Re: Jakobsweg mal wieder

von: Fricka

Re: Jakobsweg mal wieder - 04.08.12 17:17

26. Tag

Für die spanische Strecke haben wir drei Routenvorschläge. Bikeline, Bruckmanns Radführer und das Jakobsweg-Radreisebuch von Kay Wewior. Bikeline empfiehlt nur im äußersten Notfall unbefestigte Wege und meidet jede auch nur annähernd verkehrsreiche Straße. Das führt dazu, dass die Bikeline-Route häufig in großer Entfernung vom eigentlichen Jakobsweg unterwegs ist, so dass man eigentlich wenig Jakobsweg-Feeling erlebt. Das Radreisebuch schlägt vor, meistens den Jakobsweg zu nehmen und nur wenn der gar nicht befahrbar ist auf Straßen auszuweichen. Der Bruckmann-Führer liegt irgendwo dazwischen. Die gleiche Strecke wird dann manchmal in einem Führer als kaum noch zu meistern und im anderen als „entspannt zu radeln“ eingeschätzt. Zwischen diesen Empfehlungen gilt es nun „unseren“ Weg zu finden. Im Bikeline-Führer ist der Jakobsweg blau eingezeichnet. Im realen Leben mit gelber Farbe geradezu ausgemalt.

Da es Brot auf unserem Platz in Burguete erst ab 11 Uhr gibt, müssen wir uns ohne Frühstück auf den Weg machen. Bald werden wir uns daran gewöhnt haben. Auf dieser ersten Etappe wickelt sich der Fußweg um die Straße, führt mal links ein Stück im Gelände daher, mal rechts, mal die Straße entlang. Meistens hat man ihn im Blick. Heute morgen ist er stark bewandert. Pilger an Pilger bewegt sich dort entlang. Der Weg ist dabei so schmal und so uneben, dass wir keine Veranlassung sehen, uns da einzureihen, sondern die gut ausgebaute, wenig befahrene Straße entlang fahren. Straße und Weg entlang gibt es in kurzen Abständen Rastplätze, Bars, Schnellimbisse, Cola-Automaten, Obststände. Wo eine Nachfrage ist, wird sie anscheinend auch befriedigt. Und an diesen Stellen rasten stets viele Pilger, mit denen man leicht ins Gespräch kommt.

Zunächst einmal geht es über den Puerto de Mesquiriz. 922 m hoch. Dazu müssen wir nicht mehr sehr viel Steigung bewältigen, aber danach geht es tiefer runter, so dass der danach kommende Puerto de Erro mit seiner Höhe von 801 m mehr Aufstieg erfordert. Beide Pässe sind jedenfalls nach dem Ibaneta ein Klacks. Die Landschaft ist schön. Ein bisschen wie in der Schweiz. Auch was die Orte betrifft. Eine nette, erholende Fahrt mit immer neuen schönen Aussichten. Nach der Abfahrt vom Pass machen wir einen kurzen Abstecher nach Zubiri.

Die Straße folgt jetzt dem Rio Arga, so dass wir zwar ständig auf hohe Berge sehen, aber im Tal dazwischen bleiben. Eine nette Abwechslung. Mehrmals sehen wir von weitem Radler mit Ortlieb-Taschen, die aber jeweils in Richtung Fußweg abbiegen. Einmal versuchen wir das auch. Die anderen haben aber MTBs. Für unsere Trekkingräder ist der sehr schmale Weg hier nicht geeignet, so dass wir bei der nächsten Möglichkeit wieder auf die Straße zurückkehren. Wir könnten dem Weg folgen, aber hier keinen Fußgänger überholen.

Auf der Straße überholen uns fleißig spanische Radsportgruppen in einheitlichen Trikots auf Rennrädern. Dabei wenden sie sich uns jeweils zu und rufen ein freundliches Wort, das klingt wie „quaak“. Was meinen sie bloß?

Schließlich findet die idyllische Tour schlagartig ein Ende, als wir in Huarte ankommen. Die Straße mündet in einen höllisch befahrenen Kreisel. Alle Straßen, die davon wegführen, sehen wie Autobahnen aus. Wir hätten uns rechtzeitig vorher auf den Fußweg einfädeln müssen. Das haben wir aber noch nicht gelernt. Immerhin gibt es an dem Kreisel einen Aldi. Das ist schon mal gut. Alle Läden unterwegs hatten geschlossen. Die Zeitfenster für Einkäufe sind denkbar knapp. Die Läden öffnen spät, schließen bald darauf zur Mittagspause und öffnen erst danach wieder. So ca. um 17 Uhr. Da müssen wir uns noch umstellen.

