Re: Die Legende von Pirineosaurus

von: veloträumer

Re: Die Legende von Pirineosaurus - 18.12.14 20:52

KAPITEL 8 – NAVARRA II/FRANCE III (b)

Feinste Schokoladen, gepfefferte Zugaben, verhexte Höhlenkunde und das letzte Bad im Meer: Abschiedstränen aller Art in Labourde und an der Corniche

(Anm. von veloträumer: Um den Hexenstättenbesuch und das dramatische Ende von Pirineosaurus auch akustisch zu begleiten, empfehlen sich die beiden Schlusssätze der Symphonie Fantastique, ihrerseits seinerzeit ein Pionierwerk der Sinfonischen Dichtung mit dem Untertitel „Aus dem Leben eines Künstlers“ (auch als Schicksalsinfonie bezeichnet) und von Hector Berlioz komponiert, der als Exzentriker und Sonderling galt. Die Koinzidenz zum Wesen von Pirineosaurus dürfte mehr als zufällig sein, zumal wir eine archaisch, geradezu saurisch anmutende Einspielung finden, deren begleitende Bilder wie aus Pirineosaurus’ letzten Stunden scheinen – die des verschluckenden Meeres unter einem trauernden Himmel: Hector Bérlioz „Symphonie Fantastique – ...er (13:07 min.).

Sa 19.7. Bidarray (+) – Pas de Roland – Itxassou – Cambo-les-Bains – Espelette – Col de Pinodiéta (176m) – Ainhoa – Dancharia – Zugarramurdi – (exc. Wanderung Cuevas de Bruja, ca. 1 h) – Sare – Grotte de Sare – Sare – St-Pée-s-Nivelle – Ibarron – Ascain
70 km | 12,3 km/h | 5:31 h | 955 Hm
W: schwül, meist bewölkt, später sehr windig, regnerisch, kühler
Ü: C Ascain 5 €
AE (Les Chasseurs): Platte mit Schinken, Patete, Gambas, Salat, Fischfilet, Püree, Rw, Pfirsich-Blätterteig, Cafe 31 €
B (Espelette): L'Atelier du Piment
B (Espelette): Galerie Cortez
B (Zugarrimundi): Cuevas Z./Museo de las Brujas 7,50 €

Diese einsame Nebenstrecke auf der westlichen Uferseite der Nive ist extrem wellig, immer wieder mit kurzen Steilrampen versehen. Das geht so etwa bis zum Pas de Roland, noch vor den Toren Itxassous gelegen. Von den dicht bewaldeten, steil ansteigen Seitenhängen ist häufig Erde auf die Straße geschwemmt und eine Straßenkontrolle prüft den Zustand. Die Nebelstimmung hat sich tief über die Nive gelegt. Selbst hier unten in den Flussauen weiden Schafe. In Laxia, einem Weiler mit ein paar touristischen Betrieben, mündet ein extrem enges, rauschendes Tal, dem man über eine steile Straße zum exponierten Aussichtsberg Artzamendi folgen kann. Pirineosaurus, der daran ursprünglich mal Interesse bekundete, nahm davon aber Abstand. Schon allein die übermächtigen Nebelwolken, die selbst die ersten Höhenstufen in weiße Löcher des Nichts verwandelten, hätten eine Exkursion verhindert.

Die Attraktion von Laxia, zu Itxassou gehörend, liegt unmittelbar an der felsigen Engstellen. Unmittelbar zwischen Nive und Straßenmauer erhebt sich ein sonst nicht besonders bemerkenswerter Fels, wie er an rauschenden Flüssen in Felsengen häufiger vorkommt. Der Fels hat jedoch einen schwerwiegenden Mangel: Er ist von einem geometrisch recht exakten kreisrunden Loch durchschlagen. Ein solches Loch weckt bei Pirineosaurus Heimatgefühle, schließlich entstammt er einer Gegend, die mit diesem Loch in engem Zusammenhag steht. Der Ritter Roland, ein Heerführer im Namen Karls des Großen, auch als dessen Neffe vermutet, schuf dieses Loch mit einem Schwert oder wie Pirineosaurus zu bestätigen glauben kann, doch eher mit der Hufe seines Pferdes, als selbiger Roland auf der Flucht vor den Basken sich hier einer Barriere gegenüber sah. Pirineosaurus lauscht und hört, wie aus dem Loch Musik aus einer seiner Zeiten dringt: Mince Pye „El Cantar de Roldan – Medieval Drum Dance“ (4:20 min.).

