Ich finde, dass die Dinger ein Fluch oder ein Segen sein können.
Das trifft wohl exakt so zu.
Ich nähere mich gerade mit großen Schritten (Unfall, Erkrankung, altersbedingter Verschleiß) ebenfalls einer Lebensituation, in der ich wohl über eine Elektrofizierung nachdenken muss, wenn ich weiterhin mit dem Rad mehr als nur Kurzstrecken zurücklegen möchte. Und ich sehe gleichzeitig, dass der Schritt zum E-Bike in meiner Umgebung im Regelfall sehr viel leichter und sehr viel früher im Leben erfolgt, gleichzeitig mit viel weniger Gedanken dazu, als ich mir welche mache.
Der "Normalfall" ist hier (regional traditionell sehr hoher Fahrradanteil) inzwischen, dass bereits der rüstige Mittdreißiger beim Fahrradkauf intensiv in Richtung E-Bike gedrängt wird. Fahrräder ohne Motor gelten nahezu als vorsintflutliche Steinzeittechnik. Mag sogar sein, dass das Fahren eines Nicht-Elektrofahrrades in bestimmten Kreisen bereits als soziales Stigma (... ein "richtiges" Fahrrad kann er sich nicht leisten...) empfunden wird, wenn alle Freunde und Bekannten längst elektrifiziert sind. Niemand aus dieser Käuferschicht macht sich besondere Gedanken über Fahrradtechnik, wie zum Beispiel die Tauglichkeit eines reinen Muskelbetriebes, wenn mal der Akku leer ist. Oder um die Reparaturmöglichkeiten, wenn das Rad erst ein paar Jahre alt ist. Gerade vor ein paar Tagen berichtete mir eine Dame aus meinem Bekanntenkreis, dass sie allergrößte Probleme hat, für ihr Kalkhoff-Fahrrad von ca. 2012 einen Ersatzakku zu bekommen. Das ist ganz offensichtlich geplante Obsoleszenz.
Ähnliches gilt für Werkstattservice im Allgemeinen. Früher brachte man sein Rad zur Werkstatt, im besten Falle konnte man nach kurzer Zeit weiterfahren, im weniger guten Falle ließ man es dort und holte es vielleicht am Folgetag ab. Inzwischen haben auch Fahrradwerkstätten es verstanden, aus Servicearbeiten hochdotierte Wertschöpfung zu machen. Ohne vorherige Terminabstimmung geht im Regelfall gar nichts. Teure Pflichtinspektionen sind Voraussetzung für die gesetzliche Gewährleistung. Für die Entgegennahme des Rades ist nicht mehr ein beliebiger Blaukittel zuständig, sondern ein geschulter Kundenberater, der auch gleich eroieren kann, ob dem Kunden nicht noch ein Extra-Gimmik fürs Rad oder ein schickes Jäckchen für den auch visuell standesgemäßen Auftritt erfolgreich angepriesen werden kann. Bei einem auch in diesem Forum bekannten großen Radhändler in Bocholt konnte ich vor drei Monaten beobachten, wie kurz vor Geschäftsöffnung etliche PKW mit Anhänger oder Fahrradträgern auf den Hof rollten, um ihre Räder zur Wartung, Inspektion oder Reparatur abzugeben. Kennzeichen der Autos waren u. a. D(üsseldorf), MG (Mönchengladbach), einige aus dem Ruhrgebiet, einige aus den Niederlanden. Da kommen für einen einzigen Fahrradservice mit Bringen und Abholen gern mal Gesamtfahrstrecken von 300 Kilometern zustande. Ob sich da irgendwer Gedanken macht, dass das auch in die ach so positive Umweltbetrachtung eines E-Bikes mit einfließen muss?
Mein Fazit: Sehr gespalten. Ich will aber den Leuten nicht die Freude am E-Antrieb vermiesen. Schon gar nicht denen, die ein Leben lang die Pedale mit Muskelkraft bewegt haben, das aber im Alter irgendwann nicht mehr so richtig können, aber gern dabeibleiben möchten. Ohne damit ein E-Bike zum Behindertenvehikel abzustempeln. Ein bisschen mehr individuelle Überlegung würde aber gut tun, ob man wirklich jedem Trend folgen muss. Der Zug ist allerdings wohl abgefahren. Es wird im Massengeschäft wohl keine Rückkehr mehr geben zum simplen, muskelbetriebenen Fahrrad. Genau so, wie man sich auch heute keinen Schwarzweißfernseher mehr kauft.
Bernd
Mit Fahrrädern? So mit selber treten? Wo ist denn da der Sinn? (Heinz Erhardt im Film “Immer diese Radler”)