Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien

von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 14.12.15 21:57

KAPITEL VII
Saurische Sprachinseln, Teufelsrampen und eine Bierspezialität:
Die abgeschiedenen Bergregionen in Karnien


So 12.7. Gemona – Colle del Leone (260 m) – Venzone – Bordano – Sella Interneppo da Bordano (303 m) – Camping Lago di Cavazzo – Verzegnis/Lago di Verzegnis – Sella Chianzutan (955 m) – Val di Preone – Sella Chiampon (789 m) – Preone – Mediis – Ampezzo – Albergo di Pura
W: bis ca. 26 °C, sonnig, windig
Ü: C wild 0 €
AE (Albergo di Pura): Gnocchi m. Kräutern, Polenta mit Gams, Strudel, Rotwein, Cafe 27,80 € (*)
75 km | 10,2 km/h | 7:16 h | 1565 Hm

Der Camping in Gemona liegt bereits jenseits der nordwärts wieder abfallenden Stadtseite. War abends bereits das kleine Bistro geschlossen, in dem es auch Speisegerichte geben soll, ließ sich der Betreiber auch am Morgen nicht blicken. Ein germanischer Reiseradler erzählte mir seine hehren Absichten, den Alpe-Adria-Radweg zum Einrollen genutzt zu haben – nun häbe er Größeres vor in Richtung Gardasee mit hohen Dolomitenpässen. Noch ein Paar konnte ich als velophil identifizieren, blieb aber unter den Zeltwänden verborgen. Gemäß den Rädern lag auch hier germanisches Blut wohl vor.

Unweit des Campings befindet sich ein Kalkofen, der die Region im 20. Jahrhundert mit dem wichtigen Baustoff Branntkalk versorgte und hier in den kalkreichen Bergen Gemonas von besonderer Qualität war. Erst 1965 wurde die Produktion eingestellt. Wenig weiter beim nächsten Ort, treffe ich erstmals auf die verschwenderischen Barrikadenverbauungen des CAAR. Doch die Trassierung des Radwegs wird flugs umgeleitet zu einem Biotop hinter einem kleinen Bergkegel. Da mich einige zähnefletschende Hunde wieder als Alien enttarnten, nahm ich den Weg zu dem Seebiotop zur anderen Seite und drehte so eine Sonderrunde. Hier liegt grober Schotter, genau das Gegenteil der aalglatten Fahrradautobahn die wenigen Meter zuvor und danach. Das Biotop – mehr ein Tümpel, der zweifellos besondere Frösche beherbergen könnte – wirkt recht fahl und unaufgeregt. Der Zauber des Ortes ist doch eher bescheiden, der Umweg zur Straße nicht unbedingt lohnend.

Ausgangs des Ortes stößt man an der Straße aufs Tagliamento-Ufer. Hier breitet sich ein riesiges Flussbett aus, ein blaues Band zieht sich durch grellweiße Flusskiesel und die Berge bilden eine Kulisse für ein Schauspiel, das nun wieder die alpinen Figuren auf die Bühne stellt. Der Tagliamento ist einer der wenigen Alpenflüsse insbesondere in den Ostalpen, der noch weitgehend dem natürlichen Lauf überlassen wurde, was sich in diesen weiten Flussbänken abbildet, die sich etwa abwärts von Tolmezzo besonders stark ausprägen. Zurück auf dem CAAR, werden alle Register des Radwegebaus gezogen. Sogar die Brückensteigungen und -gefälle sind ausgewiesen, damit sich kein Radler verschreckt im ebenen Gleichklang. Sicherheit wird so groß geschrieben, dass Verbrecher aus dem Fahrradkorridor nicht flüchten können – soweit Halunken über velophile Neigungen verfügen sollten.

Die Velophilie der Region steigert sich zum Velophilismus vor den Toren Venzones. Ein Gasthof stellt Blumenräder aus, die Barriere von Terrassen und Garagen sind dem Velomobil angepasst und obwohl der Autofahrer hier genauso vorbei kommt, wird der Radler nahezu exklusiv umworben. Venzone liegt wie Gemona hinter einer Stadtmauer, ist aber flach eingebunden, obwohl die Umgebung deutlich alpiner ist – hier markiert eine Kluse die Grenze zwischen Alpenland und friulanischer Ebene oder – zwischen Wein und Kuhmilch. Venzone gibt sich etwas verschlafener als Gemona, der Charme der speziellen Hybridlage spricht aus den stillen Gassen. Auf der zentralen Piazza drängt sich über den Fassaden und dem Kirchturm die Bergwelt auf, die Bauweise diszipliniert sich aber in einheitlichen Tönen, die die Stadt wie aus dem Berg gehauen erscheinen lässt. Leider traf Venzone das Erdebeben noch mehr als Tarcento oder Gemona und mancher Stein hier hat nur ein junge Geschichte, auch wenn er sein wahres Alter gerne höher angibt – umgekehrt zur Eitelkeit des Menschen. Es gibt an vielen Läden auffällige Dekorationen, Hexenpuppen und plüschige Violettverkleidungen der Schaufenster. Die Bäckersfrau vermag mir den Sinn aber nicht zu verraten – Fest sei keines geplant, sagt sie. Ich finde Hinweise auf ein Theaterstück „Die Schöne und das Biest“. Irgendwie scheint es dazu einen Bezug zu geben – entweder Werbung oder Freikulisse.

Jenseits der Festungsanlage gelangt man über eine Brücke über das breite Flussbett des Tagliamento. Ein wunderbares Flirren liegt in der schon heißen Morgenluft. So schön führt eine kleine Straße an Steinmauern mit leuchtend grünen Grasbüscheln unter hellem Laubdach vorbei. Da ich das Zentrum von Bordano umfahre, stoße ich nicht auf das flatternde Flirren des Farbenglanzes, das den Ort auszeichnet – erst in Interneppo, dem Nachbarort zur anderen Hügelseite, werde ich der Besonderheit gewahr. Es ist hier Poesie an den Häusern, die Poesie der schillernden Farben, ihres Lichtes, ihres flatterhaften Lebens, das die betäubende Verführung der Iris ins Auge rückt – es ist die Poesie der Schmetterlinge, ein bildnerisches Gedicht, dessen facettenreiche Verszeilen als moderne Fresken auf den Fassaden der Häuser gemalt sind. Schon Pier Paolo Pasolini, der lange nicht unweit im Tagliamento-Tal in Casarsa lebte, widmete einige Zeilen dem Insekt, im Widersinn von Pracht und Verführung (aus „Scheusal oder Schmetterling?“ in Pier Paolo Pasolini u. a. „Wie eine Viole in Casarsa“, S. 29):

„Es ist ein Schmetterling aus Heiterkeit,
der mir in den Himmel der Seele fliegt.
Himmlischer Schmetterling ohne Schatten
Im Dunkel der himmlischen Adern.

Nein, es ist ein Scheusal aus Heiterkeit,
und sein Himmelsblau ist Gift.
In den nackten Augen gefriert mir das warme Licht
vor seinen nackten Augen.

Nein, es ist ein Schmetterling aus Milch,
Schimmer des Sommers in meinen Sommer. …“


Die Schmetterlinge hier werden einem einfach in die Linse gelegt – alle halten still, sie sind auf den Fassaden zu Ausstellungsstücken einer offenen Museumsgalerie verdammt. Schmetterlinge umflattern aber auch den Monte Simeone – ein Paradiesgarten mit kriegshistorischen Makeln. Neben Schmetterlingen sind an der Passstraße oberhalb von Bordano auch Radler auf Stein gebannt. Hier wird dem italienischen Radsport ein farbenreicher Tribut mit seinen Helden gezollt. Mehr zu den Schmetterlingshäusern von Interneppo und dem Radsportfresko findet sich unter Bilderrätsel 875.

