Re: Trommelbremse? Tot?

von: ohne Gasgriff

Re: Trommelbremse? Tot? - 29.12.15 21:32

In Antwort auf: Jesusfreak
Die bekannten Nachteile wie zweifelhafte Bremskraft, Fading sind meiner Einschätzung nach vor allem darauf zurückzuführen, daß man bei der Entwicklung in den 50er Jahren stehen geblieben ist bzw. noch nicht mal die Verbesserungen aus dem Motorradbereich übernommen hat


Es gab schon höllische Trommelbremsen als eben noch nix anderes gab. Und als es mit der Scheibenbremse endlich was anderes gab, sind die Trommeln aus gutem Grund verschwunden, denn sie hatten einfach zu viele Nachteile und haben nie wirklich funktioniert, auch nicht in der höchsten Entwicklungsstufe (Doppel-Duplex, innenbelüftet und mit einem Trommeldurchmesser, der kaum noch in die Felge gepaßt hat). Diesem im Interview genannten Problem mit dem unterschiedlichen Belagverschleiß zwischen auflaufender und ablaufender Backe bin ich dadurch begegnet, daß ich auf der ablaufenden Backe 2/3 des Belages weggefeilt habe. HPN hat dann mal die schwimmende Bremsnocke entwickelt, die dieses Problem weitgehend aus der Welt geschafft hat.
Meine erste BMW (R75/5) hatte eine Duplex-Vorderradbremse und die litt unter der "Morgenkrankheit", einem weit verbreiteten Problem bei Trommelbremsen. Um einen guten Reibbeiwert zu erzielen, kann man für die Trommel kein rostfreies Material verwenden. Deswegen bildet sich nach feuchten, im freien verbrachten Nächten Flugrost in der Trommel. Die blockiert dann sofort, wenn man sie nicht mit Samthandschuhen anfaßt - und zwar derart hysterisch, daß über die Ankerstrebe die Gabel dermaßen verbogen wird, daß sich der Versteifungsbügel zwischen den beiden Gleitrohren verzieht, weswegen dann die Gabel steckt. Diesen Bügel habe ich endlos oft wieder richten müssen. Dieser Flugrost bildete sich durchaus auch auf langen, verregneten Autobahnfahrten, auf denen man die Bremse u.U. über Stunden nicht angefaßt hatte. Es war deswegen erste Bürgerpflicht, sich ständig darüber im Bilde zu halten, wie die Bremse grad so drauf ist, ob sie normal funktioniert, ob sie zuhaut wie blöd oder ob sie, weil geflutet, miese Wirkung zeigt. Und bei 'ner Notbremsung mußt du halt reinlangen. Ich habe mal mit Sozia Bremsungen aus 140 km/h bis zum Stillstand ausprobiert/geübt. Wenn man da anfangs auch nur etwas zögerlich hinlangt, beginnt bei Tempo 80 schon das Fading und es fehlen am Ende locker 20, 30m Bremsweg.
Wenn ich so blöd war, vor einer Ampel an einem Steilstück den Leerlauf einzulegen, bedeutete das mal wieder einen blauen Fleck am rechten Schienbein. Denn irgendwie mußt ja der erste Gang rein, wenn's grün wurde. Das bedeutete, daß der linke Fuß auf die Raste und der rechte folglich auf den Boden mußte. Deswegen konnte er nicht auf dem Bremspedal bleiben - und die Shice Vorderradbremse (Duplex = zwei auflaufende Backen) wirkt rückwärts nicht. Nicht lustig, wenn dir so'n 200kg-Brocken, am besten noch mit Sozia und Gepäck, mit dem rechten Zylinder ans Schienbein knallt.
Es gab auch Leute, die speichten sich die Bremse der Münch Mammut ein. Was da noch an Speichenspannung übrig blieb, wenn die mal warm war, möchte ich nicht wissen.

In Sachen Bremsen wurde am Motorrad schon alles mögliche ausprobiert, auch als die offenlaufende Scheibenbremse schon längst etabliert war. Felgenbremsen gab's noch nicht, wie oben jemand geschrieben hat, aber es gab durchaus schon außen, am Felgenkranz montierte Bremsscheiben, in die dann von innen, aus Nabenrichtung die Zange eingegriffen hat (Buell XB12R). Das ergab einen brachialen Scheibendurchmesser in Verbindung mit filigranen Speichen, die ja nun mehr kein Bremsmoment mehr übertragen mußten. Es gab auch in der Nabe gekapselte Bremsscheiben (Sanglas, Honda), die dann prompt das Hitzeproblem der Trommelbremse geerbt haben. Es gab in den 80er Jahren törichte Versuche, bei den Enduros die Bremsscheibe hinter Plastikschalen zu verstecken, mit dem gleichen Effekt, obwohl die Scheibe zur Nabe hin offen blieb, und es gab im Offroad-Bereich auch konische Trommelbremsen,die dem Formfehler bei Erwärmung abhelfen sollten. Nichts davon hat sich durchgesetzt. Gegen die offenlaufende Scheibenbremse ist bislang noch kein Kraut gewachsen und deswegen spielt dort die Musik (schwimmende und halbschwimmende Scheiben, Festsättel mit vier oder sechs Kolben, Doppelscheibenbremsen, innenbelüftete Scheiben ...). Stagnation sieht anders aus. Wenn's erstens bremsen soll und zweitens nix wiegen darf, kommt man immer wieder bei der Scheibenbremse raus. Leichter ist nur noch die Felgenbremse - und die ist ja bei Licht besehen auch nix anderes als 'ne Scheibenbremse, die halt mangels Scheibe woanders reinbeißt.