Re: île de Beauté - Südostfrankreich und Korsika

von: Tom72

Re: île de Beauté - Südostfrankreich und Korsika - 20.10.15 21:06

29. Tag (10.07.2015), Porto – Evisa

Strecke: 24 km

Fahrzeit: 2 Std. 29 min

Höhenmeter: 907


Ich hatte letztes Jahr im September mit dem Wetter Glück gehabt, Sonnenschein und kein Tropfen Regen, nun bin ich im Juli unterwegs, der ja dieses Jahr schon in Deutschland extrem heiß ist, umso mehr hier im Süden, so dass es mit dem schönen Wetter doch etwas zuviel des Guten ist und das Fahren in der Mittagshitze sehr schweißtreibend und kräftezehrend. Das habe ich an den beiden Tagen zwischen Marseille und Toulon gemerkt (ich bin jeweils, wie üblich, spät aufgestanden und erst losgekommen, als es bereits fast unerträglich heiß war und habe entsprechend geschwitzt und gelitten), so dass ich vorgestern in Calvi beschlossen habe, nun regelmäßig möglichst um sechs aufzustehen und spätestens um acht loszufahren, um jeweils für einen möglichst großen Teil der Tagesetappe die einigermaßen kühlen Vormittagsstunden zu nutzen.

Tatsächlich schaffe ich es auch heute, nach Zeltabbau und Packen, wenig später als acht loszufahren. Bereits vom Campingplatz sieht man das aufragende Hochgebirge, in das mich mein Weg nun führen wird.



Ziel ist heute Evisa, das auf ca. 850 m liegt; die kompletten gut 1400 Höhenmeter des Col de Vergio (ich starte ja auf Meeresniveau) sind mir bei der Hitze für eine Tagesetappe zuviel, der Pass (der höchste Straßenpass der Insel) muss bis morgen warten. Es geht auch sofort ordentlich bergauf, aber mit durchweg mäßiger Steigung. Die Straße ist kaum befahren. Die Landschaft begeistert.



Recht bald ergibt sich eine weitere der auf Korsika unvermeidlichen Begegnungen mit freilaufenden vierbeinigen Zeitgenossen.



Die Schweine sind recht zutraulich, während ich fotografiere, kommen sie auf mich zu und beschnuppern meine verschwitzten Schuhe. Keine Ahnung, was daran so interessant ist…



Am Hang gegenüber liegt das hübsche Bergdorf Ota. Den Ort kenne ich bereits von meiner Reise vor etlichen Jahren (damals ohne Fahrrad).



Durch die grandiose Bergwelt gewinne ich langsam an Höhe. Autos begegnen mir so gut wie nicht.









Bereits am späten Vormittag macht mir die Hitze ziemlich zu schaffen. Kurz vor Evisa bietet sich noch einmal ein fantastischer Blick auf Ota; man kann am Horizont sogar das Meer sehen, das auf dem Foto allerdings mit dem Blau des Himmels verschwimmt.



Gegen Mittag komme ich in Evisa an. Ein typisches korsisches Gebirgsdorf, sehr gemütlich, ohne Massentourismus, aber mit einigen netten Restaurants, so dass mein Mittagessen sichergestellt ist. Eine historische Benzinzapfsäule rostet vor sich hin.



Weitere gut 100 Höhenmeter oberhalb des Ortes liegt ein sehr schöner Campingplatz. Es ist nun, am frühen Nachmittag, schon sehr heiß, und ich bin froh, dass ich mein Zelt unter schattenspendenden Bäumen aufschlagen kann.



So kann ich mir trotz der Nachmittagshitze im Zelt einen Mittagsschlaf gönnen.

Den Rest des Tages nutze ich für eine Wanderung in die Spelunca-Schlucht, die sich von Ota bis unterhalb von Evisa erstreckt. Ich rolle also wieder hinunter nach Evisa, schließe mein Rad am Beginn des in meinem Wanderführer beschriebenen Weges am unteren Ortseingang an und marschiere los. Der Wanderweg führt mehrere Hundert Meter hinab in die Schlucht.