Interneppo ist das Tor zum Lago di Cavazzo, der größte See des Friauls. Nur selten gelingt es, ein hässliche Autobahnbrücke zum ästhetischen Stilelement einer Landschaft zu machen – am Lago di Cavazzo gelingt das mit einer schon fast beängstigen Graziösität für dahinschmelzende Augenaufschläge (erinnert etwas an den Fuzine-See im Norden Kroatiens). „Welch ein Traum!“ bestätigt ein Paar aus Österreich auf fünf (!) Rädern – sie mit gewöhnlichem, muskelkraftangetriebenen Zweirad, dahinter mit Zweiradhänger für das Gepäck und er solistisch mit einem Einrad. Große Steigungen sind ihre Sache gewiss nicht und sie nehmen wieder den einfachsten Rückweg der Exkursion vom Tagliamento-Tal aus, aber auch da gibt’s Steigungen. Balancekünstler der velophilen Art.

Wer den Cavazzo-See sucht, wird verzweifeln, denn ausgeschildert ist dieser als Lago dei Tre Comuni, obwohl an die Ufer keiner der Gemeindeorte richtig heranreicht. So bleibt das Türkis des Sees ein recht naturbelassenes, auch wenn von Straßen zu beiden Seiten eingeschlossen. Die Badeplätze sind allerdings auch beschränkt auf den touristischen Trichter im Süden mit einer auffälligen Fußgängerbrücke, Teil eines größeren Erholungsparks. Die Seestraße am Westufer verhindert meist Blicke auf den See, das bewaldete Ufer ist dicht verwachsen. Im Norden bei Mena sind seltsame Tiere zu sehen. So schwebt ein Schwarm fliegender Fische über den Wiesen, ein weiterer Fisch betätigt sich gar als Freeclimber im hohen Fels. Auf der Wiese sitzt eine Eule und ließt kluge Bücher. Da ich nicht über gehobene Kenntnisse in den Wissenschaften der Aquaristik und Ornithologie verfüge, muss ich die Dinge hier unerklärt stehen lassen.

Ein kleinerer Hügel führt oberhalb eines weitgehend unsichtbaren Tümpels vorüber. Auch ein Radweg wurde hier mal versucht, der aber in Geröllhalden kläglich verendet. Bald befinde ich mich am Tagliamento-Kiesbett wieder, der Fluss bildet hier an der Brücke nach Tolmezzo gleich mehrere Badeseen. Nun sollte es ja aufwärts noch einen See geben, der von Verzegnis. Der Ort ist schwer zu erklimmen, der See nicht zu sehen. Ihn muss man abseits des Ortes über eine Gefällstraße aufsuchen. Auch hier leuchtet ein tiefes Blau – es ist aber nur ein Stausee, der über keinerlei schöne Uferzonen verfügt. Baden ist eher nicht möglich und wenn bekommt man Schlammfüße. Auch hier führt eine Brücke rüber, die mit einem Parkplatz endet – nicht ganz, unsäglich steil könnte man eine Abkürzung nehmen, die für mich aber nach Kartenlage nicht gesichert asphaltiert ist. Nachdem ich zurück zur regulären Chianzutan-Passstraße gefahren war, und den Bogen durch eine weitere Senke, lässt sich zumindest vermuten, dass es eine asphaltierte Variante direkt vom Verzegnis-See zur Passstraße gibt. Empfehlen würde ich es aber nicht.

Der Sella Chianzutan ist nun sanft in weiten Kehren zu fahren, bieten reichlich Panorama auf die Bergketten nördlich des Tagliamento. Auf der Passhöhe haben sich viele Motorbiker beim offensichtlich beliebten Berggasthof versammelt. Der Pass bildet eine kleine Hochmoorebene, die nach Süden eine spezifische Wiesenflora abbildet. Dann sind es nur wenige Kehren durch Buchenwald hinunter, wo man mitten im Abfahrtstaumel in einer Kehre scharf nach Westen abbiegen kann. Das Val de Preone (zu beiden Passseiten mit dem selben Talnamen bezeichnet, wie im Friaul häufig zu finden) ist eine der urigsten Entdeckungen Reise. Eine auf schmalen Grat an Felsen entlang geführte Straße schleicht sich den Berg hoch, immer wieder auch beschattet von einem ausgeprägten Buchenwald. Die launige wie kühne Trasse hält größere Verkehrsströme ab, denn die Fahrt ist nicht ungefährlich und ohne stetige Hupwarnungen für Autos nicht sicher passierbar. Dennoch ist auch hier nahe dem Chiampon-Pass eine beliebte Picknick- und Badestelle im Wald. Auf den Wiesen, teils mit Glockenblumen gut geschmückt, verteilen sich einige bescheidene Ferienhäuser, ein Gasthof liegt versteckt etwas abseits der Straße.

Hinunter ist das Erlebnis nicht weniger aufregend, ein enges Kurven- und Felsenlabyrinth, die Straße muss häufig mit Metallnetzen vor Steinschlag geschützt werden. Einen Gegenanstieg, sonst gehasst, verlängert das Abenteuer hier sehnsüchtig. Der hautnahe Sog am Bergfels kitzelt ein berauschendes Lachen der Sinne heraus. Die Anfahrt von Norden dürfte deutlich schwerer sein als die von Süden, auch wenn ich das lang gestreckte Val’dArzino nicht aufgefahren bin. Das Tagliamento-Tal mit dem Ort Preone erreicht man so fast wie aus dem Traum gerissen. Man mogelt sich etwas unübersichtlich zur SS 52, die nunmehr nach den Einsamkeiten sehr stark befahren wirkt. Einfach ist die Route auch nicht so richtig, zäh trifft es am besten.

Ampezzo stellt sich per Ortschild als die Kapitale Karniens vor. Ob es nur an der wolkigen Eintrübung liegt, dass sich ein geheimnisvoller Schleier über ein zurückhaltendes Bergvolk legt? Der italienische Charakter lauter Plätze ist nicht präsent – eher der gepflegte Umtrunk geschwätziger Bewohner, die es aber vermeiden, übergebührliche Aufmerksamkeit zu wecken. Einige Höhenmeter später nach dem Ort findet sich noch ein Transit-Gasthof unmittelbar beim Abzweig zur Pura-Passstraße. Die Verhandlungen für ein Zimmer, die vorgegebenen 45 € zu unterschreiten, verlaufen nicht erfolgreich. Der Eindruck düngt mich, dass die Zimmer ihren Preis kaum wert sind – so zumindest sagen es Ambiente und die nicht überzeugende Essensqualität. Auch gab es unfreundliche Andeutungen, sodass ich mich nicht wohl fühlte. Da macht ein Alien schon gar keinen Tausch. Der Ur-Karnier in diesen hinteren Bergregionen scheint eine gewisse Ähnlichkeit zum Schwaben in Germanien zu haben – soweit ich das beurteilen kann (mir ist Schwaben nur aus kurzen Exkursionen bekannt). Ein gut verträglicher Schlafplatz lässt aber nicht lange auf sich warten: Direkt in der Kurve oberhalb steht eine Wetter- und Picknickhütte, die sogar den Zeltaufbau erspart.

Mo 13.7. Albergo di Pura – Passo del Pura (1428 m) – Lac di Sàuris – Sàuris di Sotto – Sàuris di Sopra – Sella di Rioda (1800 m) – Forcella Levardet (1542 m) – Campolongo – Sappada – Cima Sappada/Bladensattel (1299 m) – Forni Avoltri – Rigolato – Comeglians
W: bis ca. 22 °C, bewölkt, wenige Regentropfen, auch schwül, windig
Ü: C wild 0 €
AE (Albergo Alle Alpi): Tagliatelle m. Pilzen, Frico, Polenta, Kuchen, Rotwein, Cafe 25 € (*)
84 km | 10,3 km/h | 8:09 h | 1930 Hm

Das Dunkle, Fremdartige und Verschrobene der Region verstärkte sich erneut durch die düstere Wolkendecke über den Bergen, die kaum aufheiterte. Der Pura-Pass stellt eine harte Herausforderung da – er ist die Alternative zur regulären Transportstraße nach Sàuris, die durch ein anderes Tal mit Tunnels führt. Durch die Passhöhe über ein Seitental summiert man so zusätzliche Höhenmeter, die sich mittels der Differenz von Passhöhe zum Sàuris-See berechnen lassen. Die Mühe ist lohnend, Felswände, tolle Ausblicke und straßenbegleitende Blumenwelten – meist in Goldgelb – sind die ästhetischen Attribute. Zu den kratzbürstigen Bewohnern Karniens gehören auch Skorpione, die die Straße überwachen. Ich konnte sie aber davon überzeugen, ihre stacheligen Waffen nicht kriegerisch einzusetzen und führte Friedensgespräche auf Asphalthöhe. Der karantanische Friedensgeist blieb gewahrt, wenn ich auch nicht in solch innige Freundschaften eintauchen konnte wie mit der Kröte von Kal nad Kalanom oder den Fröschen vom Egelsee.

