Re: île de Beauté - Südostfrankreich und Korsika

von: Tom72

Re: île de Beauté - Südostfrankreich und Korsika - 26.09.15 10:41

8. Tag (06.09.2014), Barcelonnette – Entrevaux

Strecke: 81 km

Fahrzeit: 5 Std. 10 min

Höhenmeter: 1287


Heute geht es südwärts über einen der Pässe der Route des Grandes Alpes, den Col de la Cayolle. Das ist mit 2326 m der höchste Pass, den ich je gefahren bin. Ich habe ihn bei der Planung ausgewählt, weil ich zum einen wenigstens einen Zweitausender in die Tour „einbauen“ (und meine bisherige Höchstmarke, 2001 m, übertreffen) wollte, zum anderen, weil er auf der einschlägigen Rennrad-Internet-Seite „quäldich.de“ als landschaftlich schön, aber nicht allzu anspruchsvoll beschrieben wird, und weil ich nach der Passhöhe dem knapp unterhalb entspringenden Fluss Var direkt abwärts an die Küste bei Nizza folgen kann, das bedeutet (wenn auch mit einer Zwischenübernachtung) von gut 2300 m direkt auf Meeresniveau, ca. 130 km immer nur abwärts, jedenfalls ohne nennenswerte weitere Höhenmeter.

Wie so oft, komme ich später als geplant los. Ich muss mich aber auch noch mit Proviant eindecken, da ich sicherheitshalber nicht mit Einkehrmöglichkeiten unterwegs rechne.



Nun geht es los, bis zur Passhöhe habe ich knapp 30 km und knapp 1200 Höhenmeter vor mir. Es sind aber trotzdem etwa 100 Höhenmeter weniger als vor einigen Tagen von Romans-sur-Isère auf den Col de Rousset.



Die Straße über den Col de la Cayolle hat verkehrstechnisch kaum eine Bedeutung, weshalb es angenehmerweise kaum Autoverkehr gibt.



Auch diese Passstraße verläuft im unteren Bereich durch eine spektakuläre Schlucht.





Natürlich sind zahlreiche Rennradler unterwegs. Reiseradler mit Gepäck sind jedoch selten, einen werde ich später, auf der Passhöhe, treffen.



Die Steigung bleibt durchweg moderat.





In le Vilard d’Abas gibt es eine unverhoffte Einkehrmöglichkeit, so dass ich mir ein Bierchen gönne. Ich komme mit einer Gruppe britischer Rennradler ins Gespräch.



Wie so viele französische Gebirgspässe, ist auch die Strecke über den Col de la Cayolle mit einer Beschilderung speziell für Radfahrer versehen. Im Abstand von je einem Kilometer ist auf einer Tafel die verbleibende Entfernung zum Pass, die aktuelle Höhe und die durchschnittliche Steigung des folgenden Kilometers angegeben. Sehr praktisch, um gegebenenfalls den Höhenmesser des Tachos zu justieren.





Zum ersten (und letzten) Mal auf der Reise und zum zweiten Mal überhaupt knacke ich die 2000-Höhenmeter-Marke.



Mein bisher höchster Pass war im vergangenen Jahr der Col de Pailhères in den Pyrenäen mit 2001 m, so dass ich ab jetzt, was die Höhe betrifft, „Neuland“ befahre. Nun habe ich mir auch mein Picknick verdient.



Auf den letzten Kilometern wird es etwas steiler (hier zum Beispiel laut Schild 8 %).





Ich habe die Baumgrenze hinter mir gelassen und genieße die karge Hochgebirgslandschaft. Es sind mehr Rennradler als Kfz unterwegs.



Ich bin schon ein bisschen stolz, als ich schließlich meinen bisher höchsten Pass erreicht habe (2326 m).



Von den Informationen auf der Stele ist für mich die interessanteste (aber das wusste ich ja bereits), dass es ab hier bis Nizza 130 km abwärts geht. Natürlich heißt das nicht, dass ich die ganze Strecke einfach nur rollen kann, irgendwann wird es dafür zu flach werden…

Nun mache ich die Bekanntschaft eines älteren Herren, ein Deutscher, den ich kurz vor der Passhöhe überholt habe und der wie ich nicht mit dem Rennrad, sondern als Reiseradler mit Gepäck unterwegs ist. Wir unterhalten uns angeregt über unsere Radreiseerfahrungen, dann bereitet er sich für die Abfahrt vor. Er hat eine Art Bremsfallschirm dabei, der ursprünglich beim Firngleiten verwendet werde (offenbar eine besondere Form des alpinen Skisports, ich habe noch nie davon gehört). Es handelt sich um eine Art Cape, das er nun anlegt, das heißt, irgendwie an Hand- und Fußgelenken befestigt. Dadurch müsse man weniger bremsen und schone die Bremsbeläge. Sehr kurios. Ich habe im Nachhinein dazu nichts im Internet gefunden. Das Ding sei auch schon recht alt und so etwas gebe es heutzutage eigentlich auch nicht mehr. Er verabschiedet sich und rollt los, das „Cape“ bläht sich wie der Umhang eines Comic-Superhelden.