Es handelt sich bei dem Wanderweg um einen alten Saumpfad, der Ota mit Evisa verband in einer Zeit, als es im Inselinneren noch keine Straßen gab und der gesamte Verkehr zwischen den Dörfern nur zu Fuß und mit Eseln möglich war. Teilweise ist die historische, aus groben Bruchsteinen bestehende Pflasterung noch erhalten.



Ich erreiche schließlich die Spelunca-Schlucht, durch die das Flüsschen Porto fließt, bei einer von mehreren historischen Brücken aus genuesischer Zeit, auf der der Pfad über den Fluss führt.



Hier gibt es wunderschöne Badestellen. Ich bin nicht der Einzige, der sich hier ein erfrischendes Bad gönnt. Das Wasser ist ziemlich kalt, aber bei der Hitze eine Wohltat.



Ich marschiere noch ein paar Hundert Meter die Schlucht abwärts, kehre aber recht bald wieder um, da es bereits früher Abend ist und ich nicht weiß, wann in Evisa die Bürgersteige hochgeklappt werden und vor allem, wann die Restaurants schließen.



Der recht anstrengende Aufstieg zurück nach Evisa kommt mir ziemlich lang vor. Bin ich vorhin wirklich so weit abgestiegen? Trotzdem ist es, als ich schließlich wieder im Ortskern von Evisa bin, noch nicht allzu spät, und ich bekomme in einem netten Restaurant noch ein leckeres korsisches Menü; als Hauptgang wähle ich zum wiederholten Mal das bewährte Wildschweinragout.

30. Tag (11.07.2015), Evisa - Corte

Strecke: 61 km

Fahrzeit: 4 Std. 22 min

Höhenmeter: 893


Heute geht es zunächst weiter aufwärts, über den Col de Vergio, den mit 1477 Metern höchsten Straßenpass Korsikas; heutiges Ziel ist Corte im Zentrum der Insel. Auch heute schaffe ich es, um sechs aufzustehen und nach Zeltabbau und Packen gegen acht loszukommen, so dass ich auch heute zunächst wieder ein paar einigermaßen kühle Stunden habe, um wenigstens über den Pass zu kommen, bevor die Mittagshitze zuschlägt.

Die Straße verläuft durch ein ausgedehntes Waldgebiet, den Forêt d’Aïtone.





Der Wald lichtet sich,



und der Col de Vergio ist erreicht. Eine monumentale Christus-Statue markiert die Passhöhe.



Ich werde von einigen freilaufenden Kühen begrüßt.



Über den Pass verlaufen einige der korsischen Fernwanderwege, neben dem hier ausgewiesenen „Mare a Mare“ auch der GR 20, der über den Kamm des die Insel von Norden nach Süden durchziehenden Gebirges verläuft und als der schwerste Fernwanderweg Frankreichs gilt.



Ich komme nun ins Zentrum Korsikas.



Richtung Osten reicht der Blick in die Landschaft des Niolo bis zum Stausee von Calacuccia; bis dorthin und noch weiter erwartet mich nun eine herrliche, lange Abfahrt.







Ich rolle abwärts durch das größte Waldgebiet Korsikas, den Forêt de Valdu-Niellu.



Einige der typischen korsischen schwarzen Schweine suhlen sich in der Mittagshitze am Straßenrand genüsslich im Schlamm.



Weiter unten wird die Landschaft karger und vegetationsärmer. Nach Verlassen des Waldes habe ich einen fantastischen Blick auf das Gebirgspanorama.



Richtung Norden (rechts im Bild) ist der Monte Cinto, der mit gut 2700 m höchste Gipfel der Insel, zu sehen.



Im ersten größeren Dorf, Calacuccia, kehre ich kurz ein und esse eine Kleinigkeit.



Unterhalb von Calacuccia verläuft die Straße durch eine spektakuläre Schlucht, die Scala di Santa Regina.







In Pont de Castirla, auf einer Höhe von etwa 350 Metern gelegen, verlasse ich die abwärts führende Departementalstraße 84; um nach Corte zu gelangen, sind noch ca. 300 Höhenmeter über den Col d’Ominanda zu bewältigen. Von der Passhöhe bietet sich ein erster Blick auf die Stadt, die ich schließlich nach einer schönen Abfahrt erreiche.