Oben gibt es mehrere Einkehrmöglichkeiten, das Rifugio leicht unterhalb auf der Nordseite war von internationalen Seminarteilnehmern belegt – offensichtlich wieder ein Zeichen der kulturellen Offenheit des karantanischen Geistes, mit dem man sich auch mit Japanern und Amerikanern verbündet. Der Wald zum See wirkt mystisch und wird auch so bestätigt durch Sagengeschichten, die dem Besucher auf Tafeln erzählt werden. Der Lac de Sàuris ist zunächst kaum durch Bäume hindurch zu sehen, erstrahlt dann aber kräftig blau bis türkis. Vom Staudamm aus ist zu erkennen, dass sich talabwärts eine undurchdringlich enge Schlucht zieht, was die Tunnels erklärt, die für die Straße in den Fels geschlagen werden mussten.

Gleich noch vor Ortsbeginn finden sich Zeichen einer besonderen Gegend – einer altbairischen Sprachinsel. Sàuris – zur eigenen Sprache Zahre genannt, teil sich einen Unter- und Oberort. Die Namen der Bewohner sind „Ekharle“ oder „Schneider“, ein Gasthof heißt z. B. „Kursaal“. Im Unterdorf sind die Spuren des Schinkenfestes zu sehen, dass ich eigentlich besuchen wollte. Es wird im Juli an zwei Wochenenden gefeiert, nicht aber in den Wochentagen dazwischen – also nicht an diesem Montag. Geplant hatte ich ja die Sonntagsankunft, um dann dort in Sàuris auch eine atmosphärische Übernachtung einzulegen. In meinen tiefen Ahnenwurzeln spielen saurische Gene eine besondere, wenn auch weitgehend noch unerforschte Rolle, sodass ich Sàuris mit großen Erwartungen bereiste.

Nun konnte ich zwar im vom bekanntesten Schinkenproduzenten die Schweinespezialität erwerben (ich mag ihn lieber als San Daniele, wie trockener) – es gab aber nicht mal eine ordentliche Picknickgelegenheit, zumal der Wind kalt in die Glieder fuhr. Die Architektur der Zahrer ist speziell und weist teils Elemente der Dolomiten auf (viele Bajuwaren auch dort) und aber auch der Holzbalkenkonstruktionen der Walser (auch deutsch sprechende, vom Aussterben bedrohte Sprachinseln in den Alpen). Etwas verunsichert über die ausgestorbene Montagsatmosphäre nach dem Festsonntag, suchte ich weitere saurische Spuren im Oberdorf. Hier wird die das Zahre-Bier vermarktet. Proben gibt es aber nicht bei der Zahre-Bier-Hausadresse. Die Büroangestellten gaben mir jedoch freundliche Hinweise, wo ein Glas des speziellen Bieres, das für herbe Noten wie auch eine Rauchbiervariante bekannt ist, am besten zu verkosten sei. Trotz Zahre-Bier blieb mir der saurische Bergkarnier etwas verschlossen. Saurische Völker – Schwaben, Basken oder Korsen – sie alle verbinden doch ähnliche Charaktermerkmale.

Neben Schinken, Bier, Tourismus, Bergbauerntum ist auch Holz ein Wirtschaftsfaktor – ein Kunsthandwerker hat ein Ur-Fahrrad nachgebaut. Nach den anspruchsvollen Rampen zu den beiden saurischen Ortsteilen geleitet die Route dann durch einen träumerischen Lärchenwald, dessen Gardinenmuster das geheimnisvolle Sàuris mit leuchtgrünen Toren abschließend oder eintretend verschleiern. Es eröffnen sich nun steinszenische Darstellungen, Skulpturengalerien aus natürlichem Fels – von soldatischen Pyramidenreihen bis zu solistischen Sagencharakteren – manchmal nicht unähnlich zu mittelasiatischen Gebirgswüsten. Die Berghänge versammeln sich in einem weiten Kessel – das Steingrau prägt auch die Straßentrasse mit den bogenförmig ausgestochenen Mauerleitplanken. Der Anstieg, jetzt wieder stramm, erobert schließlich beim Sella di Rioda eine Hochebene mit eigentümlicher Vegetation. Nach leichtem Höhenverlust zur Val-Pesarina-Straße könnte man noch den nahe liegend Sella di Razzo aufsuchen – nur dort gibt es einen Berggasthof. Die mir schon vorbekannte Passhöhe lasse ich aber aus und begebe mich nun zum Abzweig zum Forcella de Levardet, der kaum als Passhöhe wahrnehmbar etwas abseits der Pesarina-Straße liegt.

Schilder kündigen die Straßensperre an, die Südrampe des Passes ist ein verbotener Weg, obwohl sich immer noch Hinweise finden, dass es mal eine offizielle Strada statale war. Einige Einheimische lassen sich auch nicht abschrecken, zumal die Sperrung halbherzig ist, die Schranke offen. Gibt es andere Beispiele, wo Verbindungen nicht ausgebaut werden, so wird hier eine ehemalige Verbindung verfallen gelassen. Man kann es kaum Umweltschutzgründen zuordnen. Die heftig rumpelige Piste ist kaum zu fahren. Ich muss sie als nicht radreisetauglich einstufen – sowohl bergab wie bergauf. Das Rutschen im oberen Teil führt durch schlichten, geradlinigen Fichtenwald, Bergblicke bleiben weitgehend verwehrt. Ein erstes Highlight aber ist ein Moosstufenwasserfall – nur klein, aber fein. Mit der ersten Furt, die betoniert ist, verbessert sich der Wegezustand, aber auch die aufregende geröllartige Bergwelt schiebt sich besser ins Auge. Die Straßenzustände wechseln nun häufig. Hat man mal ein Stück Flüsterasphalt erreicht, wird man zur nächsten Furt hin wieder von Rumpelpiste überrascht. Die Flora bleibt bescheiden, aber die Felsenwelt übernimmt die szenische Regie mit großer Dramaturgie. So lassen sich Feinschmeckerserpentinen verkosten, die eigenwillig symmetrisch angeordnet sind. Steil sind diese nicht, das Höhenprofil bleibt aber insgesamt ähnlich wechselhaft wie die Straßenbeläge.

In Campolongo sieht es typisch nach Dolomiten aus. Die Bauweise ist eine Schnittmenge verschiedener Bergkulturen, auch sàurische Elemente sind noch vorhanden. Das Tal ist nun belebter und besiedelter. Da wenig Platz, müssen einige Häuser höher gebaut werden – ein Hauch Andorra. Auch nach Norden sieht man einige Bergsiedlungen auf den Halbhöhen, mehrere Seitentäler führen weiter in die Bergwelt, von denen ich einige geplant hatte zu radeln, sie aber meinem galaktischen Reisezeitfenster opfern musste. Der Anstieg ist weich, ein schöner Wasserfall mit feinem Sprieß vor der Hochebenenöffnung des Sappada-Sattels. Dort herrscht erhöhte Betriebigkeit – zu Sommer wie zu Winter. Die Bergkulissen sind allzu verführerisch. Es sind die Sensationswelten zwischen Dolomiten und Karnischen Alpen, mit denen hier Werbung gemacht wird: „Himalaya-Feeling“, „Tibet in Karnien“ oder „11 km bis nach Nepal“. Die Bergszenerie, die sich zu beiden Seiten der Almwiesen und Siedlungsbereiche erhebt, erinnert auch im ganzen Betriebe an die Dachstein-Panoramaroute im Nordwesten der Steiermark, wenngleich dort nur nach einer Seite felsig. Obwohl die dunklen Wolkensäcke eine ungetrübte Sicht Bergszenerie vereitelten, kam es auf der Green Devil dennoch zu tobsüchtigen Schüttelfeten, als ich die Bilder vorführte.

