Re: Die Legende von Pirineosaurus

von: veloträumer

Re: Die Legende von Pirineosaurus - 14.12.14 13:10

KAPITEL 2 – CATALUNYA II
Spiegelbilder und Brückenflair, entlegene Täler und Wälder, Felsabbrüche und Wasserfallschönheiten, Würste und Kalisalz: Von Girona über der Vulkanregion Garrotxa durch Collsacabra/Vall de Sau und mit einem Hauch Montseny ins Salztal

Fr 20.6. Girona – Sant Martí de Llémena – Les Planes d'Hostoles – Sant Feliu de Pallerols – Coll de Bas (?m) – Bas – Coll d'Uria (700m) – Coll de Condreu (1020m) – Rupit (Camping)
73 km | 13,8 km/h | 5:11 h | 1295 Hm
W: sonnig, bis ca. 30 °C, abends sehr frisch
Ü: C Rupit 10,50 €
AE (C): Steak, Pf, Salat, Erdbeeren, RoséW, Cafe 15,45 €
B (Girona): Banys Àrabs 2 €

Morgens traf ich abends schon begrüßten Liegeradler am Frühstückstisch wieder, ein Franzose und Rentner, der sich auf Welttour bewegte und ein typischer Geschichtenerzähler war. Das lebenswerte Girona bestätigt sich auch zu Tage. Die augenfälligste Sehenswürdigkeit sind die bunten Häuserfassaden, die sich malerisch im Wasser spiegeln, welches man über architektonisch gelungenen Fußgängerbrücken überschreiten kann. Immer wieder ergeben sich neue Blickwinkel der Szenerie, Schatten- und Farbspiele, Spaliere und Perspektiven – eine inspirierende Spielwiese für Fotografen.

Kommt man in die Gassen des jüdischen Viertels, sind es Treppengassen, Steinbögen, kleine Brunnenplätze, begrünt mit überhängenden Pflanzen in Steinkübeln – fast alles in Beige- und Grautönen gehalten – ein städtisches Wohnzimmer mit dezentem Charme – die Reduktion der Auffälligkeit, ein starker Kontrast zu den Uferfassaden. Bunt ist es aber in den Läden, z. B. wird feine Keramik angeboten, filigrane Figuren und auch bunte Schmetterlinge in leuchtenden Kolibrifarben, wie sie Pirineosaurus liebt und sammelt.

Im Geschäft füllen schon Touristengruppen das knappe Platzangebot – so ganz vergessen, wie der Radler aus Girona meinte, ist die Stadt dann doch nicht. Zumindest morgens verliert sich das aber alles noch. Ich besuche einen Badetempel im arabischen Stil aus dem 12. Jahrhundert – schon fast aus der Zeit von Pirineosaurus. Stille Räume, keine orientalischen Mosaik-Schnörkel, die man aus Andalusien von den Mauren kennt, sondern fast asketische Schlichtheit. Soweit der Mensch hier Baden und Schwitzen ging, stand die Schönheit seines Körpers im Mittelpunkt, seine Reinlichkeit wie seine Sinnlichkeit. Auch ein Ort meditativer Verlorenheit. Eine kleine, aber feine Sehenswürdigkeit, von den Massen etwas umgangen. Selbstverständlich aus Stein – ein leises a-STONE-ishing.

Leise und meditativ sind auch die Klänge vom Hang, einem blechernem Klangschaleninstrument, welches der Tongebung karibischer Steelpans ähnelt, aber weicher nur mit der Hand geschlagen, berührt, angetupft wird. Das UFO-ähnliche Aussehen steigert noch die meditative Wirkung ins Außerirdische. Der Spieler direkt gegenüber dem Badeingang ist Peruaner, lebt mit seiner brasilianischen Frau in Girona und klagt über die Schwierigkeiten für Ausländer, qualifizierte Arbeiten zu finden (Frau in Teilzeit in der Krankenpflege). Durch die Krise drängt es die Außenseiter und Ausländer als erstes an den Rand der Gesellschaft. Er schlägt sich eher mit Gelegenheitsjobs durch und versucht mit Muschelschmuck und der Musik etwas Geld einzuspielen, eine CD bietet er auch an. Seine Stücke haben oft verschiedene südamerikanische Wurzeln, die Rhythmik erfährt dadurch eine ungewohnte melodiöse Lieblichkeit. Ich erzähle ihm vom Schweizer Reto Weber, der diesem Instrument im Jazzkontext zum Durchbruch verholfen hat, daselbst das Instrument eine Berner Erfindung ist (Hang = Berndeutsch für Hand). Er kennt weder Reto Weber noch offenbar die Herkunft des recht jungen Instruments. Ich spendiere einen Betrag etwa in Höhe des Eintrittsgeldes für den Badetempel. Er schenkt mir eine Muschel, die ich ab sofort als Glücksbringer in einem Taschenschlitz über Casco Nuevo platziere. So hat nun auch Pirineosaurus eine Muschel, obwohl er nie einen Pilgerweg im Zeichen des Jakobus abgebüßt hat. Klangbeispiel für das Hang: Chico Freeman & Reto Weber: Live at Schule Erlen