Corte ist nach Ajaccio und Bastia die drittgrößte Stadt der Insel und wirkt daher für korsische Verhältnisse recht urban. Hoch über der Altstadt thront die Zitadelle, im Volksmund „Adlernest“ (Nid d’Aigle) genannt.



Sehr zentral gibt es mehrere Campingplätze. Ich entscheide mich für einen direkt unterhalb der Altstadt gelegenen, auf dem ich drei Nächte verbringen werde, um in Corte zwei volle Tage zur Verfügung zu haben, da ich von hier aus zwei Wanderungen geplant habe – einmal kombiniert mit einer Fahrt mit der korsischen Schmalspurbahn, das andere Mal mit einer Fahrt mit dem Rad durch die Restonica-Schlucht.

Nach dem Zeltaufbau sehe ich mich in der Altstadt von Corte um. Auf dem zentralen Platz steht ein Denkmal zu Ehren von Pasquale Paoli, der Mitte des 18. Jahrhunderts (1755 bis 1769) von Corte aus den einzigen unabhängigen korsischen Staat der Geschichte regierte, mit einer für die damalige Zeit, noch vor der französischen Revolution und der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, sehr modernen Verfassung und Staatsordnung.



Das nur kurzlebige Staatswesen konnte seinen Unabhängigkeitskampf gegen das die Insel seit dem Mittelalter beherrschende Genua zunächst noch durchhalten, aber als das mit der Rebellion überforderte Genua die Hilfe Frankreichs in Anspruch nahm, führte dies letztlich 1769 zur dazu, dass Korsika Teil Frankreichs wurde und der Traum von einem korsischen Staat endgültig ausgeträumt war. Nur wenige Monate später wurde der wohl bedeutendste Sohn der Insel, Napoleon, geboren, aber während in Ajaccio und Bastia zahlreiche Bonaparte-Standbilder die zentralen Plätze zieren, gilt hier in Corte, der „heimlichen Hauptstadt“ der Insel und Keimzelle der korsischen Autonomiebewegung, nach wie vor Paoli als „Vater des Vaterlands“ (korsisch "u Babbu di a patria") und korsischer Nationalheld.

Die beiden auf dem Foto zu Füßen Paolis ausruhenden Herren sind Teilnehmer eines Gebirgslaufs, der heute auf einer offenbar sehr langen und anstrengenden Strecke von Corte hinauf ins Gebirge und wieder zurück stattfindet. Daher auch die Absperrung rechts im Bild, die die Zielgerade markiert. Noch Stunden später, lange nach Einbruch der Dunkelheit, rennen immer noch alle paar Minuten erschöpfte Läufer durch die Altstadtgassen Richtung Ziel, unter dem Beifallklatschen der Gäste an den Tischen vor den Restaurants.

Auch diese Statue des Generals Gaffori, eines Widerstandskämpfers gegen die Herrschaft Genuas, zeugt, wie auch die aus dieser Zeit stammenden Einschusslöcher in der Fassade dahinter, vom auch heute noch gepflegten rebellischen Geist Cortes und seiner Bedeutung für die korsische Identität.



Dazu passt auch, dass nicht etwa in Ajaccio oder Bastia, sondern in Corte die einzige korsische Universität ihren Sitz hat, die natürlich nach Pasquale Paoli benannt ist und für die hier auf einem Plakat in korsischer Sprache geworben wird.



Von einem Aussichtspunkt oberhalb der Altstadt hat man einen schönen Ausblick auf die Zitadelle und die umliegenden Berge.



Unten, jenseits des Tals des Flusses Tavignano, erstrecken sich die modernen Stadtviertel von Corte.



In einer der malerischen Altstadtgassen lasse ich den Abend in einem der zahlreichen Restaurants bei einem ausgezeichneten korsischen Menü ausklingen. Wieder entscheide ich mich beim Hauptgang für ein Wildschweingericht.

Fortsetzung folgt…