Re: Centroamérica en bicicleta

von: joeyyy

Re: Centroamérica en bicicleta - 30.03.15 21:39

Mittwoch, 4.2.2015: Von Rio Dulce nach El Estor




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El Estor, wo zum Kuckuck liegt El Estor?

Das wird mein Etappenziel heute sein, nachdem ich entschieden habe, nicht direkt nach Honduras zu fahren sondern ins Hinterland nach Semuc Champey, zu dem Ort, wo das Wasser sich versteckt. Greg, der Chef des Kangaroo, bestätigte meine Befürchtungen, dass die Straße von Rio Dulce nach Copan eine Haupttransportroute für die ganzen Erze ist, die im Hinterland abgebaut und in Puerto Barrios verschifft werden. Das tue ich mir nicht an. Außerdem habe ich jetzt zwei alte Maya-Ruinenstädte gesehen, die dritte in Honduras tausche ich virtuell gegen ein Naturspektakel in Guatemala ein.

Erstmal aber wird in Ruhe gefrühstückt. Ich chille bis um zehn und frühstücke dann mit John aus Nebraska. Jetzt erzählt er mir alles. Der Typ ist Maurer, braucht gerade eine Auszeit von seiner Frau, die aus Guatemala stammt. Familiending. Er wollte eine attraktive Frau, kriegt eine Familie mit 16-jährigem Sohn, Schwager, mehreren Schwägerinnen und einer Schwiegermutter. Alle Letztgenannten bestimmen seit sechs Jahren sein Leben. Jetzt ist er für zwei Wochen ins Paradies ausgewandert, um Fragen zu stellen und Antworten zu finden. Die soziale Hektik, sagt er, passt nicht in das Leben in Nebraska. Das Leben dort sei wie das Land, sagt er: flach. Und genau das macht er jetzt zwei Wochen lang: flach leben. Mit dem Kajak durch die Mangroven chillen, in Rio Dulce, einem kleinen Kaff mit lautem Durchgangsverkehr, Pizza essen, im Kangaroo an der Theke abhängen.

Gegen halb zwölf setze ich mit John über und fahre von Rio Dulce aus nicht Richtung Süden sondern Richtung Westen. Gute Entscheidung, aber erst ab El Estor. Denn bei El Estor liegt eine der zehn größten Nickel-Minen der Welt und die Straße dorthin ist zwar eine zweitklassige, aber das macht es nur enger. Hitze, Staub und Lärm machen mir ganz schön zu schaffen.

Aber ich kann fahren, wegfahren. Die Menschen in den Pueblos direkt an der Straße nicht. Die Häuser stehen wirklich direkt an der Straße und sind aus Bambusrohr und Schilfgras gebaut. Das heißt, sie sind offen. Die Laster dröhnen keine drei Meter entfernt an ihnen vorbei, mit der Geschwindigkeit, die die Straßen hergeben, nicht die angemessen wäre, um spielende Kinder und streunende Hunde zu schützen. Und nachts, sagt eine Comedor-Besitzerin, wird das noch schlimmer. Da geben sie richtig Gas. Diese Trucks sind keine Laster, wie sie in Deutschland fahren, sondern alte amerikanische Riesendinger, die laut, dreckig und angsteinflößend sind. Die Amis bauten sie für lange, gerade Straßen, nicht für zweitklassige guatemaltekische Hinterlandwege.

Die Luftwirbelbremsen, die die Dinger anwerfen, wenn es bergab geht, dröhnen locker mit über 100 Dezibel. Und es geht häufig bergab hier, auch in den Pueblos.

Irgendwie komme ich dann doch in El Estor an. Die Stadt ist größer als ich dachte. Im Lonely Planet wird ein Hotel empfohlen, das leider besetzt ist. Ich fahre zum nächsten und habe mehr Glück. Nach einer ausgiebigen Dusche gehe ich zum Lago Itzabal, dem größten See des Landes. Dort geht gerade die Sonne unter, ich setze mich auf einen Fähranleger und gebe mich der Stimmung hin.

Es ist ja so, dass man sich schon mal verlieben kann – ich meine jetzt nicht in andere Menschen. Ich meine auch nicht Sachen wie ein Fahrrad oder einen Fotoapparat. Auch nicht Tiere, wobei die ja rein juristisch Sachen sind. Auch nicht in Hamburger, wie uns die Werbung von Mc Donalds weis machen will. Wobei: Wenn man in Tiere verliebt ist, darf man keine Hamburger lieben, jedenfalls nicht die von Mc Donalds. Aber das nur am Rande.