Ich genieße noch ein wenig die grandiose Bergwelt



und rolle dann ebenfalls los. Es ist schon recht spät, bis zum nächsten größeren Ort, Entrevaux, sind es noch etwa 55 km, aber vielleicht übernachte ich ja auch vorher in einem der kleineren Dörfer, die auf meiner Karte verzeichnet sind.

Erstmal genieße ich die Abfahrt durch zahlreiche Serpentinen.





Ein paar Kilometer unterhalb der Passhöhe entspringt der Fluss Var, dem ich abwärts bis zu seiner Mündung ins Mittelmeer, etwas westlich von Nizza, folgen werde.



Der Verlauf der Straße ist landschaftlich spektakulär.



Welcher Laune der Natur diese aus grauem, sandigem Gestein bestehende Mondlandschaft zu verdanken ist, weiß ich nicht.



Die beiden kommenden kleinen Orte, Entraunes und Guillaumes, erscheinen mir, trotz vorhandener Hotels, für eine Übernachtung irgendwie nicht so recht sympathisch. Das heißt aber, dass ich mich nun wirklich beeilen muss, um noch bei Tageslicht Entrevaux zu erreichen.

Nun erwartet mich noch ein weiteres Highlight, eine spektakuläre Schlucht, die Gorges de Daluis. Aufgrund der nötigen Eile kann ich das Landschaftserlebnis allerdings nicht so recht genießen. Zudem steigt die Straße im Bereich der Schlucht ab und zu auch wieder ein wenig an – ich hatte gedacht, es geht bis zum Meer nur noch bergab…







Das Gefälle wird flacher, ich muss nun wieder treten. Schließlich trifft die kaum befahrene Departementalstraße auf die west-ostwärts verlaufende Nationalstraße, auf die ich Richtung Osten einbiege (auch der Var knickt hier nach Osten ab). Ich strample emsig mit knapp 30 km/h gegen die Dämmerung an und erreiche gerade bei Einbruch der Dunkelheit Entrevaux.

Direkt an der Hauptstraße, gegenüber der malerischen Altstadt mit der den Ort überragenden Festung ist ein Hotel, das auch noch ein preiswertes Zimmer frei hat (das letzte). Prima, es ist schon nach acht, ich hatte etwas Sorge hinsichtlich einer Unterkunft. Ich frage auch gleich, wie lange das zugehörige Restaurant geöffnet habe. Noch eine Weile, aber ich solle mich beeilen. Ich beziehe also rasch mein Zimmer, mit dem ich recht zufrieden bin, die Dusche ist im Zimmer, das Klo auf dem Gang. Auf dem Rückweg von selbigem treffe ich auf dem Gang den älteren Herren, den ich auf dem Col de la Cayolle kennengelernt habe. Er hat es also auch bis hierher geschafft und sich hier einquartiert. Er will auch im Restaurant des Hotels essen, wir verabreden uns also zum Abendessen in einer Viertelstunde. Wir unterhalten uns angeregt über dies und das, vor allem natürlich über das Radreisen, er bezahlt den Wein. Er ist bereits über 70, ist aber seit Jahren regelmäßig mit dem Fahrrad in den französischen Alpen unterwegs. Respekt!

9. Tag (07.09.2014), Entrevaux – Nizza

Strecke: 70 km

Fahrzeit: 3 Std. 44 min

Höhenmeter: 122


Von meinem Hotelzimmer aus habe ich einen herrlichen Blick auf die Altstadt von Entrevaux und die darüber thronende Festung.



Sie ist ein Werk von Vauban, dem Festungsbaumeister Ludwigs des XIV. Es gibt in ganz Frankreich zahlreiche seiner Fortifikationen zu bewundern. Diese Zitadelle wurde errichtet, weil Entrevaux früher Grenzort war; alles östlich einschließlich Nizza gehörte bis in die 1860er Jahre zu Italien, genauer zu Savoyen-Piemont.



Bevor ich losfahre, steige ich hinauf auf die Festung und genieße den Ausblick.







