Re: Radreise Italien Ostküste & Kroatien

von: veloträumer

Re: Radreise Italien Ostküste & Kroatien - 22.03.18 13:49

In Antwort auf: Martina
In Antwort auf: Hansflo
In Antwort auf: iassu
Woher kommt nur dieser europaweite Hass gegen Radreisende und Radfahrende im Bereich Eisenbahn? Das wird ja gefühlt nicht besser sondern schlimmer.

Immerhin gibt es auch erfreuliche Entwicklungen:

- in den letzten Jahren flächendeckend ausgebaute Radmitnahme (fünf Räder) in den Railjets der ÖBB. Damit ist beispielsweise auch Budapest, Prag oder Zürich komfortabel erreichbar.
- seit Dezember 2017 Radmitnahme (acht Räder) in den ICE4 der DB; damit ist Deutschland erheblich kleiner geworden, beispielsweise auf der Strecke München - Kiel.


Danke.

Ich habs ja in einem anderen Thread schonmal geschrieben: es wechselt. Anscheinend bin ich die einzige, die sich erinnert, dass noch vor gar nicht allzulanger Zeit in Frankreich im Fernverkehr gar nichts ging und dass die Fahrradmitnahme im TGV relativ neu ist. Ich kann mich auch noch an die Zeiten erinnern, als man nicht wie heute in jedem Nahverkehrszug Fahrräder mitnehmen durfte, sondern auf die mit Packwagen angewiesen war (nicht jeder Zug hatte einen). Und Radmitnahme im IC gibts auch nicht seit Anbeginn der Zeitrechnung, um nur ein paar Punkte aufzuzählen. Mit anderen Worten: ich kann keine organisierte Feindschaft Radfahreren gegenüber erkennen.

An organisierte Feindschaften und Verschwörunsgtheorien glaube ich auch nicht. Dennoch ist dein Vergleich einer mit den berühmten Äpfeln und Birnen. Du kannst in der Zeitachse nicht beliebig weit zurückgehen, weil gesellschaftliche Entwicklungen wie auch die Nutzung des Fahrrads in Alltag und Freizeit Veränderungen unterliegen. Die entscheidende Frage ist, ob den Veränderungen von den anderen Verkehrsträgern Rechnung getragen wird. Im Nahverkehr darf man das durchaus behaupten, wenn man letzten 10-15 Jahre überblickt. Für den Fernverkehr leider nicht.

Zunächst auch Äpfel und Birnen: Es mag ganz früher keine geregelte Fahrradmitnahme gegeben haben, aber dann war eben das Fahrrad ein (außergewöhnliches?) Gepäckstück. Es kam auch selten vor. Sicherlich dürftest du im alten Orient-Express auch ein Fahrrad mittransportiert haben dürfen - dann eben im Gepäckwagen. Die eigentlich Sensation ist, dass ein solcher Zug zwischen Paris und dem heutigen Istanbul verkehrte, Bukarest, Sofia, Belgrad waren an eine europäische Achse angeschlossen. Aus heutiger Sicht des angeblichen Fortschrittszeitalters muss man sich da die Augen reiben. Achso: Kurswagen Ventimiglia - der Stand gelgentlich an einem Zug angeschlagen, der im Hauptbahnhof Bonn hielt. Das war erste Hälfte 1970er Jahre (hab ich doch schon alles hier geschrieben!). Ob mit Gepäckwagen und ggf. Radmitnahme, weiß ich nicht - aber Radtouristen waren damals auch noch sehr selten. (Übrigens, selsbt wenn Rad verpackt in den Gepäckwagen gagenagen sein musste, waren die Packmaße felxibler als heute!)

Wenn man also heute den Anschluss von Budapest ans zeitgemäße mitteleuopäische Schienennetz feiert, ist nicht einmal der Status Quo der Vergangenheit erreicht. So weit muss man auch nicht zurückblicken, gestrichen wurden Wien - Paris etwa, und nach Rom zumindest der Fernverkehr mit Radmitnahme - alles in der Neuzeit des 21. Jahrtausends. Ähnliches auch für den ECE Frankfurt - Mailand: hatten wir schon eine gute Ratminahmeverbinung auf der Achse, mit Nachtzug. Nur kann sich keiner mehr erinnern, obwohl ich noch 2007 damit gefahren bin. Nun mag man glauben, das eine fällt runter, das andere steigt auf. Leider entspricht es nicht der gesellschaftlichen Entwicklung, es ist also ein Rückschritt. Auch der Railjet ist ein schlechtes Beispiel. Zunächst spekulierte man nach Vorbild ICE einen eher fahradfreien Schnellzug, brauchte dann Jahre einer eher kostspieligen Nachrüstung, um den Status Quo der Jahre davor zu erreichen, wo D-Züge, ECs, Nachtzüge bereits den mindestens gleichen Dienst leisteten.

