Pässe für Anfänger – Schweiz im heißen August /2

von: albinkessel

Pässe für Anfänger – Schweiz im heißen August /2 - 07.01.16 11:08

Fortsetzung:

Ich hatte ganz vergessen, den Link zur meiner Route einzufügen.

Montag, 3. August 2015: Einsiedeln – Kunkelspass (SZ, GL, SG) / 107 km
Frühstück mit Tee und Schokolade, und dann im Frühtau zu Berge: Mit dem Sattelegg (1.190 m) stand der erste richtige Alpenpass an. Bequemerweise starte ich bereits bei knapp 900 m, so dass sich die mäßig steile Auffahrt durch den Wald recht einfach gestaltet.



Oben erblickte ich dann zum ersten mal „richtige“ Berge, mit Gletschern und allem (wahrscheinlich ist es der Hausstock in den Glarner Alpen):



Anstrengender war fast die Abfahrt ins 750 m tiefer gelegene Siebnen (im Bild der Blick ins Wägital).



Es gab, wie bei fast allen Passtraßen in der Schweiz, gleich mehrere ampelgeregelte Einbahn-Baustellen. Bei dem geringen Verkehr muss man zwar meist nicht anhalten, aber abbremsen schon. Ein Schweizer, mit dem ich mich darüber unterhielt, beklagte den Umstand, dass die Behörden derzeit nicht wüssten, wohin mit dem Geld, so dass überall beim kleinsten Schlagloch die komplette Straße saniert werde und das ganze Land daher voll Baustellen sei. Andere Länder, andere Probleme ...

Nach ausgiebigem Frühstück in einer Bäckerei ging es weiter Richtung Walensee; der Weg führt schnurgerade und schattenlos durch topfebene Felder, später auf dem Linth-Deich. Zum Ausgleich für die inzwischen beträchtliche Hitze wehte ein starker Gegenwind. Der Walensee ist ein verkehrstechnisches Nadelöhr zwischen Zentral- und Ostschweiz, Bahn, Autobahn, Landstraße und Radweg quetschen sich zwischen Seeufer und Steilwand. Teilweise ist der Radweg durch eigene Tunnel unterhalb der Autobahn geführt, und es geht viel bergauf und bergab.



Das schönere, nördliche Seeufer hat man stets im Blick, es ist aber leider nur per Schiff erreichbar. Die Osthälfte des Sees ist weniger spektakulär, der Weg führt meist nicht direkt am hier bebauten Ufer. Nach einer Mittagsrast mit Brot und Käse in der prallen Sonne (am Seeufer in Mühlehorn war partout kein Schatten zu finden) wechselte ich bis Walenstadt auf die fast leere Landstraße, da der Radweg in den Orten doch recht verwinkelt ist. Nach dem Ende des Sees führt der Radweg etwas monoton am Ufer der Seez entlang, dafür wird die Landschaft weiter und schöner, mit Blick auf den Falknis und die anderen Gipfel dieser als „Heidiland“ vermarkteten Gegend.

Bad Ragaz – wo im Roman der Vater vom Heidi Urlaub macht – liegt zwar landschaftlich schön in den Ausgang der Taminaschlucht gedrängt, hat aber als Kurort schon bessere Zeiten gesehen. Trotzdem gab es ein Cafe mit großen Eisportionen, bevor ich mich an den langen Aufstieg durchs Taminatal machte.



Die ersten dreihundert Meter in Serpentinen bis Pfäfers sind steil; ein Blick in die Kirche des dort auf einem Bergsporn thronenden, barocken Klosters (heute Krankenhaus) empfahl sich schon wegen der angenehmen Kühle im Innern. Der weitere Weg durchs wilde Taminatal ist weniger anstrengend; ich fühlte mich landschaftlich in den Film „Die Wand“ versetzt, wo die Protagonistin in einem einsamen Gebirgstal durch eine Gläserne Wand von der Außenwelt abgeschnitten wird. Oberhalb von Vättis wird die Straße dann zum Schotterweg und ist für den Durchgangsverkehr gesperrt, der Ort Kunkels ist nur eine Ansammlung verstreut liegender Ferienhäuser im Wald. Danach wird es wird nochmals richtig steil; eine lange Rampe kurz vor dem Pass nötigte mich zu einer außerplanmäßigen Schokoladenpause, nachdem ich locker von zwei älteren Damen auf Elektrorädern überholt worden war.