Nur wenig steigt man noch zu einem Hochpunkt des Sattels, wo dann die Straße ins Tal hinabstürzt, über Serpentinen abgedämpft mit mäßigem Gefälle. Unweit des Hochpunktes liegt ein panoramareicher Campingplatz, wie auch weitere Gasthöfe noch locken, zu verweilen. Der Morgen hätte die Berge wieder in sonnenreiches Licht getaucht. Nicht ganz falsch schätzte ich aber die Schwierigkeiten des nächsten Tages ein und suchte den Basispunkt im Tal noch zu erreichen. Ungeachtet der zahlreichen Höhepunktperspektiven des Tages gab es zu wenige Goldmomente an diesem Tag, sodass mir Commander speichen-08/15-kracher die Erweiterung der begrenzten Bankomatenlizenz verweigerte. Es ließ sich aber auch so ganz gut ein Nachtlager arrangieren.

Di 14.7. Comeglians – Tualis – Monte Cróstis (1934 m) – Ravascletto/Sella Valcalda (958 m) – Povolaro – Clavais – Liariis – Sella di Monte Zoncolan (1740 m) – Rifugio Moro – Sùtrio
W: 17-23 °C, teils sehr kühl, teils heiter, teils bewölkt, windig, diesig
Ü: H/Osteria Da Alvise 40 € mFr
AE (dito): Ravioli m. Auberginen/Tomaten, Hähnchenfilet, Bratkart., Salat, Eis, Cafe 32,30 € (***)
68 km | 8,7 km/h | 7:53 h | 2730 Hm

Die zwei Berge des Tages sind Mythenstraßen des Giro d’Italia, in der geballten Form mit Reiserad beide Berge zu fahren, bedeutet Irrsinn. Ich musste mich daher nach meiner Rückkehr auf der Green Devil auf psychische Nervendeformierungen untersuchen lassen – es konnten aber keine Fehler festgestellt werden. Im beschaulichen Comeglians hat man das große Radsportereignis am Monte Cróstis aus dem Jahre 2011 festgehalten, wohl stand damals ebenso der Monte Zoncolan auf dem Plan. Die karnischen Berge werden da als „terribile“ kategorisiert. Kaum aus dem Ort nach dem kleinen Tunnel, zeigen sich die Bergketten am Sappada-Sattel freizügig, was aber keine Prognose für das Tageswetter sein sollte. Sind die unteren Kehre halboffen, mit kleinen Ortseilen, so windet sich die Straße oberhalb Tualis lange durch dunklen Nadelwald. Dem Giro hat man in Tualis gleich einen ganzen Platz gewidmet mit einem Rad im Bronzeguss, das allerdings schwer von der Stelle zu bewegen ist. Bewege ich mich überhaupt von der Stelle?

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Alienmuskeln kurz vor kapitulativer Myotrophie, bitte um transkapillaren Zusatzdüsenantrieb.“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Zusatzantriebe nicht verfügbar, weil die interstellare Distanzringverminderer die erdmagnetischen Abschirmungskräfte nicht überwinden können ohne zu implodieren. Hatte anfangs der Reise auf die Möglichkeiten eines E-Bikes als Alternative hingewiesen. Haben Sie nicht genommen.“

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Werde Osmosendruck im Myofibrillen erhöhen. Hoffe auf schnelle hochgebirgige Blutzellenanpassung.“


Kaum anders als im Diagonalslalom vermag ich die Fortbewegung zu steuern. Nach dem Waldende wird das Auge mit einem überschäumenden Grün belohnt. Alle Gipfel hier sind – ähnlich den Nockbergen oder der meisten Pyrenäenberge – komplett begraste Kuppen und Platt- oder seltener Spitzgipfel. Die Almwiesen breiten sich zu einen Bergrund aus, bilden ein Amphitheater im Stile monte-verde. Es ist Frevel, hier nur von Grün zu sprechen, denn dem Grün wohnt eine goldener Glanz inne, den das Alienauge freudig blitzen lässt.

Es gibt viel Hinweise auf Steigungsprozente, die aber meiner kritischen Prüfung nicht standhalten. Die Maximalsteigung 13,1 % wird ebenso an Entspannungspassagen angegeben, wie an den steilsten Stellen. Solche Stellen habe ich auch schon als 20%er in anderen Regionen kennen gelernt. Der Fantasie irdischen Messingenieure sind keine Grenzen gesetzt. Immer wieder muss ich diese Laschheit im Umgang mit exakten Forschungswerten kritisieren. Halten wir fest: Die Hölle des Teufels würde dem Radler hier wie ein Wellness-Relaxzentrum vorkommen. Die Frage scheint mir in Anbetracht irdischer Intelligenzen auch berechtigt, warum für solche Radstrecken noch keine Zahnradschienen oder Seilwinden verlegt wurden.

Am etwas unterhalb der Straße gelegenen Berggasthof – etwa dort endet auch der Asphalt – windet es heftig kalt und in der Gaststube wurde der Ofen angeworfen. Um meine inneren Organe vor kompressiven Kälteschöcken zu schützen, muss ich zu einer warmen Mahlzeit greifen. Obwohl der Berg fast leer – ausgerechnet zur selben Zeit will eine italienische Familie auch speisen, was die Kapazitäten der Wirtin deutlich überschreitet. Ich brauche mehr als das Viertel einer Stunde, um die Bonifikation für das Essen ihr zustecken zu können. Man kann nicht sagen, dass Karnier geldgierig seien. Eine MTB-Gruppe, aus drei Kärntnern bestehend, versichert mir eine unproblematische Pistenfahrt für die Bergrunde. Ansonsten geben sich die Österreicher aber ein wenig krantelig, als sei ihnen der karantanische Geist entzogen worden.

Nun wartet draußen nicht gerade eine Sonnenpause und man mag die lange Vesper als Anwärme zu der wolkenverhangenen Panoramaroute werten. Und trotz der eingeschränkten Sicht ist die Tour ein Augengedicht – erst hier scheint die Bezeichnung Panoramica delle Vette ihre volle Berechtigung zu haben. Der Pistenzustand erweist sich tatsächlich als gut, wenngleich die Heroen des Giros hier nicht mehr hergefahren sind. Das Geländeprofil ist als leicht zu bezeichnen, wobei es mal etwas ab, mal etwas auf geht. Hat man die letzen Hochpunktkehre überwunden, bleibt die Schotterabfahrt eher noch gemäßigt. Der Asphalt beginnt recht bald, die Straße dann auch wechselhaft steil im Gefälle, in jedem Fall auch steile Rampen. Der Aufstieg zur Ostseite wäre aber einfacher als die gewählte Westauffahrt. Massive Holzleitplanken prägen die Straßentrasse mit vielen Kehren, auch hier dunkle Waldabschnitte, aber auch rote Pastellfarben von Distelgewächsen.

Man mündet direkt auf eine Passhöhe, die stärker besiedelt ist und als Basis des Skigebietes am Monte Zoncolan genutzt wird (Bergbahn dorthin). Der Abschwung hier dann nur ein aalglattes Zwischenspiel ohne Besonderheiten. Man kann etwas oberhalb von Comeglians einen Abzweig wählen, um (hoffentlich) ein paar Höhenmeter einzusparen. Wie Abkürzungen aber so häufig es mögen, ist auch diese eine zusätzliche Tortur. Hübsch folgen wieder kleine Ortsteile oder Weiler, aber verbunden durch heftige Auf-und-ab-Passagen. Heftig ist natürlich eine recht mäßigende Formulierung für die Neudefinition von dem, was der Erdenmensch als Hölle bezeichnet. Die Strecke über Clavais erweist sich aber nur als Vorspiel des Mörderberges, der sein kriminelle Energie noch zu steigern weiß.