Auch in Deutschland wurde das Fernverkehrsnetz auf ICEs ausgerichtet - der "fahrradfeindlichen" Variante. Jetzt mit dem ICE4 den Triumpf zu feiern heißt, gesellschaftliche Entwicklungen zu missachten und die Fehlentscheidungen der Bahn hochzujubeln. Vermutlich werden wir 2025 (!) den Stand von Radmitnahme im Fernverkehr erreichen, der bereits 2010 hätte Standard sein sollen und müssen oder auch hatten, wenn wir bei den Geschwindigkeiten etwas nachsichtig sind. Tatsächlich stand nicht nur die Rentabilität im Wege, sondern auch persönlich geleiteter Unwille zum Fahrrad - von der Führungsspitze der DB, als der ICE Einzug ins Netz hielt (Falk weiß mehr). Das alles wirft die Gesellschaft um Jahre zurück, hält Entwicklungen auf: Heute kämpfen wir mit den vorhersehbaren Autobelastungen in den Städten, Fahrradverkehr wird überall als Teil der Lösung angegangen oder propagiert, Städte umgebaut. In Paris großzügige Radspuren, bei der SNCF der großzügige Abbau von Radmitnahme. Radverleih in deutschen Städten von der Bahn, neue Hemmschuhe in der Radmitnahme. Schienennetze veraltet, Netzte stillgelegt, Ausstattung veraltet, Bahnhöfe verrottet, Schienengüterverkehr ausgebremst - aber Autodiesel subventioniert. Der "Fortschritt" holt uns nun ein.

In Frankreich: TGV hatte 2004 bereits die Hängehaken, wohl gab es die so ziemlich von Anfang an. Vier ausgewachsene Reiseräder passten da nicht hin, aber 4 Rennräder (eben die Franzosen, Radtourismus-Boom kam aber erst auf). Radmitnahme ist im TGV also schon ziemlich alt - in Österreich träumte man da noch nicht einmal vom Railjet. Der massive Rückbau ist auch dort ein Problem der strukturellen Veränderung des Zügeparks, demnach in vielen moderne TGV-Modellen die Radmitnahme nicht mehr geplant ist, obwohl radtouristische Bewegungen in und durch das Land zugenommen haben. Die Placebos da und dort zu verschieben bedeuten Rückschritt - jetzt faktisch auch nominell untermauert durch den Wegfall aller TGVs zwischen Straßburg und Paris mit Radmitnahme. Auf dem Höhepunkt der Radzeit nahm der TGV ab Stuttgart nach Paris Räder mit, ab Straßburg gab es die Option stündlich! Jetzt Null! Wo wird das aufgefangen, wenn man weiß, wie stark der Fernverkehr über Paris zentralisiert ist?

Der zweite, sogar nominelle Rückschritt ist die Ausdünnung der Nachtzüge, im Falle ÖBB/DB die offensichtlich gezielte Abschaffung der Radmitnahme, im Frankreich ohne Ersatz von Schnellzügen - im Gegenteil. Nachtzüge ersetzen 2-3 alternative Tagesverbindungen für Radtouristen, weil sie einfach effizienter für die Reiseziele sind. Das ist leider deutlicher Rückschritt. Auch Rückschritt ist, das in Italien alle Schnellzüge in zwei Jahrzehnten nicht angepasst wurden - schlicht die Radmitnahme im zeitgemäßen Fernverkehr komplett ignoriert wird. Vor 20 Jahren war das "schlecht" heute ist das "misrabel". Wenn die Umwelt sich ändert, aber das System nicht reagiert, veraltet es. Smartphone-Besitzer sollten mal ihr 20 Jahre altes Gerät aus der Schublade holen. zwinker

Damit das jeder versteht: Wenn ich nominell den selben Lohn wie vor 20 Jahren erhalte, ist das nicht der Status Quo, sondern ein Rückschritt - denn es ist Reallohnverlust, Werteverfall. Was ökonomisch gilt, gilt auch für Kundenbedürfnisse und deren Berücksichtung im Transportwesen. Dazu gehören nebst Fahrradmitnahme auch die oft unzulänglichen Gepäckablagemöglichkeiten. Auch hier wird ja übersehen, welche Bedürfnisse der Kunde hat und welche Anforderung die Zukunft stellt (auch politisch!). Ich sehe den Fortschritt in der Radmitnahme Fernverkehr leider nicht.