Re: Wie seid ihr zum Radreisen gekommen?

von: FordPrefect

Re: Wie seid ihr zum Radreisen gekommen? - 26.03.18 21:27

Radreisen - das habe ich von meinem Vater geerbt:

Der hat in den 50er Jahren mit seinem Rad aus dem Sauerland Deutschland entdeckt und ist von dort bist an die Nordsee - die Ostsee und über Stuttgart und die schwäbische Alb bis ans schwäbische Meer - sogar bis in die Schweiz geradelt. Von diesen Reisen hat er oft erzählt und ich habe immer fasziniert gelauscht.... "Wir haben die Berge rauf geschoben, weil wir keine Gangschalteung hatten - und oft haben wir auch die Berge runter geschoben - denn wenn die Rücktrittbremse heiß wurde, hatten wir keine andere Möglichkeit..." "Die meisten Straßen waren noch nicht geteert..." "Die Jugendherbergen waren immer oben auf dem Berg...."

Mit 4 habe ich Radfahren gelernt - vorher bin ich nur mit dem Tretroller rumgedüst: Ich habe ein Nachbarsmädchen gefragt, ob ich mal auf ihren Rad probieren dürfte (ein 12-Zöller ohne Stützräder). Draufsitzen - loseiern - treppeln - und los - die Straße entlang.... Wenn die Straße nicht nach 200m zu Ende gewesen wäre, hätte ich warscheinlich meine erste Radtour gemacht...

Danach hatte ich ein 20-Zoll-Rad (liebevoll von meinem Opa restauriert / Sattel hat er selber gepolstert und bezogen), mit dem ich einige kleine Touren mit meinem Vater gemacht habe. Er hatte damals schon ein sehr sportliches Rad mit schmalen Reifen, Aluvorbau und Kettenschaltung.

Mit 9 oder 10 Jahren (nachdem ich mein erstes 26-Zoll-Rad hatte, habe ich dann meine ersten "Radtouren" gemacht: Bis in die nächsten Dörfer kannte ich bald jeden fahrbaren Weg - der Radius wurde immer größer. Mit 15 kannte ich dann alle Dörfer im Umkreis von 25km um mein Heimatdorf... Auf dem Sperrmüll habe ich alte Fahrräder gesucht - heim gebracht und von dreien zwei ausgeschlachtet und eins wieder fahrbar gemacht - und dann für ein paar Mark wieder verkauft. Mit 15 oder 16 fing ich an politisch zu denken - natürlich etwas radikal, wie halt Jungs in diesem Alter - und mir war sofort absolut klar: Die ökologische Zukunft der Menschheit braucht das Fahrrad und nicht das Auto.... Das war noch in der Zeit vor den Grünen in den Parlamenten / damals hatte gerade Herbert Gruhl das Buch "Ein Planet wird geplündert" geschrieben und die ÖDP (ökologische Partei Deutschlands) gegründet.

Mein Vater hatte immer noch den Reisevirus und wir machten jedes Jahr irgendwo anders in Europa Urlaub (mit Auto und Ferienwohnung). Mit 18 bin ich dann alleine los: Erster Urlaub durch Frankreich, England, Schottland und Irland getrampt (Mit Schlafsack, Biwacksack und Esbitkocher).

...und dann kam das Fahrrad als Reisemobil: Mit 19 eigene Bude mit meiner Freundin - viel Zeit und wenig Geld - und Reiselust: Also Fahrräder beladen mit Zelt und Hausrat - und von Hannover nach Dänemark geradelt (8-9kg Zelt mit einigen Kilos Heringen (Sandheringen für die Dünen...) und schweren Baumwollluftmatratzen. Ich hate über 40kg Gebäck auf Front- und Heckgebäckträgern verteilt - auf einem schweren 28er 3-Gang Stahlroß..... - und es waren geile 5 Wochen (meine bislang zeitlich längste Radtour).

...und dann hat mich das Radfieber komplett gepackt: Von meinem ersten Lohn habe ich mir 1979 ein italienisches Rennrad aufbauen lassen - als nächstes kam ein leichtes Reiserennrad (den Begriff "Randonneur" kannte ich damals noch nicht) dazu- und das habe ich wieder selber aufgebaut: Schmale 28mm Reifen - Shimano 600-Schaltung und Bremsen - dazu mein erstes Bergsteigerzelt, leichte Isomatten und Daunenschlafsäcke...... und dann ab in die Vogesen - und in die Alpen..... In meinem Keller standen damals schon 5 gute Räder, ein Montageständer und eine Kiste mit Fahrradwerkzeug.....

Mit 25 habe ich dann eine Ausbildung zum Zweiradmechaniker gemacht: In einer Werkstatt, wo es vom Fahrrad über Rasenmäher, Kettensägen, Bootsmotoren und Roller bis zum 1000er-Motorrad alles gab. Nachdem ich dem Motorradführerschein hatte, gab es einige Jahre Motorradurlaube und die Fahrräder wurden nur für die Alltagsfahreten und die Feierabendrunde benutzt.

Mit 30 kam dann der Autoführerschein (und ein toller Fiat Panda) und das Fahrrad war nur noch Sportgerät; das aber sehr intensiv. Urlaub mit Zelt und Auto (war mittlerweile verheiratet und der spartanische 2-Rad-Urlaub war nicht das Ding meiner damaligen Frau...) - oder mit Freunden und Mopped....

Mit 50 kam ich mit meinem besten Freund auf den Motorrädern aus Südfrankreich zurück und wir fuhren durch ein einsames Hochtal im Vercors: da saß ich auf meiner grünen Kawasaki und dachte: "Hier ist es perfekt - das einzige was stört ist das laute Motorrad !" Nach dem Urlaub habe ich meine grüne Ninja verkauft und für das Geld ein neues Reiserennrad aufgebaut: Im nächsten Jahr bin ich wieder durch das Hochtal gefahren - und es hat sich soo gut angefühlt !!! Ein Jahr später habe ich dann auch das Auto verkauft - und seitdem jeden Urlaub mit dem Rad gemacht. Die längste Tour war vom Bodensee den Rhein rauf in die Zentralalpen und dann quer über alle geilen Pässe nach Marseille: In 14 Tagen 20 Päße, 2000km und viele Höhenmeter mit 8kg-Rennrad und Minimalzelt. Vor zwei Wochen habe ich mein neues kleines Leichtzelt eingeweiht - leicht verregnet mit dem Faltrad und Zelt nach Franken (wegen dem guten Bier, den guten Würsten und den tollen Frauen....).

Übrigens: Mein Vater ist jetzt 82 - und hat sich ein neues Rad gekauft: Eins ohne Stange, weil er mittlerweile Probleme hatte, aufzusteigen und eins mit 7-Gang-Nabe, damit er im Dorf den Berg raufkommt (ich habe es mit einem 22er Ritzel noch etwas bergtauglicher getunt !). Ich freue mich schon auf unsere erste gemeinsame kleine Radtour nach 50 Jahren....


Liebe Grüße / Micha