In Liarlis, zwar unterhalb der Hügel zuvor, aber doch bereits deutlich oberhalb von Ovaro, suche ich ein Fotomotiv. Sofort meldet sich eine karantanische Alienfreundin und winkt nach Osten: „Da geht es lang!“ – Oh – woher weiß sie, wo ich hin will? Können die Bergmenschen hier Gedanken lesen? Die Antwort lässt kaum lange auf sich warten. Nach ein paar gemütlichen Metern kündigt ein Schild das „Valle della Bicicletta – Ovaro/Zoncolan“ an. Alle wollen hierher – alle, die mit Pedalrössern unterwegs sind. Natürlich nur die, die es bis hierhin wagen. Eine letzte Brunnenversorgung wartet. Unklar, wie viele Liter ich hätte brauchen können, in jedem Fall ließ ich mehr Wasser auf der Strecke liegen, als die umliegenden Berge an Quellwasser jemals spendieren könnten.

Die Westrampe des Zoncolan ist landschaftlich recht bescheiden, die Kehren mauerbefestigt, ohne Zierde, ein schlichte Bewaldung, die Ausblicke nicht zulässt und auch die Flora ist von Mittelmaß gekennzeichnet – immerhin kleine Glitzer von Blumengold. Wohl auch, um die Langeweile am Berg zu mildern, sind Tafeln aufgestellt, die gleichzeitig Kilometersteine sind. Die Abstände sind aber nicht immer gleich, manchmal 500 m (so wird’s versprochen), manchmal aber auch fast ein Kilometer bis zur nächsten Tafel. Die Tafeln sind fotografische Darstellungen von Radsportlegenden – in diesem Fall nicht nur italienische, auch werden Gallier oder Seebewohner aus dem Norden berücksichtigt. Dazu sind jeweilig biografische Daten ausgewiesen. Von unten nach oben gibt es eine Historiallinie – sprich: unten die ältesten Veteranen, oben die jüngeren.

Nun, die Frage, die sich bald stellt: Wer liest das alles? Man möchte vielleicht noch, aber wie soll man das durch die Salzkristalle im Auge bewältigen? Ich sende erneut Notsignale.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Verdampfungssäule beträgt bereits die Höhe von mehr als zwei kompletten Galaxiendurchmessern. Radialfliehkräfte wirken negativ, Vortrieb auch mit homöopathischem Mikroskop nicht mehr erkennbar. Bitte um exogene Sonderantriebe für unmögliche Transportalwege im Universum.“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Transportalweg auf ‚fast’ unmöglich umgeswitcht. Weitere Erleichterungen nicht möglich, da karantanische Naturalerhaltungsfeldlinien voll wirksam.“

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Alle muskulären Restaggregate auf höchste Osmosestufe umgestellt. Gefahr des Zusammenbruchs. Falls erfolgreich, Bitte um Erweiterung der beschränkten Bankomatenlizenz für luxuriöse Schlafkoje.“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Durchhalten! Alien-Grablegung auf Erdenball würde uns vor kaum lösbare Problem stellen. Wir brauchen Sie zurück auf der Green Devil! Beschränkte Bankomatenlizenz wurde erweitert.“


Mit der Pantani-Tafel wird ein Tunnel erkennbar. Es ist zwar noch nicht das Finale, ab die letzten Straßenhebungen danach sind jetzt absehbar auch noch zu schaffen. Ich erreiche mit halbiertem Alien-Gewicht die Ehrenskulptur des Sella Monte Zoncolan, wobei nicht erkennbar ist, ob es sich geografisch auch um einen echten Pass handelt. Meine Forschungspipetten sind aber so durchnässt, dass seriöse Wissenschaftsproben nicht mehr möglich sind. Ein letztes Goldleuchten strahlt durch die Dämmerung ins Auge auf der Hochgebirgswiese, vielleicht auch ein Hochmoor. Erreicht man die großen Parkplätze, die Hotelgebäude und die Bergbahnstation, ist dieses noch schönste Stück der Zoncolan-Route vorbei. Die folgende Abfahrt ist eine walddichte Fast-Bergautobahn mit weiten Schwungkehren, das Gefälle überraschend zahm – gemessen an der Auffahrt zur anderen Seite. Eine dritte Auffahrt, so heißt es in den irdischen Pässeschriften, gäbe es hier etwas südlicher. Diese Straße soll aber den schlechtesten Zustand aller Varianten haben und mit der Steilheit der Westrampe mithalten können und sei daher nicht zur Abfahrt empfohlen.

Mi 15.7. Sùtrio – Piano d'Arta – Arta Terme – Cedarchis – Trelli – Paularo – Forcella di Lius (1010m?/1034m?/1070m?) – Paluzza – Timau – Plöckenpass/Passo di Monte Croce Carnico (1360 m) – Kötschach-Mauthen
W: 20-26 °C, meist sonnig, eher schwül, windig, abends sehr mild
Ü: C Alpencamp 18 €
AE (dito): Ofenkartoffel, Salat, Schweinemdaillons, Gemüse, Pommes, Bier, Cafe 23,80 € (**)
71 km | 11,1 km/h | 6:25 h | 1675 Hm

Die Gastgeberin in Sùtrio ist ein karantanischer Geist, von großer Alien-Freundlichkeit. Mein Fahrgerät wird fest verschlossen, obwohl dem Ort räuberische Banden nicht zuzutrauen sind. Das Zimmer, unter dem Dachstuhl etwas beengt, aber sehr hübsch eingerichtet, erfüllt alle Alien-Wünsche, die ihm einen glücklichen Schlaf gebracht hatten. Am Frühstückstisch sind Radler keine Seltenheit – so auch hier z. B. eine organisierte Radsportgruppe mit Begleitwagen. Ich glaube, sie hatten keine Vorstellung, was sie heute erwarten würde – der Zoncolan stand an. Vielleicht werden sie mit der Ostrampe auch nicht wirklich erahnen, was der Alien am Tag zuvor gestampft hatte.

Sùtrio ist überhaupt ein besonderer Ort für einen Forschungs-Alien. Die Urbevölkerung scheint etwa zwei bis drei Längen größer gewesen zu sein als die heutige, wie einige Kleidungsstücke (Holzschuh) und Möbelantiquitäten (Stuhl, Kommode) nahe legen. Es sind seltsame Geschichten da aufgeschrieben und der Besucher soll eine Mission über mehrere Stationen hinweg erfüllen, läuft dabei aber Gefahr von Nymphen und anderen Fabelgestalten verspottet zu werden. Das Intermezzo nach Art Terme zeigt neue Landschaftselemente, so erinnern die Bergwiesen dort an typische Biotope der Schwäbischen Alb. Arta Terme kann die Klischees eines absterbenden Kurortes nicht ganz verdecken, sucht sich aber mit modernen Events ein neues Gesicht zu geben. So ist die zentrale Piazza komplett in einen Pferdeturnierplatz umgewandelt, nicht mal der Fußgänger hat so Möglichkeiten, den Ort vernünftig zu besichtigen.

Das Canale d’Incaroio hält zwei Routen bereit. Wie auch dem Eindruck des übernächsten Tages geschuldet, empfiehlt sich die Halbhöhenroute über dem Talboden als die schönere – zugleich auch die weniger befahrene Strecke. Dabei ergeben sich sicherlich einige Höhenmeter extra wegen steter Rauf-/Runter-Wandlungen. Die Bergkette zur gegenüberliegenden Talseite liefert ein herrliches Panorama, aber auch die Orte sorgen für besondere Blickwinkel zum nördlichen Talschluss. Höhepunkt ist die Cascata di Salino, direkt an der Straße gelegen, in einer Felsnische nur ein kleines Spalier, die Straße als Brückenkehre vorbeigelegt. Der Strahl, ein langer Pferdeschweif, erst weit unten leicht gespreizt durch vorgerückte Steinstufen, von leicht rötlichem Fels gerahmt, gehört zu den schönsten Wasserfällen, die ich auf der Reise verzeichnen durfte.

