidylle und Meeresweite, zwischen Wein und Baguette – auch immer eine Spur burlesk und lasziv – nicht zufällig auch eine instrumentale Nähe zum Tango oder hier zum Tango Nuevo. Galliano ist somit zu einem der faszinierenden, der meiner beliebten Grenzgänger hybrider Musikstile geworden. Und noch mehr hat mich auch die Welt des Akkordeons fasziniert, seitdem ich erkundet hatte, dass es jenseits einer Quetschkommoden-Volkstümelei zu den facettenreichsten, weltweit verbreitetsten Instrumenten zählt. Es hat dabei zu charakteristischen Weltenklangsprachen aus unterschiedlichsten Kulturkreisen entscheidend beigetragen – ein Instrument, das eine nomadenhafte Geschichte hinter sich brachte, ein Abbild vieler Migrationsgeschichten, immer wieder an die neue Umgebung angepasst und integriert (wunderbar aufgegriffen in Annie Proulx’ Roman „Das grüne Akkordeon“). In gewisser Weise also auch ein dem Radnomaden geistesverwandtes Instrument.

Richard Galliano bekam in LPP eine carte blanche – also Wahlfreiheit für Partner seiner Auftritte, derer er zwei absolvierte. Von allen Befragten gewürdigt der von mir verpasste Duo-Auftritt zuvor mit Sylvain Luc – ein kreativer Gitarrengeist, den ich bereits in Korsika beim Festival der Gitarre in Patrimonio (auch im Reisebericht hier von mir hinterlegt) mir zu Gehör führen durfte. Hier im Konzert mit Philip Catherine, belgischer Vertreter eines modernen Swingstils in der Gypsy-Tradition eines Django Reinhardt, agierte Galliano als Mastermind, als spiritus rector, der das Geschehen im Griff hatte, die maßgeblichen Akzente setzte – spielerische Swing-Leichtigkeit gepaart mit modernen Harmonie-Konstruktionen. Catherine, der auch ihm vertrautes Rhythmusgespann Philippe Aerts, Bass, und Hans van Oosterhout, Drums, mitbrachte, wirkte manchmal etwas gehetzt, den Ideen hinterher eilend, sodass seine Glanzpunkte mehr in den Solopassagen zu bewundern waren. Nur kurz stieß für einen Song Sylvain Luc hinzu und setzte gleich auch dort eine Duftmarke interaktiven Improvisierens – hellwach im Zuhören, schnell findig und einfallsreich in den nicht voraussehbaren gezupften Einwürfen.



So 7.8. La Petite-Pierre - Loosthal - Col de la Tete du Christ (311 m) - Neuwiller-lès-Saverne - Bouxwiller - Obermodern - Pfaffenhofen - Haguenau - Oberhoffen - Rohrwiller - Drusenheim - Dalhunden - Drusenheim || Fähre || R-Greffern - Hügelsheim - Iffezheim - Rastatt 21:34 h || per Bahn || Stuttgart 23:25 h
101 km | 17,8 km/h | 415 Hm
AE (Lehners Wirtshaus, Rastatt): Burger m. Rösti, Pommes, Bier 19,10 €

Die Landkarte sagte mir, dass ich auch auf einer kurzen wie schnellen Rückfahrt noch eine unbekannte Variante einschieben kann. Die Anfahrtsroute retour nur kurz angefahren, führt ein Abzweig zu einer mehr verschlängelten Route durch Buchenwald, zuweilen nur mit leichtem, unter der Sonne leuchtend grünem Blätterdach. Auch hier nicht ganz ohne Gegenanstieg, aber gleichwohl harmlos wie auf der Hinfahrtsroute. Hier ist noch weniger Verkehr als auf den bisher gefahrenen Alternativen, wenngleich auf keiner der Strecken nach LPP Verkehr eine ernsthafte Größe darstellt. Eine weitere Variante scheint mit weiterem Abzweig hier möglich über Johannistal, über eine südliche Ecke dann aber noch umwegiger nach Dossenheim am Vogesenrand.

Zum immer wieder auf diese Strecke zwischen geschobenen Kriegersee bei Rheinmünster-Söllingen sei hier angemerkt, dass bereits 2016 die Zugänge erschwert wurden und die Sandflächen zum Sonnenbaden unschön planiert, weniger Badeeinstiege zum See möglich waren. Vom Betreiber der Kiesgrube galt das Baden am Kieswerk schon immer offiziell als verboten, wurde aber toleriert. Insbesondere an Wochenenden (ohne Werksbetrieb) war es ein beliebter Badetreff auch für Franzosen (deren Baggerseen meist ganz abgesperrt oder zum Angeln reserviert sind) – sogar ein Eiswagen kam regelmäßig vorbei (entsprechend eine Zufahrt offen war). Mit dem Jahre 2017 ist das Baden am Kieswerk endgültig vorbei. Der Pächter hat in Abstimmung mit dem Ordnungsamt nicht nur martialische Todes-Schilder überall aufgestellt, sondern auch rundum bis in den Wald hinein solche Hürden verbaut, dass es kaum noch möglich ist, das Gelände zu erreichen. Schließlich wurden nahezu alle Badeeinstiegs- und Liegebereiche so umgepflügt, dass ein Verweilen kein Genuss mehr wäre. Böses wer denkt, dass es dabei nicht nur um die Fürsorgepflicht von Aktenlesern gehe.

Musikbeispiele:
Richard Galliano & Philip Catherine:...ien (6:48 min.)

Richard Galliano & Sylvain Luc „Homage à Piaf“, Jazz à Montréal 2015 (4:06 min.)

Richard Galliano & I Solisti Dell'Orchestra Della Toscana „La Valse à Margaux“ (3:38 min.)

Bildergalerie Tour V (25 Fotos, bitte auf Bild klicken):