Die Ausfahrt Girona ist eigentlich noch leichter als die Einfahrt – es hat nahezu gar keine industriellen oder sonstwie unangenehmen Speckgürtel. Schon bald empfangen mich die viel versprechenden Symbole für das Vall de Llémena: Pilze und Wildsauen. Also wieder ein einsames Gebiet, das mystische Plätze verspricht. Das Tal ist schon fast flach, bietet ein paar Rastplätze, Spitzbogenbrücklein, schattige Badestellen nebst vermoosten großen Steinblöcken, auch eine freie, aber verlassene Campingwiese mit verwahrlosten Leitungen, offenbar nur noch als Tagesrastplatz aufrecht gehalten. Dort jenseits von Esteve de Llémena steigt die Straße erst an, einsam durch niederwüchsigen Wald. Für den Durst ein schöner Rastplatz mit ergiebigen Brunnen auf der Westseite.

In Les Planes trifft man auf die Via Verde, die von Girona nach Olot führt, auch Teil von Pirinexus. Dieses Tal ist belebter, ich finde sogar einen Laden für regionale ökologische Produkte von hoher Qualität. Eigentlich fährt man Straße – zumindest habe ich keinen Radweg gesehen, nur in Richtung Passhöhe kann man auf die alte Passstraße abzweigen, um sich den Tunnel zu ersparen. Auch hier keine prominente Steigung, noch weniger als zuvor. In Bas erreiche ich dann einen Tangentialpunkt zu meiner Pyrenäentour 2011 – nur wenige Meter nördlich liegt der Abzweig zum Coll de Bracons. Nach Westen streben bereits charakteristische Felsgrate des Collsacabra gen Himmel.

Über den Coll de Condreu findet man die Eingangstür zu diesem Tourteil, der sicherlich unter Pyrenäenradlern sträflich vernachlässigt wird. Das Gebiet Collsacabra/Vall de Sau, was sich um zwei Stauseen des El Ter gruppiert, ist ein ausgezeichnetes Radelrevier, hat mehr touristische Infrastruktur als man zunächst erwarten würde, ist aber trotzdem auch noch einsam zu nennen. Man trifft viele einheimische Radler – Rennradler auf den Asphaltstraßen, MTBer auf den Pisten. Ausländische Radtouristen scheinen aber selten zu sein. Den Pass erreiche ich bei tiefer Dämmerung, bekomme aber auf dem Camping vor den Toren Rupits (der Ort liegt deutlich tiefer) noch eine Mahlzeit, derweil eigentlich die Küche geschlossen hat. Die Camping-Betreiberin und ihre alte Mutter betreuen mich wohlwollend auch zur späten Stunde. Zur Not hätte ich nur auf den Platz gehen müssen, da laufen Hauskaninchen zwischen den Wohnwagen – die hätte auch eine ordentliche Grillspeise ergeben – so denkt jedenfalls Pirineosaurus. Zu seinen frühgeschichtlichen Zeiten war man nicht so zimperlich mit Ziertierchen wie heutzutage.

Sa 21.6. Rupit (Camping) – Coll de Bac (1000m) – Cantonigròs – (exc. Wanderung: Salt de la Foradada, ca. 1 h) – l'Esquirol – Tavertet – l'Avenc – Rajols – C153 – Rupit – (exc. Salt de Sallent) – Coll de Pendis (?m) – Presa de Sau – Vilanova de Sau – Pont de Malafogassa
76 km | 12,3 km/h | 5:41 h | 1210 Hm
W: sonnig, ~28 °C
Ü: C El Pont 0 € (reg. 15 €)
AE (La Cucina de Celia): Miesmuscheln, Calamari, Gambas, Ente, Zitronen-Crème, Rw, Cafe 29,15 € (+)
B (Cantonigròs): La Foradada 0 €

Klarer Sonnentag für grandiose Eindrücke. Schon am Camping sieht man die typischen Felsorgelgrate, die oben abgeplattet begrünt sind. Sie prägen die nördliche Fahrt um den Coll de Bac im Blick nach Norden. Schon jetzt a-STONE-ishing. Feldblumenromantik mit Landidylle sorgt für zusätzliche Highlights in der Morgenstimmung. Nun aber macht Pirineosaurus im Übermut des Glücksgefühls einen folgenreichen Fehler – soweit man eine halbtägige Schrecksekunde mit einem eintägigen Schmerz am Schienbein als folgenreich bezeichnen mag. Entgegen seiner steinernen Erscheinung ist da Pirineosaurus sehr sensibel.