Paularo ist durch mehrere am Hang liegende Ortsteile weithin sichtbar. Der beste Blick ergibt sich wohl zur Einfahrt von der Brücke aus. Der Ort ist wuselig, auch wenn man ihm keinen großen Reichtum ansehen kann. Es ist ohnehin unklar, ob das Geschäftige zu Reichtum führt. Die häufigste Abbildung der reichen Könige ist ja die, dass sie nur auf einem Stuhl sitzen. Auch müssten dann die wuseligen Italiener das reichere Volk als etwa die Wikinger-Nachfahren in Skandinavien sein, den man eine ruhige Lebensweise bescheinigt. Die Reichtümer sind aber offenbar bei den Nordvölkern größer. Ich versuche mich an drei Bankomaten des Ortes vergeblich – ein Zeichen karantanischer Bescheidenheit? Oder ein Ort der Armut, den schon mancher verlassen hat?

Auf einem Steinmonument am Ortsausgang sieht man einen Radfahrer mit Koffer und einem Proviantbeutel, der zurückschaut. Da heißt es „… tu vâs lontan a guadagnacj il pan…“, was soviel bedeuten könnte „Du ziehst in die Fremde um dein Brot zu verdienen.“ Im 16. Jahrhundert entwickelte sich vor allem in der Krain und im Friaul die Form des grenzüberschreitenden Wanderhändlers, wobei den „Krämern“ unterschiedliche Akzeptanz für ihre Hausierwaren entgegen schlug. Saumhandel wurde für einige Kleinbauern auch zum Nebenerwerb. Andere wurden zu Ganzjahresnomaden oder zu den heute modern bezeichneten Saisonarbeitern, nicht nur mit niederen Dienstarbeiten, sondern auch mit speziellen Qualifikationen, die sie mitbrachten. Bei den Venezianern galten einige daher als dringlich ersehnte Fachkräfte. Karnier fanden so neue, zuweilen auch nur vorübergehende Heimaten nördlich der Alpen oder im venezianischen Machtgebiet des Adria-Raumes. So heißt es bei Gernot Heiß: „Karnien ist ein extremes Beispiel für Arbeitsmigration der männlichen Bevölkerung. Die steilen Hänge der stark erodierten, verkarsteten Gebirgslandschaft um und nördlich von Tolmezzo vermitteln den Eindruck der Kargheit und Unfruchtbarkeit. Viele Männer aus dieser Gegend waren neun Monate im Jahr von zu Hause fort.“ (in: Andreas Moritsch „Alpen-Adria“, S. 230) Nur zu Erntezeiten kehrten viele wieder zurück, heißt es weiter, und die Frauen und Kinder übernahmen zuweilen Heimarbeit für Produkte, die gleichwohl die männlichen Wanderarbeiter in ihren Zweitheimaten feilboten.

Die Zeiten der Armutsmigration sind also kaum neu. Die ökonomische Lehre spricht auch von der Mobilität der Produktionsfaktoren, zu denen die Arbeitskräfte gehören, gerne in den marxistischen Wissenschaften auch als Produktivkräfte bezeichnet. Demnach ist diese Mobilität unabdingbar, die Wohlstandsmehrung marktwirtschaftlicher (bzw. kapitalistischer) Systeme zu gewährleisten (welfare economics). Interessant ist, dass in den modernen irdischen Gesellschaften sehr schnell das Pendel zwischen der fast sklavischen ökonomistischen Funktionalität des Produktionsfaktors Mensch (human resources) zur anderen Seite des schmarotzenden Armutsflüchtling ausschlägt, der den Wohlstand der marktwirtschaftlichen Errungenschaften bedrohen soll. Nicht selten ist beides aus gleichen Mündern zu hören, nicht selten gründet der Wohlstand dieser Münder auf vergleichbaren, Armut überwindenden Flüchtlingsbewegungen ihrer Vorväter. Man kann kaum glauben, dass die irdischen Intelligenzen ihre Geschichte so schlecht kennen – weit mehr als nur die karantanische, die ihre Lehren weisen könnte. Was nicht alles so ein kleines friaulisches Radmonument der provinziellen Zeitgeschichte sagen kann. Auf der Green Devil, versteht sich, sind Migration und Armut bereits solange nicht mehr existent, dass die dort hiesigen Historialplatinen über dieses Wissengebiet bereits vermodert sind. Mein Commander speichen-08/15-kracher hörte deswegen meine Forschungsergebnisse mit besonderem Interesse, obwohl er resignierende Verständnisprobleme bei einigen Schilderungen nicht verbergen konnte.

Da ich aber fürchtete, dass meine beschränkte Bankomatenlizenz durch die häufigen Bonifikationen mittlerweile erschöpft sein könnten, und ich selbst Opfer einer mir unbekannten Armut werden könnte, suchte ich erneut Kontakt zur Green Devil aufzunehmen.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Alle Bankomaten in Paularo verweigern Ticketausgabe. Was ist geschehen?“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Beschränkte Bankomatenlizenz voll umfänglich verfügbar. Mängel sind bei irdischen Technikern zu suchen.“

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Irdische Bankfachleute sind hier in Karnien nicht zur Lösung befähigt. Banker zuckt mit Schulter. Werde Bankomat am nächsten Ort versuchen.“


Die Nächstortprüfung in Paluzza endete nicht günstiger, sodass ich auf erst bei den Österreichern zu Talern kam, derweil sie ja für gehobene Fähigkeiten im Bankomatenwesen bekannt sind (vgl. Prolog E.5). Da ich bereits auch Kärnten als Armutsland erkundet hatte, dürfte der Reichtum der Völker nicht an der Funktionsfähigkeit der Bankomaten abzulesen sein. Paluzza machte Siesta, nichts konnte man zu Mittag erwerben. In den Schaufenstern sah ich feine Kleider, überlebensgroße Osterhasen (aus folklorem Tuch, nicht aus Schokolade) und seltsame Berghüte mit Federschmuck, denen auch ein steinernes Denkmal gewidmet ist.

Ein Denkmal unbekannter Provenienz – vielleicht auch ein (unerlaubtes?) Graffiti findet sich auf der Westflanke des Forcella di Lius mit dem Murale a Ligosullo, einer weiteren Hommage an den Giro d’Italia. Die Höhe des Passes finde ich insgesamt zu drei verschiedenen Werten – 1010 m, 1038 m, 1070 m. Wie so häufig, tendiere ich mittels meiner sensorischen Messmethoden zur Mitte als treffende Höhe. Allerdings sei angemerkt, dass der Pass zu beiden Seiten eine Überhöhung aufweist, die zu befahren ist, was zusätzliche Höhenmeter erfordert. Das drückt sich durch die kurze Distanz in nicht gerade steigungsarmen Rampen aus, die es mit denen der Qualität des Vortages aufnehmen können, wenn auch nicht so ausdauernd. Durch viele Talblicke und einige Bergdörfer ist die Westseite abwechslungsreicher gestaltet als die Ostrampe.

Die charakteristische Bergkulisse der Südflanke des Plöckenpasses zeigt sich dem Betrachter bereits weit unten, sodass abwechslungsreiche Perspektivvariationen den Fahrer stets erfreuen. Die Vegetation darf man als mäßig bezeichnen, ist auf der Nordseite stärker ausgeprägt, soweit dort Zwischenebenen dies erlauben. Der besondere Reiz liegt – eigentlich auf beiden Seiten, im Süden noch deutlicher – in der Straßentrasse, die sich in den Berg mit eindrucksvollen Kehren hineinbohrt, mit halboffenen Galerietunneln. Dabei steigt man auf über die unteren Kehren, auf die man dann herunterspucken könnte, oder andere, zu denen man noch ehrfürchtig hinaufschauen muss. Das Kehreneldorado beginnt wenig nach Timau, das noch leicht im flachen Tal erreichbar ist. Timau selbst bietet auch Kriegsmuseumstourismus zum Ersten Weltkrieg. Die Bewohner sind, nicht unähnlich zu Zahre, Ahnen eines altbairischen Dialektes.

