Re: Neues vom Schwarzwaldboten

von: veloträumer

Re: Neues vom Schwarzwaldboten - 29.10.17 19:26

SW-2017-1 Schwarzwald Nord „Goldener Oktober im Wildsee-Hochmoor“

Nagold – Berneck – Simmersfeld – Enzklösterle – Wildseemoor – Murgtal – Mahlbergroute – Ettlingen – Pforzheim

2 Tage | 205 km | 2780 Hm

Neues vom Boten – und doch nur ein kurzer Zwischenruf. Der Schwarzwaldbote hat zwar den Köcher voller spannender Touren durch das immer wieder reizvolle Mittelgebirge im Südwesten der Republik, jedoch bleibt ihm wegen zahlreicher weiterer Berichtsaufträge kaum Zeit zur Niederschrift. So gesehen müsen wir hier mit dem kurzen Lebenszeichen Vorlieb nehmen – trotz der Kürze der Tour ein bunter Strauß an Farben des Herbstes und immerhin sehr aktuell. Es war denn auch eher Zufall, blieben andere Ecken des Landes wegen bahnbetrieblicher Störungen unerreichbar. Selbst der Schwarzwald (Mitte/Süd) musste zeitweise als kaum erreichbar gelten, sorgten Gäu- und Rheintalbahn diesjährig für veritable Beförderungshemmnisse.

Die Kurzfrist des Planes ließ erstmal die Anreise per Rad direkt ab Haustür zu. Auf bekannten Wegen lockte der letzte Sommergruß des Jahres an einen Baggersee im Neckartal am Fuße der Wurmlinger Kapelle bei Tübingen. Schleichend nähert man sich dann leicht hügelig einer nicht genau bestimmbaren Grenze zwischen Gäu und Schwarzwald. Kaum noch nötig, hier das Nagoldtal vorzustellen – immer wieder mal gekreuz und beradelt inklusive Zeltnächtigung. Diesmal nur ein kurzer Abschnitt, auffälig gewerbeintensiv, aufstrebende Hightech-Siedlungsorte. Auch im unscheinbaren Simmersfeld auf der Höhe hat sich ein großes Gewerbegelände breit gemacht (Nutzfahrzeuge). Die Arbeitsplätze locken Häuslebauer an, billiges Bauland, große Häuser, Familienzuzug auf das Land – Landflucht vice versa.

Das Geld der neureichen Zukunftsbranchenarbeiter hat eine Kehrseite – sie brauchen keine Gemeinschaftsorte mehr – the home is my castle. Das klassische Gasthaus – von Touristen schon gar hier ganz verschmäht, und außerhalb der Saison noch mehr – macht noch Kasse mit Treffpunkten von Gruppen und Vereinen. Das Kränzchen der Vertriebenen-Damen (ehemals Polen-Bewohnerinnen wohl insbesondere) löste sich noch auf, während ich mein Abendmahl zu mir nahm. Viel wurde da geplaudert, weniger konsumiert. Die Gastwirtin durfte ein paar Schorlen abrechnen. Mehr wurde schon am Vereinstisch der Hobbyjäger aufgefahren – Jägerprobleme sind auch dem Schwarzwälder näher als der Vertriebenenplausch. Das darf man zumindest der Länge der Sitzung nach so beurteilen – das Ende erlebte ich nicht, wenngleich ich alsbald zum Experten für Jagdwesen wurde.

Kaum waren die Damen gegangen, klang dieVorglühphase des Jägertreffens ab (nein, es waren nicht nur Herren, eine Jägerin hielt die Quote) und der verantwortliche Hauptpächter erhob die Stimme zur Sitzung zur Satzungsänderung des Hobbyjägervereins (mehrwohl eine Gruppe als ein eingetragener Verein, war aber nicht zu ermitteln). Es seien neue Zeiten, die Welt ändere sich, auch der Jäger tue dies. Der Jäger sei gefordert mehr im Beruf und in Familie, Jagd als Hobby (es waren hier also keine hauptberuflichen Förster) werde zum Randhobby – von den zeitfressenden digitalen Zeitmanagern wollte er wohl nicht reden, dachte es aber wohl. Der Jäger ist zur Jagd hinter dem Moorhuhn unterwegs, den Auerhahn hat er noch nie gesehen. Irgendwie war früher alles besser, so ließ sich zwischen den Zeilen heraushören.

Anders gesagt: Der Hobbyjäger kommt seinen Pflichten nicht mehr nach, es wird zu wenig Wild geschossen. (Besagte Jagdgruppe hat sich u.a. verpflichtet 25 Rehe pro Jahr zu schießen, das wurde wiederholt deutlich verfehlt.) Weiter verloddern Futterstellen, Hütten und Gehegepflege allgemein. Der Pächter nun schlug klarere Jagdrevieraufteilungen vor, aber auch klarere Verantwortlichkeiten. So ging das nun mit der Rede weiter über meinen Zwetschgenkuchen und das zweite Bier hinaus. Der Pächter drohte bald an, seine Rede möglichst nicht zu unterbrechen, da anschließend Punkt für Punkt noch jeder Stellung nehmen und alles nochmal von hinten aufgerollt werden solle. Mein Bedauern gilt der Gastgeberin, der am Abend noch einige Geweihe gewachsen sein dürften.

