Ukraine-Moldawien Sommer 2013

von: NOTAPIYC

Ukraine-Moldawien Sommer 2013 - 25.02.14 08:46

Hallo zusammen,

seit meinem letztjährigen Rad-Ausflug sind zwar schon ein paar Tage vergangen, aber nun habe ich mich dennoch aufgerafft, dieses schöne Forum hier mit ein paar Zeilen dazu zu bereichern. Nachdem ich im Jahr zuvor (2012) mit meiner ersten größeren Radreise von Lettland nach Berlin Blut geleckt hatte, folgte diesmal der südliche Anschluss: Slowakei-Ukraine-Moldawien-Rumänien. So geht es also Ende August 2013 los:

Der Übersicht halber zunächst eine Karte:



Mit den Ländern des Ostens bisher überwiegend mit Reisen auf der Schiene vertraut, erfolgt die Anreise ins Zielgebiet zunächst ganz klassisch: mit der DB-Bimmelbahn nach Tschechien und dann von Cheb bis ins ostslowakische Kosice mit dem Nachtzug Excelsior. Der Stress in den Regionalzügen der DB wird mit entspannter Abfertigung und Fahrrad im Gepäckwagen in Tschechien ausgeglichen.

Vom Zug geht es dann am Folgetag direkt auf die Straße. Auf Ausfallstraßen zunächst aus dem Stadtzentrum, dann weiter ostwärts über die Dörfer und auf das Nebenstraßennetz. Erstmals navigiere ich komplett digital mit dem Smartphone: OruxMaps mit Karten von Openandromaps, dazu grobe selbsterstellte KML-Overlays (damit ich auf dem kleinen Display meines Telefons nicht den Überblick verliere). Damit ist auch fast jeder Rappelfeldweg unterwegs abgedeckt. Fast. Aber dazu später. Der Verkehr hinter Kosice ist angenehm dünn, nur selten mal ein Auto. Über die Helmpflicht in der Slowakei hatte ich mich im Vorfeld informiert, mich dann aber dagegen entschieden. Grundsätzlich bin ich einem Helm ja aufgeschlossen, aber für mich war bisher einfach noch keiner dabei und überstürzen wollte ich auch nichts. Die Helmpflicht gilt ohnehin ja nur außerorts, was dann auch einleuchtet, denn der meiste Radverkehr auf dem Land findet innerorts statt, und den wollte man wohl nicht unnötig behindern. Nachdem ich die Hügel östlich von Kosice hinter mir gelassen habe, rolle ich dann in zügiger Fahrt über die Theiß-Ebene zur ukrainischen Grenze. Zur Querung dieser habe ich mir den Grenzübergang Velke Slemence ausgesucht, ein für den kleinen Grenzverkehr 2005 eingerichteter Übergang, der seitdem die "Berliner Mauer" der Slowakei durchstößt: der kleine Ort Velke Slemence wird seit 1945 von einem Grenzzaun durchtrennt. Es ist nichts los und ohne großes Aufsehen kann ich mein Fahrrad durch den Grenzübergang schieben. Die Ruhe der slowakischen Seite kontrastiert mit der Buden-Atmosphäre der ukrainischen. In nahezu jedem Garten parkt ein Lada. Schlagartig ändert sich auch die Straßenqualität von Asphalt zu Schlagloch - ein Zustand, der mich über weite Strecken des restlichen Weges begleiten soll. Über einige weitere Nebenstraßenkilometer hopse ich meinem Tagesziel Uzhgorod entgegen.