Da wir den Fußweg nun nicht mehr finden, fahren wir auf einer autobahnähnlichen Straße Richtung Centro Ciudad. Wir fragen an einer Tankstelle, ob sich nicht auch ein anderer Weg fände, aber nein, man schickt uns auf die Schnellstraße zurück. Glücklicherweise zweigt von der kurz drauf ein Radweg in Richtung Stadtmitte ab. Wir haben zwar den Eindruck, dass wir immer bergauf die Stadt erst einmal umrunden, um dann von oben wieder zur Stadtmitte runterzufahren. Aber das täuscht bestimmt. Wir kommen irgendwann durch einen Park auf die Kathedrale von Pamplona zu und treffen erst einmal auf die Stierkampfarena. Eine Spanierin im Dirndl bittet uns rein zum Oktoberfest von Paulaner. So kriegen wir wenigstens die Stierkampfarena ohne Stierkampf zu sehen. Zu den nervenzerfetzenden Klängen einer jodelnden spanischen Kapelle.

Durch die wunderschöne Altstadt mit interessanten Fassaden, vielen Bars, jeder Menge Hemingway-Feeling und vielem Schönen mehr kommen wir durch die Estafeta (wo im Juli der Stierlauf stattfindet) auf die Kathedrale zu. Wir parken unsere Räder davor und sehen sie uns an. Wir müssen Eintritt bezahlen. Ein interessantes Gefühl, wenn man als Pilger an eine Kirche kommt und gleich mal abkassiert wird. Immerhin bekommen Pilger Rabatt. Die Kathedrale ist dann auch wunderschön und der zweigeschossige Kreuzgang mit diversen Ausstellungen ist im Preis enthalten. Wir entschuldigen das jetzt also mal und verbringen eine längere Zeit hier.

Wir möchten diese Nacht in der Stadt verbringen und nicht wieder raus auf den Campingplatz. Wer weiß, ob wir durch das Gewirr der vierspurigen Straßen dort hinfinden würden. Also gehen wir zur Touri-Info, um nach einer Übernachtungsmöglichkeit zu gucken. Man empfiehlt uns das Refugio neben der Kathedrale. Na gut, dann probieren wir das jetzt mal aus. Wir sehen wohl inzwischen so aus, als käme ein anderes Zimmer nicht mehr in Frage.

Das Refugio befindet sich in einer ehemaligen Kirche. Man hat eine Zwischendecke und eine Mittelwand eingezogen, die den großen Raum etwas aufteilen. Links und rechts, oben und unten stehen lange Reihen von durchnummerierten Doppelstockbetten. Im Eingang gibt es Fahrradständer, hinten eine Art Waschküche und an mehreren Ecken Waschräume, die ziemlich überflutet aussehen. Auf den meisten Betten liegen schon Rucksäcke mit oder ohne Besitzer. Die anderen Betten füllen sich zügig. Um 22.30 Uhr sollen wir zurück sein. Dann wird die Eingangstür abgeschlossen.

Inzwischen ist es 18 Uhr und wir machen uns auf den Weg in die Altstadt. Lag sie vor einer Stunde noch verlassen da, ist sie jetzt von einem unglaublichen Gedränge erfüllt. Anscheinend ist es Pflicht für alle Einwohner, hier abends zu erscheinen. An den Gassen liegt Bar an Bar. Alle völlig überfüllt. Draußen davor ballen sich die Gäste. An den Tresen wird gedrängelt, um an einen Vino Tinto und ein paar Pintxos zu kommen. Das sieht alles sehr lecker aus, aber wir können anscheinend nicht genug drängeln und vor allem nicht laut genug schreien, um mal an die Reihe zu kommen. Es gibt auch Restauranttische, aber die sind alle besetzt oder reserviert.

Wir beschränken uns also erst einmal auf das Herumbummeln und Zusehen. Das ist spannend genug. Wir kommen auch mal ohne Abendessen aus. In einem Laden kaufen wir uns eine Flasche Rotwein. Die vielen Menschen werden immer fröhlicher, je weiter der Abend fortschreitet. Sie schreien immer lauter. Später fliegen die leeren Flaschen. Das ist leicht gewöhnungsbedürftig. Viele sitzen jetzt auf dem Pflaster. An vielen Ecken wird Musik gemacht. Als wir um 22.15 Uhr Richtung Refugio aufbrechen, ist die Party draußen noch in vollem Gange.

Drinnen ist es mindestens 15 Grad wärmer als draußen und Atemluft Mangelware. Es gibt nur wenige Fenster hoch oben. Die sind offen. Die Außentür wird pünktlich geschlossen. Kurz darauf geht das Licht aus und bald darauf kehrt Ruhe ein. Abgesehen von heftigem vielstimmigen Schnarchen und andauerndem Geniese, Gehüstel und Geschniefe. Schwierige Nachtruhe, aber gut, wir sind müde genug. Es kommt uns so vor, als wären wir gerade eingeschlafen, als um 4 Uhr die ersten Handys ihre Besitzer wachklingeln. Die stehen unverzüglich auf, wühlen raschelnd in ihren Rucksäcken und marschieren irgendwann energisch ab. Ein Vorgang, der sich so lange wiederholt, bis keiner mehr da ist. Um acht Uhr müssen alle raus sein. Wir gehören zu den letzten. Es gibt eigentlich keinen Grund für so einen frühen Aufbruch. Von Mittagshitze ist nicht die Rede. Und die 20 km, die da so im Schnitt gewandert werden, könnte man auch tagsüber unterbringen.