(Wissenschaftliche Anm. von veloträumer: Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass in den heimatlichen Gefilden von Pirineosaurus dem Gegenstück dieses Rolandsbogens (eine Scharte in einer Burg) eine Drachenburg gegenüber liegt. Durch die Ähnlichkeit im Aussehen von Drachen und Pirineosaurus, soweit diese Interpretation mit einer gewissen Unschärfe zu betrachten ist, entsteht so ein recht geschlossenes und stimmiges Bild in der magischen PPP-Trilogie – Pirineosaurus, Pyrenäen, Pas de Roland. Es ist also anzunehmen, dass die Schriften des Pirineosaurus über einen ausdrücklich hohen Wahrheitsgehalt verfügen, ja es sich um realistische Augenzeugenvermerke handelt.

Auch wurde das Rolandslied in 4002 Versen verfasst, eine andere, mexikanische Deutung von Bernardo de Balbuena umfasst sogar 40000 Verse! Entsprechend scheinen die zu Pirineosaurus Zeiten üblichen Textlängen mit denen hier zu korrelieren. Auch das unterstreicht den Wahrheitsgehalt der Legende um Pirineosaurus. Es gibt neuerdings sogar Hinweise, dass das Rolandslied zu Ehren von Pirineosaurus geschrieben wurde. Diese These ist aber eher nicht haltbar, da Roland als „rasender Roland“ bekannt war – eine dem Charakter von Pirineosaurus widersprechende Wesensart.)


Noch vor den Stadttoren Cambo-les-Bains riecht Pirineosaurus Besonderes. Sogleich findet er einen Schokoladentempel, den eigentlich ein Saurier mit durchschwitzten Häuten nicht besuchen dürfte. Der Edelladen, die „Chocolaterie Puyodebat“ richtet sich eher an Kurdamen mit Krokohandtaschen aus, deren Kreditkartenkollektion sorgenlose Rentnerzeiten vermuten lassen. Für die ist es aber noch zu früh, und die Dame des Hauses ist wohl nicht ganz unerfreut über den Besuch eines Wesens aus prähistorischen Zeiten, könnte das doch neue Marktzugänge eröffnen. Pirineosaurus lässt seine Disziplin fallen und schneidet ein großes Loch in seinen Talerbeutel. Im Gegenzug erhält er sabbernde Gaumensäfte, die er mehrere Tage im Speichelraum abschlecken kann.

Damit war noch nicht genug der Gourmetproben des Tages getan. In Cambo-les-Bains gibt es auch ein Spezialkäseladen, Würste finden sich an allen Ecken und das Frühstück war eher für Großtaler-Saurier zusammengestellt. Und es geht weiter. Espelette liegt dort, wo der Pfeffer wächst! Pfefferschokolade ist nur ein Produkt von vielen, scharfe Soßen, würzige Würste, delikate Gelees – alles wird mit Pfeffer gewürzt. Die Pfefferplantagen beginnen direkt vor dem Atelier, besuchergerecht mit Infotafeln versehen. Noch sind die Peperoni grün – doch ist Espelette durch und durch rot gepfeffert. Kaum ein Geschäft, das die AOC-geschützte Spezialität nicht aufgreift.