Auf der Nordseite des Plöckenpasses, über die nicht gerade schön ausstaffierte Passhöhe so gelangt (u. a. Kitschsouvenir), sei Vorsicht geboten. Der Straßenbelag ist den leeren Landeskassen zufolge in sehr schlechtem Zustand, und die Rippen und Löcher können im schlimmsten Falle den Lenker verreißen. Trotz aller Vorsicht, kann man dem Tod hier nicht entgehen. Gleichermaßen, quasi symmetrisch zur italienischen Seite, ist der Erste Weltkrieg auch im Museum in Kötschach ein Thema, Kriegsanlagen lassen sich frei um die Passhöhe als ein Teil der dolomitischen Friedenswege inspizieren, und etwa zur Mitte der Passstraße mahnen die Kreuze eines Soldatenfriedhofs, den karantanischen Geist nicht nochmals zu verraten.

Der Empfang im Kötschacher Camping (der Doppelort verteilt sich als Mauthen auf dem rechten Gailtalufer und Kötschach auf dem linken) ist durch eine lächelnde Fee sehr Alien-freundlich, aber wieder mal werde ich mit dem Prozedere des Check-ins leicht überfordert. Nicht ganz uneigennützig wurden Gutscheine verteilt, wenn man brav den Lektionen gelauscht hatte. Einer galt einem Glas Apfelmost, am nächsten Morgen zu erhalten beim Camping-Shop, nicht wohl ohne den Hintergedanken, weitere Einkäufe zu tätigen. Für das Camping-Restaurant gab es ein Zwergbier, nicht ohne den Hintergedanken, den Gast ins eigene Restaurant zu locken, während weit bessere Gourmetstuben sich in Kötschach-Mauthen positioniert haben. Erinnerungen an den Zeltplatz in Ankaran kann ich nicht ganz abwehren, auch wenn der trubelige Rahmen noch übersichtlich und von etwas biederen Holzkästenmietern geprägt ist. Dadurch bleibt eine gewisse alpentypische Ruhe gewahrt, die am weiten Meer schon mal außer Kontrolle gerät.

Angeblich, so wird mir erzählt, sei ein Wellnessbereich teil des Geländes, welches auch noch geöffnet häbe. Da sogar die Küche des Camping-Restaurants zu austriatisch untypischer Zeit von 22 Uhr erst schließt, wähnte ich mich zeitig genug, noch eine Sauna-Runde einzulegen – auch wenn der Sommer ja meine Alienhäute mittlerweile reichlich belastet hatte. Zur Überraschung ließen sich die Türen aber nur per Checkkarte öffnen, die man irgendwie separat erwerben muss (Gebühr? Eignungsprüfung?). Die Dame des Empfangs hat aber die Flucht ergriffen und niemand konnte mir weiterhelfen. So schritt ich zur Speisetafel mit dem Bierbonus, wo ich das Personal vor große Probleme stellte, als ich um ein paar Stück beschreibbaren Papiers bettelte. Ausdrücklich verwies ich auch auf gebrauchtes Papier, soweit es weiße Rückseiten gäbe. Offenbar ging es weniger um den exklusiven Wert der Gabe, sondern um die Verfügbarkeit – in Zeiten digitaler mobiler Kassiermaschinen ist Schreibpapier zu einer Rarität geworden.

Do 16.7. Kötschach-Mauthen – Dellach – via R3 (Gailtal-Radweg) – Stranig – Tröpolach – Nassfeldpass/Passo di Pramollo (1530 m) – Pontebba – Studena Bassa – Passo di Cason di Lanza/Lanzenpass (1552 m) – Paularo
W: bis ca. 30 °C, schwül, anfangs heiter, danach mehr bewölkt
Ü: C Paularo 0 € (k. P.)
AE (Ristorante): Salat, Spaghetti Bolognese, Eis, Rotwein, Cafe 19,60 € (-)
89 km | 10,9 km/h | 8:12 h | 2145 Hm

Nach dem Frühstück im Kötschacher Ortskern nehme ich zunächst die Straßeroute durchs Gailtal, weil ich mir bessere Ausblicke erhoffe. Mit dem Wechsel zur Gail überzeugt die Radroute aber doch sehr. Die Bergpanoramen bleiben erhalten, zusätzlich darf man sich an der Gail erfreuen, die als übersetzt „die Schäumende“ häufig größere Flächen flutet, die den Dörfern in anderen Jahrhundert manchmal zur Last wurde, weil viele Erträge hinweggespült wurden. Heute bietet die teils gezügelte Gail reichlich Kiesbettbadeplätze, die auch mal von Campern, meistens aber von Fischern genutzt werden. Der R3 ist teils exklusiv Radweg, im zweiten Teil führt er über ruhige Straßen. Dem Radler wird einiges geboten. So sind die Gastbetriebe vorbildlich ausgeschildert, dass man nicht an den Bettungs-, Sättigungs- und Durstlöschbaracken vorbeifährt. Selbst Mitgebrachtes kann man an vielen Rastplätzen verkosten. Wer keine Luft mehr hat – im Reifen, versteht sich, die Strecke ist für Lungenatemlosigkeit zu einfach –, darf man eine der unbemannten Radservicestationen benutzen, die über wichtigste Werkstöcke verfügen.

Meine Route verschlankte ich hier wesentlich, nachdem das Ende meiner Reise mal wieder zu früh auf mich zulief, während ich noch viele Reiche nicht erschlossen hatte. Die Route zur Straniger Alm hinauf mit Anschluss zur Lanzenpass-Straße zur anderen Seite des Karnitischen Kamms ist zwar mit Daten ausgewiesen (auch der Übergang nach Italien), aber ausdrücklich mit dem Hinweis „schwer“. Dieser Hinweis richtet sich weniger an Reiseradler als mehr an Mountainbiker. Angesichts meines Fahrmaterials erwies sich bereits die Bodenprobe im untersten Bereich als extrem schwierig und kraftraubend, sodass ich die angegebene 890 Hm für mich als nicht machbar einordnen musste. Es wäre eine langatmige Qual geworden, soweit ich sie überhaupt hätte überstehen können. Ohne weitere interstellaren Zusatzantriebe ist dieses Projekt nicht für Aliens machbar – so muss ich meine Prognose abgeben.

Ich traf eine Erdenfrau, recht sportlich auf der Straße, aber mit Mountainbike, die ich gleich zum Thema interviewte. Offenbar hatte aber auch sie diese Wege noch nicht befahren. Ihre Anwesenheit motivierte mich aber, nochmal den Versuch an einer zweiten Auffahrtstelle zu wagen, die keine Hinweise für Radler unten vermerkte. Diese Piste war noch grobschottriger, und obwohl zunächst etwas weniger steil, eher noch unfahrbarer – soweit solche Abstufungen von unfahrbar erlaubt sind. Mir fiel so ein Last von den Schultern, denn durch die nun zu verändernde Route musste ich zwangsläufig einige weitere heikle Projekte des Karnitischen Kamms kippen. Das konnte meinen Genussporen nur förderlich sein.

Die Straße zum Nassfeldpass beginnt im völlig unscheinbaren Tröpolach. Zum ersten Anstieg befindet sich ein große Kaskade, die aber künstlich betoniert wurde und nun als Klettertrainingsrevier für Abenteuergruppen dient – in diesem Fall für den Nachwuchs. Wie die Autobeschriftung zeigt, steckt hinter diesem Abenteuertourismus für Zwerge ein Hotel auf den Berghöhen. Die Spaßparkkultur spiegelt sich dann auch auf der Passhöhe wider, wo sich zahlreiche Skitourismusverbauungen platziert haben, einschließlich eines großen Intersport-Ladens. Erfreulich ist aber, dass man auf den letzten Höhenmetern erkennt, wie sich die Versuche der Bergverschandelung der Majestät der Berge beugen müssen, weil sie sich unter den voll entfalteten Gipfelketten mit herrlichen, steil aufschießenden Almwiesen zu Spielburgen zwerghaft verkleinern.