Laut Karte sollte es eine Pistenabkürzung von Cantonigrós nach l’Esquirol geben. Diese Piste besteht aus Steinplatten, die von kleinen Quellwässern geschwemmt werden und so kaum sichtbar durch hauchfeine Moosschichten zu gefährlichen Rutschen gerieren. Kaum war Pirineosaurus den Weg eingefahren, erblickte er freudig drei Mountainbiker, die grüßend entgegen strampelten. „Wie gut, dass es da mit dem Radl lang geht”, dachte Pirineosaurus noch befriedigt, im Zweifel, ob das der richtige Weg sei. Schon machte es bei Hans-guck-in-Luft-Pirineosaurus platsch! Da lag das Sauriergewicht am Boden, blutete entsetzlich, wo Schienbeinschoner hingehören würden und jammerte über die Bremse mit Schalthebel, die mal wieder nach innen gebogen wurde. Es ist immer dieselbe, egal wie viele Stürze Pirineosaurus aufs Parkett legt! Der vordere Flaschenhalter brach entzwei. Gar gebrochen ist das Plastik, als wäre es ein zierlicher Tonkrug. Die drei spanischen Radler waren bemüht Hilfe anzubieten. Aber wie Pirineosaurus so ist, wirkten die Selbstheilungskräfte schnell und er konnte schon wieder stehen und sogar sich selbst bepflastern. (Übrigens zeigte bei diesem Vorfall Casco Nuevo keinerlei Regung, da er, wie mir vertraulich gestand, keinerlei schützende Wirkung bei dem Vorfall hätte entfalten können.) Gut, das der Ort einen kühlen Brunnen für geschwellte Saurierbeine bereit hielt. Die Radler raten mir von der Wegpassage ab – das würde noch schlimmer, ein Trail für geübte Offroader.

Trotz des tiefen Schmerzes und des noch weit größeren Schreckens über diese Unvorsicht konnte sich Pirineosaurus glücklich schätzen. Auf diesem Weg wäre er nie zum Wasserfall La Foradada gelangt, den man per Wanderung weiter vorne ab Ortseingang bei einem Parkplatz erreichen kann. Das a-STONE-ishing-Juwel ist gleich doppelt erfreulich für Pirineosaurus’ Wundersammlung. Schon der Wasserfall selbst würde eine Prädikatswertung verdienen, doch wird das ganze auch noch in einem Ensemble aus Felswänden begleitet, deren eine Wand von einem riesigen Loch durchbrochen ist. Hier schneiden die Kanten des Felsloches den Lichtkegel der Sonne in einen gleißenden Strahlenfächer, dessen Licht vom Wasserfallsee wie zu Goldstaub verzaubert auf einem Feenbad in die gerade noch geprügelte Seele von Pirineosaurus hinüberleuchtet. Ein doppeltes a-STONE-ishing dafür!

Pirineosaurus ließ es sich natürlich nicht nehmen, die ganze Expedition im Paradieskleid vorzunehmen, welches aus nackter Saurierhaut besteht. Immerzu ein Zeichen für festliche Momente in einsamen Gegenden. (Der erste zaghafte Besucherandrang begann etwa mit meinem Aufstieg, also nicht ganz einsam, wie man denken könnte).

Auf der Straße erreiche ich l’Esquirol weitgehend in der Abwärtsbewegung – auch ein kleines Basiszentrum für Exkursionen einschließlich eines Mountainbikezentrums. Die Straße nach Tavertet vermehrt nun die Kollektion der a-STONE-ishing things um ein Mehrfaches. Große graue Steinkugel wie Leberknödel thronen augenzwinkernd an den Hängen über der Straße. Bei der Südkehre öffnet sich das weite Panorama auf den Pantà de Sau durch riesige Tafelberge – zur einen Seite in eisenreichen Rottönen, zur anderen im klassischen Grau. Bei der nächsten großen Kehre ergießt sich ein dünner Wasserfallstrahl über eine riesige wulstige Steinbogenlippe auf darunter liegende platte Flächen, die das ohnehin spärliche aufspritzende Nass nochmals in kleinere Portionen aus glitzerndem Sprühnebel zerstäuben. Die Gumpen sind erstaunlich gut gefüllt – sie werden aus unterirdischen Wasseradern gespeist, die Fels und Kies durchdringen. Pirineosaurus kann hier ein saurisches Bad nehmen, wo die Libellen tanzen. Da hüpft sein Herz gleich mit – auch wenn er noch nie als Tänzer hervorragen konnte. Nicht zuletzt hat er deswegen einen schweren Stand bei Saurierdamen, was aber für diese Reiserzählung von äußerst unerheblicher Bedeutung ist.