Oben auf dem Kunkelspass, 1.357 m (nicht: Kunkel-Spass zwinker ) gibt es das Gasthaus „Überuf“ – eher eine Berghütte für Wanderer, Kletterer, Mountainbiker.



Eigentlich hatte ich vor, hier oben irgendwo zu Zelten. Aber alle halbwegs horizontalen Flächen waren eingezäunt und/oder bereits von vierbeinigen Dauergästen belegt. So entschied ich mich doch für das Matratzenlager, das ich mir mit nur einem anderen Gast teilte. Dieser, ein 16-jähriger Rennradfahrer aus Zug, unterwegs ins Ferienhaus der Eltern im Tessin, verbrachte allerdings die gesamte Zeit meines Aufenthaltes im Bett – obwohl sowohl Sonnenuntergang als auch Aufgang sehr hübsch anzuschauen waren.






Dienstag, 4. August 2015: Kunkelspass - Bravuogn (GR) / 59 km
Bei der Südabfahrt vom Kunkelspass sind vor allem die Bremsen gefragt: Die Straße überwiegend Schotter und löchrig, und teilweise auch recht steil. Dafür gibt es keine Autos, und man hat spektakuläre Ausblicke ins Rheintal (unten in der Mitte Tamins mit seinem spitzten Kirchturm, dahinter der Zusammenfluss von Vorder- und Hinterrhein und das Domleschg; auf dem zweiten Bild das gleiche von unten):





Im Rheintal hielt ich mich hinter Rhäzüns auf der östlichen Flussseite, also nicht auf der Veloroute, sondern auf der kleinen Straße über die Dörfer. Die Steigungen halten sich in Grenzen, und es ist hübscher als neben der Autobahn. In Pratval gab es sogar eine kleine, göffnete Fahrradwerkstatt, die mir mit ein paar Tropfen Öl für die Kette aushelfen konnte (Öl hatte ich vergessen einzupacken). Ab Sils, wo ich wieder auf die Graubünden-Route traf, wurde es anstrengend: Zum einen drückte die Hitze, Gewitter brauten sich zusammen. Dann gab es ausnahmsweise weit und breit keinen Laden, so dass ich den Anstieg zum Albulapass ohne richtige Rast anging. Jener führt zunächst über die Schnellstraße, wo es viel Verkehr und zwei längere Tunnel gibt, letztere glücklicherweise mit leichtem Gefälle (wenn man in Richtung Pass fährt). Der Lärm der LKW ist sehr unangenehm, Licht am Rad dringend zu empfehlen. Bald danach verlässt die Veloroute die Schnellstraße, dafür geht es steil bergauf bis Alvaschein und wieder hinunter nach Tiefencastel, wo die Julierstraße abzweigt. Der Ort selbst liegt auf einem Hügel, aber unten am Kreisel gibt es eine gute Bäckerei, wo ich endlich zu meiner Jause kam (und zu einem Maronibrot für den Vorrat schmunzel ). Für diese fand sich allerdings ersteinmal kein Plätzchen, das mir gefiel, erst bei Alvaneu Bad gab es ein wenig Schatten und Aussicht auf die Rhätische Bahn (ich blieb hier auf der ruhigen Straße, trotz einigem Auf und Ab, dafür aber mit Aussicht. Der Radweg verläuft geschottert unten am Fluss).

In Filisur, einem hübsches romanischen Straßendorf, das den kleinen Abzweig von der Hauptstraße lohnt, beginnt dann der eigentliche Aufstieg zum Albulapass. Die Dörfer in Graubünden haben schon einen deutlich südlichen Flair, auch schon auf der Alpennordseite. Es ist auch nicht mehr ganz so aufgeräumt, um nicht zu sagen steril, wie in der Deutschschweiz; vielleicht gibt es hier weniger Geld. Die Straße ist spektakulär in die Alvra-Schlucht gebaut, und steil:





Ich tat mich, vielleicht auch wegen der drückenden Hitze und der zu späten Mittagspause, ziemlich schwer und musste unter dem Vorwand, Fotos machen zu müssen, mehrmals anhalten. Spätestens hier fiel die Entscheidung, heute nicht bis zur Passhöhe zu fahren, sondern die Etappe in Bravuogn (Bergün) zu beenden, das günstig etwa auf halber Höhe auf einer Talstufe liegt.



