Re: Quer durch Süditalien - Neapel bis Salento

von: veloträumer

Re: Quer durch Süditalien - Neapel bis Salento - 20.01.16 16:38

Hallo Stefan,
danke für die sehr gelungene Reieserzählung samt atmosphärisch begleitender, oft mit dem warmen Licht der späten Jahreszeit, der du wohl auch eine der besseren erwischt hast. Ich teile deinen Hang zum Morbiden, dem Verfallenen - wohl dem, der diese Nischen hochleben lässt und ihnen gar Schlafgemächer abgewinnt! bravo

Ich kann es aber nicht vermeiden, darauf hin zu verweisen, dass deine gleichwohl gelungene Einführung ein bisschen auf falschen Infos basiert und auch einige Vermutungen kritisch zu betrachten sind:
In Antwort auf: -Toast-

Mit den Regeln und der Ordnung nimmt man es hier im Süden des Landes generell nicht übertrieben ernst, wenn es denn dem angenehmen Leben zugute kommt. Bella vita!

...

Apropros Läden: Damit sind hier keine Lidls oder ähnliche Supermarktketten gemeint. Sowas gibt's in Neapel nirgends zu sehen, genauso wenig wie McDonald's und co... Wegen der Mafia. Stattdessen hat es überall noch diese kleinen Krämerlädchen, die zwar alle brav ihr Schutzgeld an die Camorra zahlen müssen, aber es letztendlich wohl auch dieser zu verdanken haben, dass sie noch in der Form existieren...

Sowohl die Mäcs also auch die Lidls gibt es natürlich auch in Neapel und somit fällt wohl auch die Begründuung "wegen der Mafia/Camorra". Es würde mich auch wundern, denn die wuselige Neapel-Atmosphäre findet für die neckische Bambini-Kultur in den amerikanischen Fastfood-Läden doch nur seine Fortsetzung - und wer will gar böses dabei denken, dass die Napoli-Pizza gar die Grundlage der amerikanischen Fastfood-Kultur begründen könnte (derer Italiener es ja genügend als Auswanderer gab). Ob es da Zusammenhänge gibt, weiß ich nicht, aber es passt schon - mehr sogar in den südlichen Mezzogiorgno als in die Nobelprovinzen des Nordens mit Piemont-Trüffeln und Chianti-Kelchen. Die Lidl-Kultur ist noch recht jung - das gilt aber für Frankreich wie einige andere Expansionsländer gleichwohl. Auch Discounter sind mittlerweile in Italien willkomen - Stichwort: Wirtschaftskrise, Verarmung der bürgerlichen Mitte. Das sind die Abräumer-Märkte für die Discounter. Ob die Expansion von Handelskette letztlich auch mafiös ist, kann man ja mal so in den Raum werfen. Die Mafiosi wäen dann aber keine Napolitaner - eher Wikinger. Lidl gibts auch in Napoli, Aldi weiß nicht.

Dass die Krämerläden alle mafiös gesteuert sind, auch das darf stark bewweifelt werden. Im altstädtischen Alltag ist die Camorra eher auf dem Rückzug, stattdessen besetzt sie immer mehr gewichtige Schaltzentren der Macht und der Wirtschaft. Eher schon ist das Müllproblem insbesondere im Speckgürtel der Stadt ein mafiös unterwandertes und verursachtes. Krämerläden in der City sind ja durchaus attraktiv - rein wirtschaftlich betrachtet - mindestens also lohnende Nebenerwerbsquelle. Eher sind Schutzgelderpressungen für Krämerläden ein ruinöses Klotz am Bein. Wenn die Läden aufblühen, kann das auch ein Hinweis auf weniger Camorra sein. Genaueres sollte man aber lieber prüfen.

Noch eine kleine Fußnote zum ersten zitierten Satz: Die Regelfreiheit mag dem Süditaliener da und dort noch vollkommen Freund sein, ist es bei genauem Hinschauen längst nicht überall, wohl auch nie gewesen. In Catania wird das Fahrverbot in den Fußgängerzonen-Bereichen der Stadt schärfer eingehalten als in mancher deutschen Stadt. Was außerhalb der Tore dann stattfindet, mag wieder anders aussehen. Strenger Katholizismus sorgt im Süden immer wieder für sehr viele gesellschaftliche Regeln - "frei zum Wohle des Lebens" ist halt relativ. Von den Regeln der mafiösen Strukturen ganz zu schweigen. Schon Giovanno Di Lorenzo (Chefredakteur Die Zeit, mit ital. Wurzeln) vermerkte einmal: "Wir Deutschen sollten weniger Verbote haben, man schaue mal nach Italien." - Leider kennt Herr Lorenzo nicht Italien - auch dieses Land ist voller Verbote und gar werden sie teils auch streng eingefordert. Und auch der Deutsche bleibt nicht immer vor jedem Verbot ehrfürchtig stehen, wie das oft kolportiert wird. Näheres dazu hier wäre aber zu weitschweifend. Das Klischee ist doch manchmal etwas zu einfach.

Nichts für ungut, weitere solche Reisenotizen sind immer willkommen.