Re: Centroamérica en bicicleta

von: joeyyy

Re: Centroamérica en bicicleta - 23.10.15 20:16

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Montag, 23.2.2015: Von La Cruz zur Laguna Arenal - oder: Wie Russen in Costa Rica Geld verdienen

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Um acht Sitze ich wieder am Mirador, genieße die Aussicht und bestelle mir mein Frühstück. Toast mit Marmelade, schwarzen Kaffee. Etwas anderes will ich nicht mehr haben.

Um kurz nach acht setzen sich die beiden Musiker von gestern abend zu mir, wir frühstücken zusammen und quatschen bis halb elf. Über Großmütter und die Arbeit auf dem Lande, Musik, René Descartes, das Leben in Costa Rica. Wir sind uns sympathisch, ich freue mich immer, wenn ich Menschen kennen lerne, die relativ schnell meine Freunde sein könnten. Warum klappt so etwas immer nur auf Reisen? Warum nicht auch zu Hause?

Ich will weiter, ins Landesinnere, nach Upala. Rund 5 Kilometer folge ich noch der Panamericana, dann biege ich geradewegs in Richtung Osten ab. Der Wind, der gestern Abend das ganze Haus durchgerüttelt hat, hat sich kaum abgeschwächt. Auf dem Weg in Richtung Osten muss ich gegen ihn ankämpfen. Selbst bergab fahre ich mit einstelliger Tachozahl. Auf gerader Strecke muss ich schieben. Ich sehe auf der Karte, dass es bis Upala noch rund 80 Kilometer sind. Nach rund 5 Kilometer aussichtslosem Kampf drehe ich wieder um. Entweder fahre ich hier per Anhalter in Richtung Osten oder ich nehme mit dem Fahrrad die Panamericana, die etwas mehr windgeschützt zu sein scheint.

Der Name dieser Region hier wurde von der Urbevölkerung übernommen. Er bedeutet Land des Windes und des Regens. Ein Tico an der Straße erklärt mir, dass hinter Upala der Wind wohl schwächer werden sollte. Aber so richtig weiß man das nicht, da der Wind durch die Vulkane beeinflusst wird. Und welcher der Vulkane den Wind gerade beeinflusst, weiß man eben auch nicht. Und eigentlich sei der Wind heute doch gar nicht so schlimm.

Ich drehe um und halte bei jedem Pickup, der vorbeifährt, den Daumen raus. Es hält keiner an. Gegen zwölf bin ich wieder an der Kreuzung der Straße ins Landesinnere und der Panamericana. Der Bus nach Upala hält gerade, ich frage den Fahrer, ob ich mein Fahrrad mitnehmen könne. Der verneint, verweist auf einen Bus später, von dem er aber nicht wisse, wann er fahre. An der Kreuzung selbst findet gerade eine Polizeikontrolle statt, die blau Uniformierten halten Laster und Busse an, um Pässe zu prüfen. Ein Polizist steigt gerade in einen der großen Busse ein, der nach Cañas fährt. Ich schaue kurz auf meine Karte, radel schnell zum Bus, frage den Busfahrer ob ich mein Fahrrad mitnehmen könne, der grummelt ein wenig, steigt dann aber aus, öffnet den Kofferraum und ich kann mein Fahrrad dort einfach rein schieben. Ich drücke dem Fahrer zehn Dollar in die Hand, gehe nach hinten durch und setze mich auf einen freien Platz. Erleichtert schaue ich aus dem Fenster und beobachte die ziehenden Wolken über den Vulkanen.

Costa Rica wollte ich eigentlich komplett mit dem Fahrrad durchfahren, schließlich sind noch gut zweieinhalb Wochen Zeit bis der Flieger nach Hause geht. Aber für diesen Wunsch habe ich einfach und schlicht die falsche Richtung gewählt. Von Nordwesten nach Südosten muss ich meine durchschnittlichen Tagesetappen durch drei teilen, um in etwa kalkulieren zu können. Das ist extrem frustrierend und außerdem schaffe ich dann meine Tour nicht bis Panama. Also rede ich mir ein gutes Gewissen ein, wenn ich mit dem Bus fahre.

Gegen halb drei bin ich dann in Cañas. Mein Garmin lotst mich aus dem Ort heraus, über kleine Sträßchen in Richtung Laguna de Arenal. Es sind nur noch 22 Kilometer und dafür habe ich knapp drei Stunden Zeit. Das sollte machbar sein. Aus dem Ort heraus fahre ich zunächst in Richtung Norden, dann nach Osten. Und bergauf. Frustriert und gern pauschalierend denke ich: Es ist letztlich egal, in welche Richtung ich fahre, der Wind bläst immer von vorn und es geht immer bergauf. Die Vulkane sind heute gegen mich. Nicht nur heute, sondern eigentlich die ganze Zeit schon. Um halb fünf schaue ich dann auf meinen Tacho, ich habe in zwei Stunden immerhin 10,5 Kilometer geschafft. Stundenmittel: 5,25 Kilometer.