Tavertet schließlich markiert das Ende der offiziellen Straße, die nicht ganz anspruchslos war. Das Ende ist hier absolut a-STONE-ishing: Hunderte Meter brechen die senkrechten Klippen der Tafelberge des Collsacabra herab, während oben kühn das kleine, charmante Dorf wacht. Riesig ist der Kessel, den der Fluss Ter samt Nebentälern gebildet hat und entsprechend – weit in der Fern im Talgrund schemenhaft zu sehen – Platz für einen zweiten Stausee liefert – den Pantà de Susqueda. Die Abbruchkanten an den leichten geneigten bewaldeten oder auch beweideten Tafelbergtischen ergeben gestaffelte Reihungen, in denen sie vor- und wieder zurückrücken.

Vom stillen, hübschen Tavertet geht es trotz Weltenende noch weiter. Ein kleiner Fahrweg erlaubt Autofahren mit reduzierter Geschwindigkeit. Ein Warnschild verweist auf Vorsicht auf Tiere und Radfahrer walten zu lassen. Na, das ist für Pirineosaurus ein und dasselbe! Es besteht hier Anschluss zu einer luxuriösen Bed-&-Breakfast-Herberge, die mit Wellnessangeboten die ländliche Bergluft (es gibt Kühe) vergessen machen soll. Zwar würde Pirineosaurus auch eine Klangschalenmassage vertragen können, doch fehlen ihm für solche Sperenzien Zeit und Taler. Ohnehin ist der Schmeichelei auch ohne Massage hier genug – die Ausblicke, die Vielfalt der Blumen – ein Staunen, ganz gratis.

Im Norden taucht der Fahrweg in einen Wald ab und mündet ziemlich verloren irgendwo auf die morgens gefahrene C153 – irgendwo zwischen Coll de Bac und Rupit. Rupit ist vielleicht die Bergdorfperle der gesamten Region Collsacabra/Vall de Sau. Ein Ort, dem Zeitlosigkeit, das Nichtstun gut zu Gesichte steht. Urige Steinhäuser mit einer gehoben a-STONE-ishing-Wertung, überwacht von einer Burg, alles dicht im Fels und um den Fluss mit breitstufigen Kaskaden gruppiert, lädt zum Flanieren wie zum Rasten in einer der zahlreichen Cafes und Restaurants ein. Zahlreich ist natürlich unter Vorbehalt, will sagen, zahlreich für einen so kleinen Ort. Pirineosaurus erkennt auch in den Schaufenstern, dass hier Hexen wirken. Er verschiebt aber die verhexten Forschungen auf das Ende der Tour, um nicht den Fortgang zu gefährden. Man weiß bei Hexen nie, wie sie sich so verhalten – selbst für Pirineosaurus mit seinen guten Beziehungen zur Unterwelt ist das eine heikle Sache.

Es folgen Ginsterpassagen, Klippengalerien zur anderen Seite. Auch diese Straße ist eher so eine Art Geheimstraße, auf vielen Karten ist sie nur als Wanderweg eingezeichnet. Sie ist aber durchgehend asphaltiert und gar ganz ordentlich, wenn auch schmal. Es gibt ein paar Hochpunkte, der höchste ist jedoch nicht der Pass. Stärkere Steigungen erwarten einen aber nicht bis zur Talsohle an der Staumauer. Ein Höhepunkt ist der Salt de Sallent, irgendwo über eine Piste anzusteuern, die aber irgendwann für mich unfahrbar wurde und ich weiter zu Fuß ging. Von einem Aussichtspunkt kann man den Wasserfall gut im Blick einfangen (weiter ist ein Weg nach unten begehbar). Der Wasserfall glänzt nicht durch Wassermassen, sondern durch die filigrane Gestalt seines Strahls. Nicht weniger aufregend entfaltet sich auf der weiteren Strecke aus den nicht immer freien Blicken nebst Wald eine grandiose Parade der abfallenden Felswände – in Pastell-Rostrot gehalten. Den Schluss machen Kuhweiden und der Blick auf den Staudamm aus.