Ich meine Verlieben in eine komplexe Idee, eine Utopie oder in ein Land. Und wenn so etwas wirklich geht, dann bin ich in Guatemala verliebt.

Ich meine, Bayern ist nett, Italien und Kanada auch. Auch Ostfriesland hat seinen Charme. Aber nein, die haben nicht das, was ich meine.

Guatemala hat mich irgendwie gefunden. Oder ich es. Ich dachte immer, dass ich vielleicht mal nach Freiburg ziehe. Das hat sich jetzt erledigt. Wenn ich irgendwann mal wirklich wegziehen wollte, dann nach Guatemala.

Tja, warum dieses kleine, vom Bürgerkrieg noch vernarbte Land? Ich weiß es nicht wirklich. Es wird von Kanadiern und dem belgischen Solvay-Konzern ohne Skrupel und Rücksicht auf indigene Kultur ausgebeutet, die Bauern holzen die Urwälder ohne Sinn und Verstand ab, die Regierung ist korrupt, die Kriminalität hoch, die Laster sind laut, überall liegt Müll rum, tote Kühe inklusive.

Und dennoch fühlte ich mich in noch keinem Land so herzlich (sic!) willkommen wie hier.

Da ist das ständige Winken und freundliche Rufen der Menschen vom Straßenrand. Auch wenn ich als “Gringo” sicher eine Besonderheit bin. Noch nie habe ich so viele Menschen gegrüßt wie hier. Hier gilt wirklich, dass ein Lächeln die kürzeste Entfernung zwischen zwei Menschen ist.

Die Natur ist famos, auch wenn hier gerade im großen Stile der Regenwald gerodet wird. An der Basis wissen die Menschen hier aber, dass das nicht richtig ist.

Ach, was soll ich denken? Wer bitte will mit dem Kopf begründen, was das Herz entscheidet?

Wir alle haben Lieblingsirgendwasse und mein Lieblingsland ist jetzt Guatemala.

Ich fotografiere ein wenig, dann setze ich mich wieder, neben eine junge Frau im Arztanzug. Ich lese nur “Dra. Kim” auf dem Namensschild und frage sie auf englisch, ob sie hier irgendein Praktikumsjahr mache. Sie antwortet auf spanisch, dass sie hier ganz normale Kinderärztin sei und in der örtlichen Klinik arbeite. Ich bin überrascht, da ich in ihr eine Amerikanerin oder Kanadierin vermutete. Nein, sie kommt aus der Ciudad, wie die Guatemalteken ihre Hauptstadt nennen.

Wir kommen ins Gespräch, dabei stellt sich heraus, dass sie in Kuba studiert hat, wie so viele Ärzte aus Lateinamerika. Mir kommt zugute, dass ich für einen Spanischkurs mal ein Referat über das Gesundheitssystem in Kuba recherchiert und gehalten habe.

Nach wenigen Augenblicken steht fest, dass wir uns noch stundenlang unterhalten könnten und so lade ich sie zum Abendessen ins nächste Restaurant am See ein. Schön, dass ich mir das leisten kann und noch schöner, dass Kim die Einladung annimmt. Wir essen die örtliche Spezialität, eine Fischsuppe, bei der ich zwar den Fisch und die Garnelen sehen kann, aber die Suppe nicht. Wie lecker Essen schmecken kann, wenn die Zutaten frisch sind! Hier in Zentralamerika wird gar nicht viel gewürzt – Salz genügt. Den Geschmack erhält das Essen durch die Zutaten und ihre Kombinationen.

Kim würde gerne bei den Ärzten ohne Grenzen arbeiten, möchte aber ihre Familie nicht verlassen, die ein Stück weit auf sie angewiesen ist. Es ist eine Familiengeschichte, in der der Bürgerkrieg in Guatemala und in El Salvador eine wichtige Rolle spielt.

Gegen Mitternacht bringe ich sie dann zu ihrem Hotel, in dem sie die Woche über wohnt. Wir verabschieden uns herzlich mit gegenseitigen Einladungen nach Guatemala Ciudad und nach Hannover. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nochmal nach Guatemala reisen werde. Und dann hoffe ich, Kims Einladung annehmen zu können.

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Fortsetzung folgt...