Die Passstraße ist zwar in besserem Zustand als der Plöckenpass zur Kärntner Seite, deutliche Verwitterungsspuren mit rissigem Asphalt finden sich aber auch da und dort. Der Bergbach ist schon so verbetoniert und verstahlt, dass dies wieder zur pittoresken Kaskadensehenswürdigkeit wird, wie an der Nikolo-Brücke. Hier sind, ähnlich wie an der Kölnbreinsperre gesehen, stählerne Messsysteme in den Fels getrieben, um den Berg zu überwachen. Dem alpinen „Überwachungsstaat“ entgeht nicht mal die Fließgeschwindigkeit, die mit Messinstrumenten von oben wie von unten erfasst werden. Wohl fürchtet man Schmelzwasser- oder Bergsturzlawinen, die – so könnte es sein – der Mensch durch die Verbauungen oben als Wintersportgebiet „Nassfeld“ selbst mitbefördert. Der Erdenmensch, er weiß sich vor sich selbst zu schützen – manchmal.

Die kleine Hochfläche beim Pass mit See nutzen auch noch die Italiener für ein paar Gasthöfe. Die Anbindung nach Süden ist allerdings sehr verwegen. Nicht nur ist der Pass dort noch steiler als zur Nordseite (es war nicht leicht), sondern sind auch die Kehren verwinkelter, die Geröllfelsen sturzgefährdet, die eingehauen Tunnels weder breit noch hoch, während es zur andere Seite gesicherte Lawinengalerien gibt. So ist der Verkehr hier sehr gering, nur ein paar Motorbiker nutzen das Kurvenlabyrinth, um riskante Bergstraßenpunkte zu sammeln. Der infrastrukturelle Anschluss des Nassfeld-Gebietes scheint, so der Eindruck, sowohl für den Wandersommer als auch für den Skiwinter ausschließlich über die österreichische Seite gewährleistet. Dem Alien, so ist klar, gefällt diese wild zusammengewürfelte Unordnung einer verfallenden Militärstraße weit besser, auch wenn sich kaum Blumen oder Pflanzen hervorwagen. Zu den unerschrockenen Schuttpflanzen gehören einige Büschel Himbeeren, die unerwartete Köstlichkeiten am Stiel servierten.

Pontebba lässt sich vom Nassfeldpass aus am besten aus der Vogelperspektive betrachten. Es ist der einzige Ort, den ich auf dieser Reise mit dreifacher Aufmerksamkeit bedenke. Der sicheren Wiederkehr gewiss, meide ich den Stadtkurs, sondern zweige gleich ins Tal der Pontebbana ab mit dem Passo del Cason di Lanza als Gipfelpunkt. Wieder spielt der Himmel in der zweiten Tageshälfte Trauerspiele und so bleibt in diesem Tal manches Leuchten aus, welches ihm eigentlich anbestimmt ist. Nicht breit, aber doch ausreichend Platz für saftig grüne Almwiesen, eine verstreute Würfelung von Häusern, ein blau aufschimmernder Flusslauf und ein ocker unterlegtes Wasserfallspiel sind Merkmale des unteren Bereichs, wobei sich auch ein paar Badestellen finden lassen – besonders attraktiv sind die bei den Wasserfällen, wozu man die Straße aber ein paar Meter weit über eine Weide verlassen muss.

Der obere Teil ist wortwörtlich als gehoben zu bezeichnen – will sagen, es melden sich die Zoncolanischen Steigungsstufen zurück. Es ist in diesem Falle günstig für die Menschenkinder, dass sie Tal und Bergwelt des Passes nur spärlich besuchen, wie es die einstellig ermittelte Anzahl der fahrenden Autos vermittelt, denn des Aliens feucht-körperliche Ausdünstungen erreichen im festen Aggregatzustand die Stärke der Bad Reichenhaller Salzstollen. Zum Glück gibt es die dermitischen Verdampfungsprozesse, die aber die Wolkendecke des Abends nur noch mehr verdunkelten. Die oberen Bereich muten geheimnisvoll an, mit Hochmooranleihen aus saftigem Goldgrüngras, auf dem dunkelgrüne Fichten solistisch und in kleinen Hainen zapfige Walzerkreise tanzen.

An der Passhöhe erheben sich aus Norden Felswände, vor denen der Bergbauernhof mit Gasthaus liegt. Trotzdem verweigern sich weitere Ausblicke. Der Lanzenpass ist ein besonderer Radskulpturenpass, der dem Rad des Rades gewidmet ist. Das unscheinbare, leicht vermoderte Giro-Denkmal auf der Passhöhe besteht im Kern aus einem Laufrad und einer rosafarbenen Schnur – dem rosa Trikot für den siegreichen Heroen der Italienrundfahrt zugedacht und ähnlich deren verblassenden Ruhm im Wettbewerb der Pillen und Spritzen in seinem farblichen Glanz deutlich ausgebleicht. Noch glanzvoll hingegen brilliert die Drei-Räder-Skulptur auf der oberen Ostrampe, im Buchenwald gelegen, die dem karantanischen Geist huldigt – zumindest einem Teil, nämlich der italienischen-österreichischen Freundschaft im Verbund des europäischen Geistes (Bild vgl. auch E.1).

Es ist nicht nur der trüben Witterung geschuldet, dass die aufregende Abfahrt zur Westseite etwas glanzlos in den Bildern blieb. Die Auffahrt hatte mal wieder alle Reserven der Alienmuskeln aufgezehrt und zog sich entsprechend lang hin. Nun erreicht die Dämmerung die ohnehin recht schattigen Halbschluchten. Die Straße, zwar für den Giro 2013 stellenweise hergerichtet, ist ein welliger Flickenteppichen, mit Weidegittern zusätzlich erschwert, ein Licht-Schatten-Wechselspiel, nun nochmal erschwerend abgedunkelt. Eine launige Fahrt ist es schon, aber kein Kinderspiel. Auch stellen sich einige Gegenanstiege dem Abwärtsfluss quer, nicht steil, aber langatmig. Auffällig, diese in Gegenrichtung abwärtigen Passagen, sind besser asphaltiert. Dies erklärt sich aus dem auch in Gegenrichtung gefahrenen Giro, weil in der Aufwärtsbewegung auch die filigranen Rennräder mit den schlechteren Bodenverhältnisse noch zurechtkommen. Abwärts – so ist klar – wäre die Straße eine Basis für eine stürzendes Fiasko einer Radsportveranstaltung. Eigentlich verbietet sich Sport hier generell. Ganz anders als der Zoncolan ist es ein landschaftlich überragender Pass, der für leidensfähige Genießer modelliert wurde. Die Trasse windet sich immer wieder eng an Felsen vorbei, zur anderen Seite schützen verbogene und verrostete Leitplanken vor Abstürzen in herb abfallende Waldhänge, wo man sich unterhalb einen Bergfluss mit einer Schlucht mit überhängenden Felsen vorstellen muss. Die Schlucht lässt sich begehen, erfordert aber mindestens weitere 1,5 Stunden Exkursion, erinnert in den Abbildungen oben an der Straße ein wenig an die Cares-Schlucht im fernen Asturien.

Der Camping liegt in Paularo etwas abseitig und unterhalb des Ortskerns, kaum ausgewiesen, und ohne erkennbare Rezeption. Vermutlich wäre eine Minigolfplatz oberhalb zuständig gewesen, was sich mir aber nicht vor Ort erschließen wollte. Bei den Essstuben besteht in Paularo noch Nachholbedarf. Aber, wie ja schon vortags bemerkt, ist Paularo ein beschiedenes Bergdorf, in der der Gourmet-Italiener keine Heimat gefunden hat und sogar die Bankomaten von der Armut infiziert sind. Es liegt mir aber daran, diesem Ort einen Besuch anzuempfehlen, denn die Gastfreundschaft scheint auf ausgeprägtem karantanischen Geist geprägt.

Musik: Das friaulische Trio Altrioh widmet sich den italienischen Folk-Wurzeln und auch speziell dem furlanischen Liedgut und experimentiert dabei mit verschiedenen elektronischen Modernisierungen. Hier treffen sie auf Aniada a Noar aus der Steiermark, die gleichwohl den folkloren Wurzeln huldigen. Eine spaßige Begegnung, die alte karantanische Traditionen und Regionen verbindet: Aniada a Noar/Altrioh „Bocca di Rosa (Fabrizio de André)“ (6:21 min.)

Bildergalerie Kap. VII (195 Bilder):



Fortsetzung folgt