Den Sau-See erahnt man in seiner Größe erst von der Staumauer aus. Von hier kann man noch eine kleine Spitze im See erkennen, ein belassener Kirchturm eines einst gefluteten Dorfes. Im Gegensatz zum Reschensee (Grenzpass A/I auf der Via Claudia in den Alpen) hält sich aber das Posing des Kirchturms über dem Wasserspiegel in Grenzen. Es könnte auch eine schlichte Boje sein. Trotz beschränkten Wassersports ist hier die touristische Infrastruktur kärglich. Zur abgefahrenen Seite gibt es ein Hotel/Restaurant, deren Küche aber geschlossen war. Eher ist es auch nur für Hotelgäste gedacht. Zur anderen, vorliegenden Aufwärtsstrecke (nur unten etwas steiler) kommt man einer Bar vorbei, in der es maximal ein Sandwich für kleine Sauriermägen gibt. Zwischen Rupit und Vilanova kann man also nicht mit richtiger Verpflegung rechnen.

Dafür bietet das Restaurant in Vilanova noch eine komplette Menüfolge. Wäre ich gleich zum weiter entfernten Camping durchgefahren, hätte ich aber auch wohl noch Speis und Trank enthalten. Mitten im Wald bei einer romanischen Brücke gelegen, herrscht gar riesiger Trubel. Man feiert das Junifest – in Spanien nicht selten eine mehrtägige Angelegenheit. Der Camping ist so brechend voll, dass selbst kleine Saurier nur mit gutem Willen noch einen Platz finden. Der Campingwart möchte zunächst 15 Taler (Regulärpreis), meint aber dann, wenn ich gleich zahle, weil ich wieder früh abreise, die Nacht ihm nur noch 10 wert sei, zumal er keine Ruhe garantieren könne. Da er kein Wechselgeld für meinen Zwanziger hat, ist er des Geschäftes überdrüssig und gibt den Platz kostenlos frei. Pirineosaurus ist verwundert wie beglückt und staunt über die riesigen Sanitärräume für einen so entlegenen Waldcamping.

So 22.6. Pont de Malafogassa – Coll de Faja (1000m) – Collsabena (983m) – G542 – Cosota de Matamala – Sant Hilari Sacalm – Arbucies – Coll de Ravell (820m) – Espinelves – Coll del Buc (725m) – Coll de Romegats (725m) – San Julià de Vilatorta – Folgueroles – Tavernoles – Fussimanya
82 km | 11,2 km/h | 7:16 h | 1885 Hm
W: meist bewölkt, schwül, ~24 °C
Ü: C wild 0 €
AE (Fussimanya): gegr. Gemüse, Toastbrot mit Tom., Lamm, Kart., Crème Catalán/Ananas, Rw, Cafe 31,80 € (++)

Die Südwestseite ist wie eigentlich der gesamte Susqueda-See rundum deutlicher bewaldet als die Umgebung des Sau-Sees, wenig Fels. Ich verzichtete darauf, die ufernahe Piste auf der Südseite des Susqueda-Sees zu beradeln, nicht zuletzt aufgrund der Landschaftseindrücke der Morgenroute. Beim Aufstieg über die Piste auf roter Erde (bis zu Malafogassa ist asphaltiert, ab dort ordentliche Piste) robben sich fünf Mountainbikerinnen und -biker heran. So komme ich mit den jungen Spaniern ins Gespräch. „What about Catalán independance?“ frage ich. Zwar sind sie keinen überzeugten Befürworter der katalanischen Unabhängigkeit, wollen aber mit dem Gedanken sympathisieren. Sie meinen, die 80 % Befürworter, die mir der Gastronom in Sant Pere de Pescador prophezeite, wäre vielleicht auf dem Lande erreichbar – nicht in den großen Städten, nicht in Barcelona. Barcelona würde nicht mal 50 % Befürworter schaffen. [/i](Anm. veloträumer: Bei der Probeabstimmung im November 2014 erreichten die Pro-Anhänger tatsächlich 80 % Zustimmung, allerdings bei einer mageren Wahlbeteiligung von ca. 35 %, und einer Wahl, bei der es um nichts ging und die Unabhängigkeitsgegner sich ohnehin verweigerten. Das Signal ist doch schwächer als die Trommeln klappern.)[/i]