Ich bin hier noch zu Dank an die Gastwirtin vom Anker verpflichtet, das Gastgärtle zwecks Zeltaufstellen genutzt haben zu dürfen, im Sommer wohl eine Art kleiner Biergarten, im Herbst eine Heimstatt umtriebiger und schlafstörender Igel. Ohne mikroklimatische gewünschte Bedachung wurde natürlich das Zelt tropfnass, obwohl die Nacht vergleichsweise mild blieb. Morgens über 8 °C, eine knappe Stunde später im Enztal waren es gegen 3 °C weniger. Die Höhenlagen waren wärmer – nicht mal klassische Inversionswetterlage, sondern Folge längerer Sonneneinstrahlungen und weniger Verdunstungskälte bis zum Nebel, der die Täler füllt und auskühlt. Im noch dämmerungshellen Berneck reicht das Überziehen einer Hose für das völlige Beschlagen der Brille vom anliegenden Dorfweiher her. Schon das Nagoldtal lag spätnachmittäglich komplett im Schatten.

Der Blick darf hier auch zurückfallen auf die Strecke von Berneck nach Aichhalden hinauf, ein von mir bisher noch nie befahrenes Tal, dass lieblich geschwungen hinaufführt, in den Steigungen moderat, licht im Antlitz etwa mit kleineren Birkenbeständen nebst der Aue. Der Bote meint: Eine lohnende alternative Empfehlung zum Aufstieg auf die Schwarzwaldhöhen, etwa Richtung oberes Enztal oder Freudenstadt. Eigentlich hätte es auch noch zum Campingplatz in Enzklösterle am Abend reichen können, überschätzte jedoch die Topographie dorthin. Schnell sind ja auch die Gaststuben im außersaisonlichen Schwarzwald geschlossen – sogar auch mal mitten im Sommer (schlechte Erfahrungen schon auf solcher Tour dort in der Nähe). Am Ende war die Übernachtungswahl dann auch günstiger – rein klimatisch betrachtet, in Enzklösterle hätte es Bodenfrost gehabt.

Das eigentliche Reiseziel lag nun nur noch eine Auffahrt entfernt, mal vom kurzen Abschwung im Enztlal abgesehen. Gleich der unterste Teil des Kegeltals bis zur Ortschaft Sprollenhaus verkörpert den glanzvollsten Teil von Bergstraßen-Feeling. Korpulente Kugelsteinblöcke kegeln (Name!) sich an den Straßenrand, wild rauscht der Bergbach nebenan, nur von einer Leitplanke getrennt. Leuchten und Glitzern in der Iris bis zum Goldglanz des Laubdachs. In Sprollenhaus nochmal Talöffnung für Schafweide, dann schließt sich bald Schwarzwald dunkler zu den Seiten. Nicht auszublenden aber dieses Jahr durch frühen feuchten Herbst die Fülle an Pilzen am Wegesrand – auch größer als in anderen Jahren.

Wähnte ich mich komfortabel trotz Bäckerfrühstück in Enzklösterle ausreichend früh in Kaltenbronn, musste ich zur Kenntnis nehmen, dass um 10 Uhr schon das halbe Rheintal mit Auto die Parkplätze rund um Hotel und Forsthaus mit Infozentrum zum Naturschutzgebiet des Hochmoores besetzt hatten. Kind und Kegel bevölkerten nunmehr die Waldpisten, für Radler gut fahrbar, jedoch nur in den Randzonen der Moorlandschaft. Zum Wildsee selbst geht es hingegen ab einer Kehre über Bohlenweg – hier muss man als Radler absatteln, vor allem natürlich wegen des Wanderbetriebs.

Das Wildseemoor ist Teil der mittlerweile so als Gesamtheit „Naturschutzgebiet Moorlandschaft Kaltenbronn“ beichnet, derweil eigentlich mal nur der Weiler dort so benannt. Kaltenbronn/Schwarzmiss wurde nicht nur von mir schon häufiger beradelt (vgl. auch Touren oben), sondern darüber auch hier viel gequatscht. Meiner Erinnerung nach jedoch wurde versäumt, die Moore mal vorzustellen. Das dürfte auch daran liegen, dass das Absatteln und Abzweigen von der Straße gute 2 Kilometer beträgt – und solche Abwege gelten unter Radlern manchmal als ehrenrührig – gilt doch Sattelpflicht im rasenden Zeittakt der sportlichen Meisterleistung – so wie der Anstieg Schwarzmiss (knapp oberhalb Kaltenbronn) als einer der prominenten Schwarzwald-Pässe gelten darf – zumindest aus dem Murgtal raus. Ich muss mich da einschließen bei denen, die es über diesen Berg immer zu eilig hatten.