Den See kann ich mir heute als Tagesziel abschminken. Ich stelle mein Fahrrad an den Straßenrand, pinkle in die Botanik und gönne mir dann etwas Salz mit Wasser aus der Flasche. Während ich so mit mir beschäftigt bin, kommt ein Pickup rückwärts zu mir gefahren. Der Fahrer fragt, ob er mich mitnehmen könne und wo ich denn hin wolle. Wir einigen uns auf den See als Ziel, er steigt aus, öffnet die Heckklappe, innerhalb von fünf Sekunden habe ich das Gepäck vom Fahrrad genommen und innerhalb von zehn Sekunden liegt das Fahrrad samt Gepäckstaschen auf der Ladefläche des kleinen Lasters.

Im Innenraum sitzen schon die Frau von Wilbert und sein Sohn.

Die Familie wohnt in einem kleinen Dorf am See und ist gerade auf dem Heimweg. Sie haben aus Mitleid angehalten, weil sie wissen, wie brutal die Sonne heute scheint und der Wind weht. Mitleid gibt es zwar umsonst, aber da die Fahrradeinheit Costa Ricas sowieso schon im Eimer ist, halte ich das Mitleid gerne mal aus und bin unterwegs sehr froh darüber. Es geht wirklich steil bergauf, den Wind merke ich nicht im Auto. Ich komme mit der Familie ins Gespräch. Sie laden mich auf einen Kaffee in ihr Haus ein, leider ist es schon spät und wenn ich wirklich noch zum See und dort mein Zelt aufstellen will, dann muss ich das Angebot leider ablehnen.

Am See selbst fahre ich noch rund zehn Kilometer, bevor ich eine Kaffeerösterei erreiche. In Zentralamerika gibt es zwar tausende von Kaffeeplantagen, aber richtig guten Kaffee habe ich hier bisher nur selten trinken können. Also bin ich quasi gezwungen, hier einzukehren und zumindest zu hoffen, dass es hier richtig guten Kaffee gäbe. Und ja, der Kaffee schmeckt sehr lecker. Das Gelände ist groß und wirkt etwas verlassen, daher frage ich, ob ich hier heute Nacht zelten könne. Der Chef der Rösterei bietet mir nicht nur einen Zeltplatz an, sondern auch eine Dusche und sogar ein Bett in seinem Haus, das für Saisonarbeiter gedacht ist.

Ich will keine große Mühe machen, bedanke mich für den Zeltplatz, nehme aber die Dusche liebend gern an um ein Bad in dem kalten See zu vermeiden.

Im Café selbst sitzt jetzt noch ein Russe und trinkt ebenfalls Kaffee. Wir kommen ins Gespräch. Er wohnt hier für vier Monate, hat sich ein Haus gemietet und verdient sein Geld mit Online-Poker. Er ist promovierter Mathematiker und kann von überall auf der Welt aus spielen. Ich bin interessiert. Pjotr, so heißt der Russe, spielt an rund 20 Tischen gleichzeitig. Das geht nur online. Er sagt, es sei alles eine Frage der Statistik. Man brauche Erfahrung, ein gutes Gedächtnis und die Fähigkeit, schnell rechnen zu können, wenn man erfolgreich sein will.

Wir reden auch ein wenig über die aktuelle Situation in Russland. Sind uns einig, dass die Isolation Russlands für alle Seiten negative Konsequenzen hat. Sprechen über die eine Konsequenz, die in den Zeitungen in der Regel nicht erwähnt wird: Die Entwicklung an der russisch-chinesischen Grenze. Pjotr sagt, dass wenn die Chinesen genauso vorgehen würden, wie die Russen in der Ukraine, dann würde jetzt ein riesengroßes Gebiet Ostsibiriens durch China besetzt sein, denn dort leben mittlerweile mehr Chinesen als Russen. Das wissen die Chinesen natürlich auch, sie werden dort nicht mit Gewalt einmarschieren, brauchen eigentlich nur zu warten. Und das tun sie und die Isolation Russlands durch den Westen lädt die Chinesen geradezu ein, nach Russland zu kommen. Das heißt: die Chinesen marschieren momentan friedlich in Russland ein. Und wenn die Sprache Ost-Sibiriens dann irgendwann Mandarin ist, werden die Grenzen neu gezogen.

Es ist kurz vor sechs, Pjotr ist mit seinem Mountainbike hier und muss noch rund zehn Kilometer zu seinem Haus. Er muss los, lädt mich ein, mit ihm zu kommen. Ich lehne dankend ab, habe dafür eine Einladung nach Moskau.

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Fortsetzung folgt.