Ich frage, warum überhaupt eine solch große Bewegung für die Unabhängigkeit sich engagiere, es sei doch im zusammenrückenden Europa ein Anachronismus und nach den Balkankriegen der jüngeren Geschichte wie auch den eigenen spanischen Terrorerfahrungen etwa mit den Basken. Eine romantische Verklärung des erneuerten Nationalismus. Auch sei ja die moderne spanische Geschichte nicht gerade das schlechteste Beispiel für Demokratisierung. Katalanen würden unterdrückt, so schallte der einhellige Kanon zurück. Die Zentrale in Madrid wolle zuviel Geld abzweigen. Mein Einwand, dass es doch irgendwie an Bayern erinnere, wo es auch zaghafte separatistische Tendenzen gäbe, wehrte der gut informierte Wortführer der Gruppe deutlich ab – Bayern sei was ganz anderes. (Logisch Bayern ist einzigartig – das weiß auch Pirineosaurus – einzigartig bizarr!) Aber irgendwie geht es letztlich doch nur um die Verteilung der Pfründe, den Egoismus von Begünstigten. Ob es den Armen helfen würde? Sind nicht die, die es bräuchten, am Ende immer der Verlierer – egal wie es kommt? Pirineosaurus schüttelt den Kopf. Saurier kannten überhaupt keine Nationalstaaten.

Nachdem die Spanier abgezweigt waren, blieb ich allein unter einer düsteren Wolkendecke. Die unscheinbare Passhöhe Collsabena bietet ein trostloses Bild mit einem verfallenen Hotel, wenngleich noch zwei Familien nebenan wohnen. Weiter durch Wald, tauchen seltsame Hochstände an den Bäumen auf. Es sind Chalets der besonderen Art, Baumhäuser, die man über Hängestege erreichen kann. Die Baumhäuser sind nach Vögeln benannt wie etwa „Blaumeise“, deren Charakter unter dem Baumhaus auf den Tafeln jeweils beschrieben ist. Das hat natürlich seine historische Bedeutung, denn wie Pirineosaurus weiß, wohnten darin früher Flugsaurier. Die sechseckigen „Hochhäuser“ sind weit verteilt, die wenigsten von der Piste aus zu sehen.

Hilari-Sacalm ist ein Ort der Quellen und Brunnen, aus denen auch Mineralwässer gewonnen werden. Pirineosaurus leidet nunmehr an großer Müdigkeit, da die Schwüle ohne Sonne die Muskeln erschlaffen lässt. Zum Glück ging es erstmal abwärts an Ginster vorbei, Burgenblicke über Waldhügel hinweg nach Süden. Arbucies liegt am Rande des Naturparks Montseny, ein hier überraschend hohes Gebirgsmassiv – höher als Collsacabra/Vall de Sau. Es hat aber keine markanten Felsabbrüche sondern eher spitze Kuppenberge. Die bis zu 1700 m hohen Berge liegen doch weitgehend in den Wolken. Da trifft es sich gut, dass ich die umfassende Beradlung von Montseny schon im Geiste gestrichen hatte. Selbst aber diese Route am Rande vermittelt ein guten Eindruck von Montseny: Viel tiefer, meist unzugänglicher Mischwald, verwunschene Bergbachromantik, versteckte Blütenperlen und auch mal eine hübschen Mühle oder alte Steinbogenbrücke.

Ab oder schon vor dem Coll de Ravell mit Transitrestaurant und Tankstelle verläuft die Landstraße ziemlich entleert oft in Sichtweite der Autobahn (oder Schnellstraße). Es folgt ein eher leichteres Auf und Ab über drei Pässe, mal mit Waldpassagen, mal etwas offener. Der Coll de Romegats ist dann schon wieder im Bild der typischen Morphologie des Vall de Sau – mit intensiv rotem Fels, wie Lavafelder dicht und wulstig an den Straßenrand gedrückt und schon eindeutig a-STONE-ishing.

Da hört Pirineosaurus schwer zu ortende Schreie – was könnte es sein? Saurierkinder klingen anders. Eine Betonbrüstung schützt vor dem Abhang hinunter zur Autobahn. Pirineosaurus beugt sich über die Brüstung und sieht grell aufgerissene Augen, martialische Tigerreißzähne und ein maulwurfgroße Katze – Katzenbaby. Jemand hat das Tier offensichtlich ausgesetzt. Es ist völlig undenkbar, dass sich das Kätzchen dorthin bewegt haben kann. Es schreit hilflos, erbittet von Pirineosaurus Beistand – ein Glas Milch wohl. Doch Pirineosaurus ist im Umgang mit Katzen nicht sehr geübt, um nicht zusagen, dass er diese Wesen ausdrücklich hasst, da sie gutgläubige Augen machen, aber die Saurierhäute ganz unschön verkratzen können. „Keine Einmischung in innere Angelegenheiten“, sagt sich Pirineosaurus und überlässt das Tier so wie er es vorgefunden hat.