Man erkennt im Vordergrund, an den Hang geschmiegt, die Altstadt, und unten im Tal den Var und die Straße, der ich nun weiter nach Nizza folgen werde, sowie die Schmalspur-Bahnlinie Nizza-Digne der Chemins de Fer de Provence, auf der der überwiegend touristisch bedeutsame „Pinienzapfenzug“ (Train des Pignes) verkehrt. Hier findet gerade eine Nostalgiefahrt mit Dampfbetrieb statt.



Nun will ich zügig ans Meer, es sind noch etwa 70 km bis Nizza. Ich folge der D 4202/D6202 ostwärts weiter entlang des Var-Tals. Obwohl ich dem Flusslauf abwärts folge, ist es flach, das Gefälle kaum wahrnehmbar.



Auch die Strecke des „Pinienzapfenzugs“ nach Nizza verläuft weiterhin im Tal des Var. Hier ein moderner Triebzug desselben Typs, den auch die Bahn auf Korsika neuerdings einsetzt.



Ich komme durch die hübschen Orte Puget-Théniers und Vilars, dann wird das Tal enger und landschaftlich interessanter.



Hier mündet von Norden kommend die Route über den Col de la Bonette ein. Ich hätte auch auf dieser Strecke von Barcelonnette bis hier fahren können, über den (mit der Schleife um die Cime de la Bonette) höchsten Straßenpass der gesamten Alpen (2802 m), aber ich hatte mich ja für den Col de la Cayolle entschieden, und man muss sich ja auch noch Herausforderungen für die Zukunft übrig lassen…



Schließlich machen der Var, die Straße und die Bahnlinie einen scharfen Knick nach Süden, nun geht es auf direktem Wege Richtung Küste.



Ca. 20 km vor der Küste beginnt ein Radweg, so dass die Einfahrt in den Ballungsraum von Nizza sich recht angenehm gestaltet.





In Cagnes-du-Mer, etwas westlich von Nizza, bewege ich mich erstmals seit Lyon wieder in großstädtischem Gebiet. Hier erreiche ich schließlich den Strand und bin am endlich am Mittelmeer angekommen. Ich bin sehr zufrieden.



Bis Nizza gibt es nun durchgehend einen Radweg, auch entlang der berühmten Promenade des Anglais. Ich befinde mich nun auf bekanntem Terrain, da ich zwei Jahre zuvor in umgekehrter Richtung von der italienischen Grenze über Monaco, Nizza und weiter bis hierher geradelt bin, um dann etwas westlich von hier über die „Route Napoléon“ hoch in die Berge zu fahren (dann durch die Gorges du Verdon, über den Mont Ventoux, anschließend Ardèche-Schlucht, Cevennen und letztlich nach Katalonien).

Bei der Einfahrt nach Nizza kündet ein Schild von der 150jährigen Zugehörigkeit Nizzas zu Frankreich.



Es geht am direkt am Meer gelegenen Flughafen von Nizza vorbei. Hier beginnt die Promenade des Anglais; dies ist nun also die zweite Radreise, auf der ich hier entlangradele.





Bevor ich mich auf Unterkunftssuche mache, gönne ich mir in einer Strandbar ein Bier. Es ist das teuerste meines Lebens, 11 Euro für einen halben Liter! Nun ja, Nizza ist halt ein teueres Pflaster… Aber was soll‘s, ich habe planmäßig in acht Fahrtagen die Küste erreicht und bin sehr zufrieden, der morgigen Überfahrt nach Korsika steht nun nichts mehr im Wege. Am Horizont sehe ich dann auch eine Fähre von Corsica Ferries, die gerade in den Hafen einläuft.



Aufgrund des nur wenige Kilometer westlich von hier direkt am Meer gelegenen Flughafens liegt der Strand direkt in der Einflugschneise. Diese beiden Fotos sind an gleicher Stelle auf meiner Radreise zwei Jahre zuvor entstanden:





Ich fahre zielstrebig den mir bereits bekannten Weg zum Bahnhof, weil ich mich erinnere, dass es dort für Nizzas Verhältnisse preiswerte Hotels gibt und ich dort schon einmal fündig geworden bin. Ich komme auch schnell in einem sehr einfachen Hotel unter. Anschließend sehe ich mich noch etwas in der Stadt um. Nizza hat, wie viele französische Städte, vor einigen Jahren die Straßenbahn wieder eingeführt.



Der Einfachheit halber begebe ich mich, wie auch das letzte Mal, zum Abendessen auf die Touristen-Abfütterungs-Meile, den Cours Saleya, wo ich immerhin ein leckeres Fischgericht bekomme. Ich freue mich auf morgen, morgen früh um acht geht meine Fähre, und es beginnt der Hauptteil der Reise: Korsika!

Fortsetzung folgt…