So auch Daniel Rodrigues, Zeichner und Maler, in seiner Galerie Cortez. Er hat einen besonderen Stil entwickelt, um typisch baskische Motive mit einer Note Humor zu versehen. Die rote Frucht aus Espelette nimmt natürlich auch eine wichtige Stellung ein – „chili con arte“ sozusagen. Besonders gut gefallen mir aber auch die Schafe – das Schwarze Schaf im weißen Schafspelz, gewissermaßen ein Doppeldeutigkeit der Unschuld. Kleine Figürchen modelliert er ebenso wie spezielle Motiv-Kacheln, die er in aufwändiger Technik herstellt. Figuren und Kacheln werden im Tonofen gebrannt. Da geht einiges zu Bruch. Exakt, konzentriert führt er den Strich auf seiner Vorlage, von denen aus die Motive und ihre zahllosen Varianten wachsen, bis sie bunt und fröhlich geworden sind. Pirineosaurus sieht sich an einen Höhlenkünstler erinnert, den er immer hoch geschätzt hat und mit dem er sich bestens verstanden hatte. Natürlich muss Pirineosaurus hier zwei kleine Werke für seine Höhle mitnehmen, denn vieles hier ist gewiss a-STONE-ishing! Befragt nach dem baskischen Nationalismus meint Rodrigues, dass das eine Sache des Binnenland-Meer-Gefälles wäre. Je mehr Binnenland und desto provinzieller, desto stärker seien die baskischen Wurzeln. Ist der Ort touristischer wie etwa St-Jean-Pied-de-Port oder die Küstenorte, sei das Baskische eher nur noch Folklore und man sei französisch geprägt.

Beide Ateliers liegen noch außerhalb im Osten vom Ortskern Espelette. Dieser ist ebenfalls von der roten Krummschote geprägt. Und wieder feinste Schokolade, Pirineosaurus muss nochmal nachladen. Sogar eine ganze Radfamilie aus dem Tulpenland ließ sich auf das für ihre Landsgruppe doch heikle kulinarische Experiment ein. Der Taschenraum wird zunehmend eng. Casco Nuevo räuspert sich schon mal. Noch weiter über einen kleinen Pass, der trotzdem Pirineosaurus in der schwülen Luft hecheln ließ, gibt es gar Lebkuchen mit verschiedenen Aromen als regionale Spezialität. Sommergerecht die Probe mit frisch gepresstem Orangensaft. Ainhoa ist unter den vielen schönen baskischen Dörfern und Städtchen mit ihrem klassischen Fachwerk (meist rot oder rotbraun, aber auch andere Farben sind üblich – Blau- und Grautöne traditionell, Grün ist eher neuer) eines der schönsten – ein bisschen Postkarten-rausgeputzt. Das ist irgendwie aber auch wieder überall – sogar überall in Frankreich, wo Fachwerk steht – man schaue nur ins Elsass. Während das spanische Baskenhaus durch seine stämmigen Rahmen mit unverputzten Steinen an Fenster, Türen und Hausecken gekennzeichnet ist, sind französische Baskenhäuser aus Fachwerk, wobei es sowohl gekreuzte wie auch vertikal parallele Linienstrukturen der Holzbalken gibt. Gesamthin ist die Häuserqualität in baskischen Regionen hochwertiger und ästhetischer als in den jeweilig anderen Landesteilen – das ist auch a-STONE-ishing.

Egal ob Klischee und Tradition, wer Kitsch und Kommerz will, braucht nur wenig weiter über die spanische Grenze fahren (Dancharia). Krasser Kontrast. Kaufhallen und Markenshops – ein Ort der Schnäppchenjäger – das Preisgefälle macht es heute wohl, vielleicht auch Steuervorteile. Es gibt aber fast nur Dinge, die Pirineosaurus nicht brauchen kann. Dinge, die es zu seinen Zeiten glücklicherweise nicht gab. Ein leichter Anstieg ist es nach Zugarramurdi. Hier wird Pirineosaurus nervös. Es liegt mal wieder Besonderes in der Luft – obwohl keine Gourmetgerüche.

Es sind hier geheimnisvolle Orte. Ein Platz der Hexen. Höhlen und Museum. Die große Höhle erreicht man nach einem Rundgang durch ein Wäldchen. Es blinken Silberbäche, stille Orte im lichten Forst, eine Aussichtsplattform. Dann durchwandelt Pirineosaurus die große Höhle. Große Heimgefühle, angeleuchteter Granit, wird zu Gold. Eine kleine Höhle noch, verschachtelt, geheimnisvoll, für Schlangensaurier. Pirineosaurus riecht den Ahnenduft, die Hexengebräue über den kupfernen Feuertöpfen, den Ruf der Schleiereulen. Bestechend, steinerne Natur mit geschichtlichem Atem – a-STONE-ishing!