Zur Westseite ändert sich die Landschaft deutlicher, eine Ebene mit Feldern, Besiedlung und gar einer gepflegten Allee verweist auf nahe Urbanität. Nicht mehr weit bis Vic. Doch Pirineosaurus möchte noch mehr Vall de Sau. Und das hat sich auch gelohnt. Beginnen wir dazu mit der etwas heiklen Sache, sich auf ein Restaurant zu verlassen, das mal wieder einsam am Ende der Welt liegt – eine tiefe Sackgasse mit aufreibenden Auf und Abs. Polizeiautos – gleich mehrere – überholen Pirineosaurus. Ich spüre in meiner Tasche, wie Casco Nuevo nervös zu strampeln anfängt. „Du bleibst, wo du bischt!“ rufe ich ihm zu. Wie Pirineosaurus vermutet hatte, interessiert sich die Polizei nicht für Casco Nuevo.

Ich treffe allerdings noch mehr Polizei. Und zwar im Restaurant Fussimanya. Fussimanya ist auch eine Empfehlung von Pau gewesen, der weiß was Pirineosaurus zu schätzen weiß: Große Portionen, dass es Pirineosaurus nur so im Gaumen juckte und sabberte. Dazu noch von solch superber Qualität, dass er Fussimanya eine Kategorie höher als das Gourmetrestaurant in Romanyà einordnet. Kein Wunder, dass hier die gesamte Polizeistaffel der Region zu Tische sitzt, inklusive Schichtwechsel. Fast hätte Pirineosaurus’ Speichelschaum in die Suppe der Polizisten gespritzt – nicht weil er Polizisten hasst, sondern weil es so gut mundete. Es versteht sich von selbst, dass bei großzügigen Gastgebern ich auch die freundliche Billigung erhielt, an der unterhalb des Restaurants liegenden Kinderschaukel mein saurisches Nachtquartier aufzuschlagen.

Mo 23.6. Fussimanya – Coll de Terrades (530m) – Parador de Sau – Can Matou – Vilanova de Sau – Collsesvinyes (750m) – Folgueroles – Vic – Santa Eulàlia de Riuprimer – Coll de Fontfreda (877m) – Santa Maria dOló – Avinyo – Collet de Vilaseca (425m) – Balsareny – Súria – Cardona
116 km | 13,9 km/h | 8:18 h | 1735 Hm
W: heiter, bewölkt, schwül, leicht 25 °C, abends mild
Ü: C wild 0 €
AE: Calamares, Salat, Pf, Kalbschnitzel, Crème Catalán, Cafe 20,15 €

„Ein Morgen wie dieser!” so mochte ich singen, beim Anblick von geheimnisvoll aufsteigenden Nebelwolken, von Spinnwebereien zwischen taunassen Gräsern, kristallperlenden Tropfenprismen, vom langsamen Aufleuchten blauer, rosafarbener und gelber Blütenkelche. Oder schrieb Víctor Català passend: „Der erste Schimmer des Tages senkte sich herab, unmerklich wie feinster Puder, …“ Die Sonne erscheint hinter Wolken wie ein Vollmond. Zunächst reichen die goldenen Strahlen nur für halbe Hügel zu beleuchten. So erreichte ich alsbald das luxuriöse Parador unweit des Terrades-Passes. Was immer die Übernachtung in diesem Ambiente mit Swimming Pool kosten mag, die größte Attraktion des Platzes – der Ausblick – ist gratis. Die mächtigen Felsen bilden ein Tor zum Seeblick, noch zu guten Teilen von Wolken verhüllt. Selbst der Swimming Pool ist Teil der Landschaft, wie ein tiefblaues Miniaturmeer liegt er in der Blickachse.

Am Parador vorbei kann man zu einem exponierten Kloster gelangen, von wo aus den westlichsten Panoramablick über den Stausee gibt. Das Kloster hat recht unorthodoxe Öffnungszeiten – montags ist schon mal generell geschlossen. Ab dem Coll de Terrades führt eine schmale, schlechte Straße hinunter und folgt dem Seeufer, wenngleich meist in gebührender Höhe oberhalb und dabei mit giftigen Steigungen versehen, die so plötzlich auftauchen, dass man nicht einmal den Schalthebel umlegen kann. Es gibt auch nahezu keine Strandplätze, sogar kaum Ausblicke auf die Felsen über dem glatten Wasserspiegel des Sees. Trotzdem ist die Vegetation stellenweise recht urig. Mit der Abkehr vom See in Richtung Vilanova und darüber hinaus windet sich Pirineosaurus zunehmend durch den roten Fels bis ein kleiner Tunnel durch eine hohe Felswand das Ende dieses a-STONE-ishing-Erlebnisses einläutet.