Sie verkaufen dort extra für müde Radler spezielle Energieriegel, mit Nüssen, Honig, Karamell und einer Mürbeteighülle. Die Bündner Nusstorte brachte mich wieder zu Kräften. Kurz oberhalb des Ortes liegt ein Campingplatz, der schönste auf meiner Fahrt: Die große Zeltwiese ist vom Rest des ohnehin kleinen Platzes durch ein tiefes Bachtal getrennt.



Im Laufe des Nachmittags gestellten sich noch fünf oder sechs Zelte hinzu – allesamt Radreisende mit unterschiedlichsten Zielen. Bald kam auch das lang erwartete Gewitter, das hier oben im Talkessel mächtig Krach machte; ich verbrachte die Zeit lesend im Zelt, nachdem ich schlauerweise kurz vorher noch meine Sachen gewaschen hatte – morgens hatte ich dann das erfrischende Vergnügen, in die feuchte Radhose zu steigen ...

Zum Abendessen fand sich eine nette Runde um den bedachten Campingtisch zusammen, da es noch immer tröpfelte. Die Stimmung wurde auch kaum durch einen umstürzenden Gaskocher getrübt, wobei sich der Inhalt des Topfes in eine unvorsichtig unter dem Tisch platzierte Packtasche ergoss.

Mittwoch, 5. August 2015: Bravuogn – Maloja (GR)/ 59 km
Die heutige Etappe über den Albulapass sollte eher kurz werden, weil ich ja unbedingt im Engadin Station machen wollte. Trotzdem wurde es ein gut gefüllter Tag. Er begann, nach Tee und Nüssen, mit einer wunderschönen morgendlichen Auffahrt. Dieser Teil der Albulastrecke war vielleicht der schönste Abschnitt meiner Tour: Die Landschaft ist herrlich, die Luft war frisch und vom Gewitter gereinigt.





In der kargen Gegend werden seltsame Dinge angebaut: Ein ganzes Feld voll Disteln, die gerade geerntet wurden:





Die Straße ist angenehm. Es gab kaum motorisierten Verkehr, nur zahlreiche Rennradfahrer. Der Eindruck einer Hauptverkehrsachse täuscht, es geht beschaulich zu, nur an der Passhöhe war es trubelig:





Einige Verkehrsteilnehmer benehmen sich allerdings wie Rindviecher:



Die Abfahrt ist kurz und schnell. Im weiten Talboden des Engadins bieten sich kontrastreiche Blicke – hier auf den Piz Palü:



Bis Samedan blieb ich auf dem geschotterten Innradweg, dann hielt ich mich auf der nicht allzu stark befahrenen Straße durch St. Moritz. Große Steigungen gab es zwar nicht mehr, aber der „Malojawind“ blies heftig von vorne, so dass es trotzdem ziemlich anstrengend war. Aber des Einen Leid ist des Anderen Freude, hier am Silvaplanasee:





Letzterer lässt sich auf gutem Schotterweg südlich umrunden, anders als der anschließende Silser See: Der Innradweg führt hier auf die stark befahrene Straße. Ich nahm stattdessen den Wanderweg auf der Südseite, der sich bald als kraxeliger Pfad in die Höhe windet. Ein paar Mal musste ich absteigen, um felsige Passagen zu überwinden, teils auch tragend. Die Mühe lohnte sich, vom höchsten Punkt bietet sich ein fast unwirklicher Ausblick auf den See:



Die zweite Hälfte des Uferweges ist dann wieder gut fahrbar und wunderschön.



Mein Ziel für heute war der Campingplatz „Plan Curtinac“, ganz am Ende des Sees, kurz vor Maloja, auf immerhin 1.800 m Höhe. Der Ort ist traumhaft gelegen, ein echter „Naturcampingplatz“, mit Ausblick auf den See und Badestelle, die ich diesmal sogar nutzen konnte.





Im Talschluss des Engadin fühlt man sich wie am Ende der Welt: Die Landschaft ist nach zwei Seiten hin weit offen, aber trotzdem von hohen Bergen umgeben. Nach Westen, über den Malojapass, geht es nicht mehr weiter, sondern nur noch hinunter. Der Blick schweift weit zu fernen Bergen im Dunst.