Zwischen Ort und Höhle liegt das Museum. Es ist ein Zeichen. Ein Zeichen gegen das Verbrechen der Inquisition. Es war in Zugarramurdi 1610, im November, als vier Frauen und zwei Männer vor 30000 Schaulustigen (!) bei lebendigem Leibe auf dem Scheiterhaufen hingerichtet wurden. Der Mob ist hässlich – noch hässlicher als der Tod selber. Und scheinbar, denkt Pirineosaurs, haben die Menschenkinder nicht viel dazu gelernt – werden nicht gar heute noch Heime abgefackelt, wo Menschen lebendig drin wohnen, weil sie fremd erscheinen!? Nie zu denken gewesen, dass Saurier solchen Hass in sich getragen hätten. Den Mob – den gab es erst mit den Säugetieren – und genauer: mit den Menschenkindern.

In Navarra gab es über 60 Orte, wo die Inquisition angewandt wurde. Die Foltergeräte lassen Pirineosaurus erschaudern. Das wäre in saurischen Kreisen undenkbar gewesen. Kopfschüttel, was die Menschenkinder sich gegenseitig antun können. Die Hexerei war nicht nur manchmal mit obskuren Ritualen verbunden, oft waren es falsche Verdächtigungen. So waren Frauen u. a. deswegen von der Hexerei besonders betroffen, weil sie wichtiges Wissen über die Heilkräuter der Region sammelten und Grundlagen für traditionelle Heilungsmethoden entwickelten. Die Abgeschiedenheit der Kräuterwelten in den Bergen regte dabei die Fantasie der Stadtbewohner an. Die Vorstellung vom Hexensabbat war z. B. die, dass die Hexen durch die Luft zu ihren schwarzen Messern flögen, dort sei dann der Teufel als Bock auf einem vergoldeten Stuhl gesessen und sein Penis sei mit den Schuppen wie von einem Fisch besetzt und der Samen kalt gewesen. (So nach Forschungsergebnissen von Pierre de Lancre, Infos z. B. über die Tourismusseite von Navarra.)

Bereits reichten unbewiesene Anschuldigungen, um Torturen ertragen zu müssen, weil die Suche nach dem Teufel pedantische, gleichwohl brutale Methoden der Teufelssuche am Körper angewendet wurden – wie etwa das Nadelabstechen der Haut, um angeblich blutleere Teufelsadern zu finden. Die Ursachen der Hexenverfolgung lagen zuweilen in profanen Eigenschaften der Menschenkinder wie etwa Neid, Verleumdung und Konkurrenz, bis ins Politische hinein. Das Museum beleuchtet viele Hintergründe wie auch das damalige Landleben, aus dem heraus sich manche Hexerei entzaubern lässt. Pirineosaurus ist merklich entsetzt und ruft ein lautes „Akelarre!, Akelarre!“ (Zauberwort, das die Mächte im Jenseits beschwört) aus.

Nun sollte es noch eine Höhle sein, die Pirineosaurus weitere Einblicke in seine alten Zeiten erlauben könnte. Doch die Höhle in Sare ist schwer abgeriegelt und hat natürlich nur kleinliche Öffnungszeiten. Pirineosaurus rüttelt am Zaun, wo einige Urmenschen herumstehen. Bei näherem Hinsehen erweisen sie sich aber als Steinpuppen. Es waren auch recht moderne Menschen, die bereits Felle trugen – das war eigentlich nicht die beste Zeit von Pirineosaurus.

Die weitere Runde über St-Pée bringt wenig landschaftlichen Gewinn. St-Pée selbst ist recht belebt, auch die Strecke nach Ascain noch. Der Akelarre-Ruf hat jedoch eher die dunklen Mächte ermuntert als beschwichtigt. Pirineosaurus muss erneut einen Schutzmantel umlegen und in Ascain Unterstand suchen. Sogleich auch ein Ort für das Abendmahl, bei dem Pirineosaurus ein besonderes Zeichen aus dem Himmel erhält. Ein bunter Bogen – ein Zeichen, welches nach Abschied aussah. Mit Preisen ab mindestens 65-70 Taler wollte ich auch nicht gerade eine Bettkammer, obwohl es Wolkenbrüche drohte. Wohl aber dem Regenbogenzeichen folgend, blieb die Nacht über dem saurischen Nachtlager ruhig.