Der andere Teil des Hochmoores (so benannt nicht wegen der Höhenlage, sondern aufgrund der Dicke der Torfschicht – hier am Wildsee bis zu ca. 8 m) liegt nicht weniger ungünstig abgelegen zur Straße mit dem Hohlohsee vice versa, genau genommen sind es sogar zu beiden Seiten jeweils zwei Seen. Die Perle jedoch ist der Wildsee (nebst kleinerem Hornsee) – auch bestens mit Bohlenpromenade und Picknickbänken ausgestattet. Das Moor braucht jedoch Stille, um Mystik zu verbreiten. So ist man in Zeiten des großen Wanderansturms bereits zu spät. Mehr noch erlebt man die besonderen Stimmungen am frühen Morgen oder abends – man denke wie auch hier in Enzklösterle erlebt, an die aufsteigenden Nebelschwaden. Dazu ist es fast dringlich zu empfehlen, im Hotel Kaltenbronn zu übernachten und zu früher Morgenstunde ans Moor zu wandern. So fiel es mir auch leicht, auf eine weitere Exkursion zum Hohlohsee in der Mittagszeit zu verzichten.

Es kann der Radler nicht alles haben, auch nicht die Straßen für sich allein an Oktobertagen wie diesen güldenen. So sah man mehr als Radler größere Motorradgruppen. Im Murgtal von Gaggenau nach Michelbach schien das irgendwie noch gemäßigt trotz Mittagszeit, in Richtung Freiolzheim schon schweißtreibende Sommerwärme. Die Strecke knapp am Mahlberg vorbei ist steigungstechnisch noch schärfer als die Ostflanke Kaltenbronn. Bereits im selben Jahr noch im Sommer auch gefahren, machen sich die abmagernden Wadeln bemerkbar – alles fällt schwerer.

Doch darf ich mich glücklich um meine Langsamkeit schätzen. Da schwebt auf einmal ein Hubschrauber über mir, offenbar einen Landeplatz suchend. Der ist aber erst zur Höhe in Freiolsheim. Unterwegs wird dann klar, warum. Stehen konstanierte Motorbiker um einen Krankenwagen herum. Oben angekommen, sind dann Krankenwagen und Hubschrauber vereint, wenn man so will strategisch günstig ist der Friedhof gleich anbei. Noch aber schien der Motorradler mit Atemmaske lebendig. Für den Radler hingegen lebensnotwendig, bietet der Friedhof eine anzapfbare Wasserader.

Im Vergleich zum Wandermassenauflauf in Kaltenbronn oder auch beim verkaufsoffenen Sonntag in der Ettlinger City blieben die ebenfalls noch einladenden Baggerseen recht dezent besucht – so auch auch der bei Sulzbach. Es war also durchaus Idylle zu finden. Die restlichen Orte in Richtung Pforzheim schienen zur Hälfte Herbstfeste irgendwelcher Art zu feiern, was wohl viele Pforzheimer aufs Land lockte. Letztlich konnte man aber doch ganz passabel auch die Straßen befahren und Pforzheim ward bei Dämmerung erreicht – wohl sucht der Autofahrer noch schnellere Straßen. Ein kurzer Botengang – doch ausgesprochen angenehm und geschmackvoll im goldenen Glanz einer der schönsten Herbsttage des Jahres. Wegen der verpflichtenden Stille im Moor darf es diesmal auch ohne Musik sein.

Sa 14.10. Stuttgart - Echterdingen - Steinenbronn - Waldenbuch - Pfrondorf - Tübingen - Hirschau - Wurmlingen - Ochsenbühl - Seebronn - Bondorf - Mötzingen - Nagold - Berneck - Aichhalden – Simmersfeld
AE (H/GH Anker): Kässpätzle, Salat, Bier, Zwetschgenku. 18,50 €
Ü: C frei
100 km | 16,9 km/h | 5:51 h | 1325 Hm

So 15.10. Simmersfeld - Absetze (843 m) - Enzklösterle - Sprollenhaus - Kaltenbronn/Parkplatz - Wildsee - Kaltenbronn/Parkplatz - Schwarzmiss (933 m) - Hilpertsau - Gernsbach - Gaggenau - Michelstadt - Freiolsheim - Malsch - Ettlingen - Waldbronn-Reichenbach - Karlsbad-Langensteinbach - Keltern-Ellmendingen - Pforzheim || Stuttgart
105 km | 15,6 km/h | 6:42 h | 1455 Hm

Bildergalerie Tour SW-2017-1 (30 Fotos):



Fortsetzung in der Ferne nicht ausgeschlossen