Donnerstag, 6. August 2015: Maloja – Bellagio (IT) / 106 km
Morgens brach ich früh auf, am See war es noch ganz ruhig, kein Wind mehr. Frühstück besorgte ich im örtlichen Kramladen, um es auf einer Bank mit Aussicht zu verzehren.





Dann stürzte ich mich in die lange Abfahrt ins Bergell.



Die Maloja-Passstraße war schon gut befahren. Runterzugs ist man in den vielen Serpentinen aber fast genauso schnell wie die Autos, die zudem durch eine der obligatorischen Baustellenampeln ausgebremst wurden, so dass ich über längere Zeit meine Ruhe hatte. Raufzugs ist es aber sicher kein Vergnügen.

Im Bergell wehte der Wind zur Abwechslung talaufwärts, aber es ging auch so fast von alleine. Trotzdem legte ich eine längere Pause im Hotel „Bregaglia“ in Promontgno ein, einem herrlichen alten Grandhotel-Kasten, in dem die Zeit spätestens in den 50er Jahren stehengeblieben ist. Zum einen sitzt man dort mit tollem Blick in die Granitwände des Piz Badile, und es gab zum anderen eine Steckdose für die Akkus sowohl von Handy als auch von Kamera, die beide plötzlich leer geworden waren. Außerdem hatte ich Zeit heute, denn ich war erst am späten Nachmittag in Menaggio mit Freunden verabredet, die am Comer See Urlaub machten. Und bis dorthin sollte es fast nur bergab gehen schmunzel .





In Chiavenna ist man schlagartig in einer anderen Welt angekommen: Fast 2000 m tiefer, in Italien! Ein Abstecher in die Altstadt lohnt sich sehr. Als ich ankam, begann gerade die Siesta. Ich zog mich in einer schattigen Gasse in ein Eiscafe zurück, um ein kühles „Mittagessen“ einzunehmen. Schließlich hatte ich den Vorsatz gefasst, während meiner zwei geplanten Italien-Tage eine möglichst große Menge Eiscreme zu verzehren, womit ich natürlich so früh wie möglich beginnen musste.

Von Chiavenna zum Comer See führt ein überraschend guter und ausgeschilderter Radweg abseits der Straße; das leichte Gefälle glich den jetzt schon stärkeren Gegenwind aus. Erst ab dem Lago die Mezzola wird es eng und ich wechselte irgendwann auf die Straße. Es war inzwischen brutal heiß, die Straßen und Orte wie ausgestorben; das galt auch für die große, autobahnkreuzartige Schnellstraßenkreuzung bei der Adda-Brücke. Die Hitze zwang mich, an den Seepromenaden in Colico und Bellano erneut „Kühlmittel“ aufzufüllen lach . Die Straße an der Ostseite des Comer See lässt sich im übrigen gut fahren, der Autoverkehr spielt sich auf der weiter oben meist durch Tunnel geführten Schnellstraße ab.

Vom hübschen Varenna nahm ich dann die Fähre zum gegenüberliegenden Menaggio, um meine Freunde zu treffen. Bei Einbruch der Dämmerung setzte ich dann nach Bellagio über, wo ich einen Campingplatz ins Auge gefasst hatte, der nicht nur oben am Berg lag, sondern auch schlecht ausgeschildert war, was Zeit und Kraft kostete. Endlich angekommen, wurde ich vom „Clarke Camping“ (englischer Wirt) tatsächlich abgewiesen: Der Platz sei voll, auch für mein Mini-Zelt sei kein Platz, andere Gäste hätten reserviert, denen könne man nicht zumuten, noch jemanden dazuzuquetschen. So etwas ist mir auf einem Campingplatz noch nie passiert! Die am Campingplatz empfohlene Pension (wieder 20 min. Suchen) war ebenfalls voll, der nächste Platz lag 10 km weiter Richtung Lecco (die falsche Richtung) oder wahlweise 400 m höher auf dem Berg. Da es inzwischen stockdundel war, verzichtete ich auf beides und quartierte mich stattdessen im ersten Hotel am Platze ein, dem „Splendide“ direkt am Seeufer. Dort war es zwar sogar noch teurer, als auf einem Schweizer Campingplatz, dafür war das – für italienische Verhältnisse – hervorragende Frühstück inclusive und mein Fahrrad wurde hinter der Rezeption in der marmornen Halle verwahrt.