So 20.7. Ascain – Ciboure – Socoa – Hendaye Plage – Hendaye SNCF
27 km | 10,4 km/h | 2:23 h | 280 Hm
W: regnerisch, Wolken tief, kühl, später teils heiter, sehr windig, max. ca. 23 °C
Ü: Nachtzug
AE (Luisito): Entrecôte, Pf, Salat, Apfeltorte, Cidre, Cafe (Preis vergessen, weil Gedächtnis langsam entschwunden ist, vgl. Nachtrag)

Nein, die letzte Passrunde um den La Rhune sollte nicht mehr sein. Gewaltige schwarze Wolkensäcke hätten die Tour zu einem Lotteriespiel werden lassen. Pirineosaurus wollte unbedingt nochmal Meer riechen und fühlen. Es war wohl wieder die richtige Schicksalslenkung, der Pirineosaurus gemäß den äußeren Umständen wie auch seiner Nase nach folgte. Es gibt kaum noch Gefälle bis Ciboure am Meer (man nehme die Nebenstraße, nicht die D918 nach St-Jean). In Ciboure findet gerade Markt statt. Gelegenheit, um nochmal kulinarische Souvenirs einzupacken. Es ist die Zeit für Casco Nuevo, seinen sicheren Taschenplatz zu räumen. Ich verspreche ihm noch schöne Ausblicke, regenfrei könne ich nicht garantieren. Casco Nuevo willigt ein. Also auf den saurischen Kopf. Festschmuck!

Kaum saß Casco Nuevo auf dem Kopf, fielen auch schon Regentropfen. Er fluchte und jammerte, warum denn selbst am Meer nicht mal Sommer sei. „Tja, liebe Plastikschale, das war bei mir nun nicht gerade selten – du hattest es gut da drin“, klagte ich zurück. Daraufhin schien er ehrgebietig zu schweigen. Schweigen war auch angebracht, denn trotz der der Trauergardinen, die sich über das Meer und das Land legten, entstanden Bilder von fast endgültiger Schönheit. Es ist die Schönheit der Trauer – Pirineosaurus erkennt, dass der Himmel Abschied weint. Das ist mehr als schön – das ist Anbetracht der leicht geneigten Steilfelsen, unter den die Schaumkronen mitten im blauen Meer toben – das ist a-STONE-ishing!

Vor den Toren Hendayes und mit Blick über die Bucht, findet sich ein Schloss, recht gut in Schuss und mit größerer Parkanlage, die den Meerblick bietet. Pirineosaurus stolpert über den Anblick saurischer, versteinerter Wesen, dem Sprachgebrauch nach Krokodile. Seinerzeit einmal gute Bekannte von Pirineosaurus, wenngleich man sich heute auseinander gelebt hat. Es sind Symbole des Nils, dessen Gebiet des Bauherrs des Schlosses, Antoine Thomson d’Abbadie, im 19. Jahrhundert erforschte. Er zeichnete die erste Landkarte von Äthiopien nach langjährigen Aufenthalten dort. Das Château-Observatoire Abbadia war ein Zentrum der Wissenschaften und lange Zeit auch ein Observatorium – bis weit nach dem Tode von Abbadie. Er war eigentlich Ire, ging aber den baskischen Wurzeln seines Vaters nach, erforschte die baskische Sprache und gründete auch entsprechend das Heim an diesem schönen Ort. (Besichtigungen sind möglich, worauf ich aber der Zeitachse folgend verzichtete.) Ein kleines a-STONE-ishing.

Immer mehr auch von Wolkenlücken beglückt, juckte Pirineosaurus nun endgültig das Badegefühl äußerst heftig. So zogen ihn zwei allein stehende Felsen im Meer in der Nordostecke der Strandbucht von Hendaye an. Dort tauchte Pirineosaurus ins Meer ab – und wieder auf. Die Füße sinken langsam in den Sand. Sein Korpus zuckte kurz, dass von ihm ein großer Schatten auf dem Boden entstand. Aus dem Schatten wuchs der Geist. Es wurden seine Eingeweide sichtbar, die Schaumbläschen des Meeres schimmerten durch seinen Körper. Die Eingeweide nahmen die Farbe der roten Felsen an. Pirineosaurus spürte, wie er langsam versteinerte. Das Meer flüsterte, der Fels schwieg. Pirineosaurus stapfte nun schwer durch den Sand. Den Felsen rief er noch ein lautes a-STONE-ishing zu – es sollte sein letzte Prädikatsvergabe sein.