Vic ist eine aufgeräumte, elegante Studentenstadt von gehobener Bedeutung. Die Uni ist denn auch ein riesiger Avantgardeklotz, der an einen überdimensionalen Saurierkopf erinnern könnte. Die neueren Einkaufsviertel verteilen sich jenseits einer kreisartig verlaufenden Verkehrsachse, von der man überall recht schnell zu der zentralen Plaza und der Altstadt gelangt. Die Architektur der Stadt ist durchdekliniert vom römischen Tempel bis zur Avantgarde. Wie in Girona vermittelt sich ein Bild von hoher Lebensqualität – logisch, dass auch hier das Fahrrad im Stadtbild auftaucht. So finde ich gleich noch an der Ringstraße ein Radgeschäft, in dem ich sogar einen farblich passenden Flaschenhalter erhalte, der auch noch eine sehr gute Plastikqualität hat. Damit ist nun Pirineosaurus’ leidliches Malheur von Cantonigrós endgültig ausgemerzt.

Aus der Wurststadt Vic hinaus führt ein unauffällige, aber durchaus liebliche Route, die nach bei der Passhöhe Fonfredda wiederum eine Parallele zur Autobahn oder Schnellstraße bildet. Deswegen auch wieder sehr wenig Verkehr, wenngleich landschaftlich eher bescheiden. Manchmal liegt es auch nur daran, dass die alten verwaisten Straßen zu breit sind. Spanien hat zuviel Asphalt. Recht hübsch liegt Santa Maria d’Olò in einer weit gefassten Hügelnische. Avinyo spendiert einen schlossartigen Türmchenbau. Danach lieblich leichte Bergüberfahrt bei Espenlaub im Tal zur einen Seite, bei weiten Hügelflächen zur anderen Seite. Über Balsareny thront eine ziemlich quaderförmige Burg, zu Tal liegen zahlreiche Gärten und nach Süden führt eine Route zu römischen Viadukten. Der Übergang nach Súria ist eher unauffällig.

Súria liegt im Salztal, eine Region, in der gewichtige Kalisalzvorkommen lagern. Súria ist auch gleich der Hauptort des Bergbaus, die gleichförmigen, geklinkerten Reihen von Knappenbehausungen stechen gleich ins Auge wie auch weiße Erdwälle. Ein Bergbaudenkmal ragt ein Mast eines ehemaligen Förderliftes empor. In der Ferne zeichnet unwirklich das weißsteinige Montserrat-Massiv den Horizont – eigentlich auch ein a-STONE-ishing thing nach Pirineosaurus’ Geschmack, aber doch ein erklecklicher Umweg über Manresa wäre nötig.

Das Salztal gibt sich nach Súria wieder recht still, wenngleich die Straße stärker befahren ist und zunächst Alternativen fehlen. Ausweichstrecke gut drei Kilometer vor Cardona. Die Stadt auf einem mächtigen Hügel mit alter und neuer Burg kündigt sich früh an, will aber erstmal erklettert werden. Essbares gibt es nur noch im Herzen der Altstadt, also hinunter durch die Talsohle und dann den stattlichen Berg hinauf. Immer noch oder schon wieder ist Junifest und es knallt an allen Ecken auf der Plaza. Der Clou ist, dass die Knallkörper lausbubenhaft möglichst überraschend einem Opfer an die Füße geworfen werden. Der Sport ist etwas für Hasardeure, für saurische Trommelfelle eine merkliche Belastung. Ich sprach mit Gästen am Nachbartisch, wie oft denn freie Knallerei in Spanien erlaubt sei. „Nun ja, schon öfters”, meinten sie. Als ich erwähnte, dass ich Böllerei nur zum Jahreswechsel kenne (Saurier trampeln dazu auf die zur Jahreswechselzeit reifen roten Knallbohnen, die wesentlich lauter als hinlänglich bekannten weißen Knallerbsen dröhnen), irritierte sie das doch fremdländisch als würde ich von frühgeschichtlichen Völkern erzählen.

Frederic Mompou ist ein katalanischer Komponist und Pianist (aus Barcelona) des 20. Jahrhunderts gewesen, der sich einem Neoimpressionismus verschrieben hatte. Der starke Einfluss aus Debussys Musik dürfte auch über die französische Mutter zu erklären sein (deswegen auch der frz. Name). Vorwiegend dem Klavier zugeneigt, steht er für klangfarbenreiche Musik, die einer raffinierten Harmonik entspringt. Mompous Musik hat Zeit – ein Musterbeispiel für musikalische Reduktion und Entschleunigung. Also ein weiteres Alter Ego von Pirineosaurus: Frederic Mompou „El Pont“ (6:11 min.).

Bildergalerie zu Kapitel 2 (210 Fotos):



Verantwortlich gezeichnet
Pirineosaurus Rex

Fortsetzung folgt