So schwankte ich auf dem Zweirad durch die Straßen, passierte die Brücke über dem Gewirr der Gleise und Rangierlokomotiven, die das andere Ende Frankreichs markieren – das Ende der Spurbreiten, um es technischer zu sagen. Die Gedanken kreisten, wurden wirr wie die Gleisstränge, ein schwammiger Nebel erfüllte meinen Geist – er wurde zunehmend flüchtig. Ich ging in ein Bistro und stärkte mich nochmal mit einem riesigen Fleischstück, das einem großen Saurier entnommen zu sein schien. Mit meinem Stift machte ich letzte Notizen, trank dazu einen großen Krug Apfelwein.

Zwischen Weinfass und Tisch stehen zwei Bilder, das eine ein Berghaus mit weißen Gipfeln am Horizont, das andere das einer Barke am Meer. Es scheint wie inszeniert für den Abschied. Das war’s, was Pirineosaurus erlebte – monti e mare, die a-STONE-ishing things derer viele dazwischen. Pirineosaurus bemerkt ein Kribbeln in seinen Gliedern, als würde sich etwas im Körper verwandeln. Er spürt, dass die Zeit gekommen ist – die Stunde der Metamorphose. Ich habe schon den Bahnhof gesehen, das Gebäude, das das Unheil verkörpert, obwohl mit moderner Kunst farbenfroh aufgehübscht. Auch die Stunde Verspätung kann die Sache nicht aufheben. Pirineosaurus droht seinen Lebenssaft zu verlieren, sich in seiner Heimat aufzulösen. Niemand weiß, ob es ein Wiedererwachen geben wird.

Die Möwe von Cerbère spürt am anderen Ende der Pyrenäen, dass etwas Schreckliches in der Luft liegt. Ihr schaudert, dass in der Ferne Pirineosaurus offenbar Kontur verliert, wie Bläschen des Meerwassers am Strand zerplatzen und in einen unsichtbaren Kreislauf zwischen goldfarbenen Quarzkörnchen eintauchen. Unsichtbar bleibt der Geist zurück und taucht ab in die Traumwelten des veloträumers. Selbst Casco Nuevo, der sich vor fast jedem Abenteuer erfolgreich auf der Tour gedrückt hatte, nimmt ehrfürchtige Haltung an und zeigt sich offen in seinen Festfarben, wagt die Krönungszeremonie für den Gang zum Gleis, der eigentlich ein Gang zum Richtplatz ist. Dem Himmel ist die Trauer in die Wolken geschrieben, das Meer schreit noch ein letztes Mal auf. Dann fallen die Türen.

traurig traurig traurig

Es kann kein Zufall, dass Pirineosaurus ungewollt nach Ciboure gelangt und dann die schönsten impressionistischen Bilder in den leibhaftige Meeresstimmungen zu sehen bekommt. Neben Claude Debussy ist der Begründer des musikalischen Impressionismus Maurice Ravel. Und dieser wurde natürlich in Ciboure geboren, auch zog es ihn zum Lebensende wieder zurück in die Biskaya. Der Impressionismus weckte einst bei Pirineosaurus den Aufbruch in neue musikalische Gefilde und er blieb ihm vermutlich bis heute eng verbunden. Der Anfang aus Debussy’s Partitur zu „La Mer“ schmückte lange Zeit die Höhlenwände von Pirineosaurus, obwohl er keine einzige Note davon verstand. Claude Monets malerische Meeresimpression „Impression soleil levant“ soll sogar noch heute in der Schlafgrube einen Galerieplatz besitzen. Es mag daher nicht verwundern, das für die letzten Bilder aus Pirineosaurus’ Reise die folgende Musik empfohlen sei: Maurice Ravels „Miroirs III – Une Barque sur l’Ocean” (7:15 min., mit toller Bilderkollektion).

Bildergalerie zu Kapitel 8 (121 Fotos):



Verantwortlich gezeichnet
Pirineosaurus Rex

Fortsetzung folgt