Nebenstraßen in der Ukraine


Die Theißebene

Am nächsten Tag setze ich zunächst die Fahrt über die Theiß-Ebene fort, um dann bei Mukachevo in eines der Karpatentäler abzubiegen und Richtung Norden in die Berge weiterzufahren. Streckenweise bin ich gezwungen auf dem Seitenstreifen großer Landstraßen zu fahren und der Verkehr rollt kräftig. Ruhigere Abschnitte dazwischen lassen aber dennoch immer wieder Raum für Erholung. Mit Erreichen der beschaulichen Ortschaft Svaljava ist dann das schlimmste geschafft, hier lasse ich die große Passstraße links liegen und folge einem Weg, den ich auf google-maps entdeckt hatte und der windungsreich entlang der Bahn bis nach Volovets führen soll. Dort will ich mein nächstes Quartier suchen. Aus einer Straße wird ein dreckiger Asphaltstreifen, dann eine grobe Schotterpiste, dann nur noch eine Aneinanderreihung zahlreicher Pfützen. Dort, wo der Weg auf meiner Karte endet, steht, wie als Abschluss, noch ein letztes Haus und vom Hundegebell herausgelockt, davor eine Dame. Von ihr kann ich wenigstens die Gewissheit erhalten, dass mich dieser Pfad tatsächlich bis nach Volovets führen wird, der skeptische Blick verheißt jedoch nichts Gutes. Dennoch fahre ich weiter. Die Wegqualität bleibt für einige Kilometer unverändert, teilweise ist der Schotter aber auch so grob, das ich schieben muss. Was sich auf dem Grund der Pfützen befindet, ist stets ein Rätsel. Es folgen sogar noch ein paar weitere einsam gelegene Häuschen, bei denen sich jedoch nichts regt. Richtig spannend wird es dann aber hinter dem Bahnhaltepunkt "Kilometer 1665": vier Furten, unglaublich grottige Wegbeschaffenheit und ein ständiges rauf und runter. Zu Fuß stelle ich mir das hier sehr interessant vor, als ich aber mein Fahrrad und die Packtaschen dann zum vierten Mal über den Fluss trage, will ich einfach nur noch ankommen, denn zusätzlich hat sich nach einem ersten Schauer in Svaljava jetzt Regen breit gemacht und die Dämmerung kündigt sich an. Gedanklich finde ich mich schon mit Zelten ab. Ab Yabluniv dann aber endlich wieder eine, wenn auch unbefestigte Straße und selten war ich über Asphalt so glücklich wie am Ortseingang von Volovets. Die erstbeste Unterkunft ist meine und damit lasse ich es für diesen Tag genug sein.


Durch die Karpaten

Der Regen setzt sich auch am nächsten Tag fort. Da meine Regenausrüstung noch äußerst bescheiden ist, im Wesentlichen habe ich nur einen Poncho dabei, lässt die Aussicht, mit diesem Segel in der Gischt der Lkws herumzuschlingern, mein Herz nicht gerade höher schlagen - so dass ich zum Bahnhof abbiege. Mit dem Zug fahre ich dann, nicht ganz glücklich darüber, durch die schöne Karpatenlandschaft hinunter auf der anderen Bergseite nach Stryj. Von dort aus sind es nur 40 Kilometer bis zu meinem Tagesziel Vyhoda, die ich dann entsprechend ruhig und mit vielen Pausen angehen kann. Pünktlich als ich am Ziel eintrudele, jetzt eben aus nördlicher Richtung, klart es natürlich auch endlich auf.
Von Vyhoda nach Ivano-Frankivsk muss ich abermals lange Abschnitte auf der Landstraße zurückliegen. Nur für die ersten Kilometer kann ich noch das Nebenstraßennetz über die Dörfer nutzen. Das Karpatenvorland ist recht wellig, langgestreckte Steigungen, an denen sich oft räuchernde Lkw-Oldtimer an mir vorbeiquälen, wechseln sich mit ebenso langen Abfahrten ab. Der gute Belag ließ mich aber schnell vorankommen und am frühen Nachmittag rolle ich schon über die Stadtgrenze von Ivano-Frankvisk. Mein Gepäck lasse ich in einem nahezu leeren Hostel am Stadtrand zurück, um dann noch eine kleine Stadtrundfahrt zu unternehmen.


Verblichener Stolz in den Vorkarpaten


Vorstadt von Ivano-Frankivsk

Für die folgenden zwei Abschnitte bis ins nördliche Moldawien war ich mir im Voraus uneinig, wie ich sie am sinnvollsten aufteilen sollte. Schlussendlich entscheide ich mich jedoch, um noch etwas von Chernovitsi mitzunehmen, abermals ein bisschen mit dem Zug zu schummeln und bis Kolomeya abzukürzen. So kann ich an einem Tag die Strecke Ivano-Frankivsk-Chernovitsi zurücklegen und mich dort am Abend auch noch ein bisschen umsehen. Für die Fahrt dort hin kann diesmal glücklicherweise wieder auf viele Nebenstraßen zurückgegriffen werden. Bei der Routenplanung waren stets Brücken über die zahlreichen, die Vorkarpaten durchschneidenden Flüsse maßgebend, die leider sehr spärlich gesät sind. Chernovitsi wird ja gerne auch als das "kleine Lviv" bezeichnet, und diese Bezeichnung ist durchaus gerechtfertigt. Auch das Hostel überzeugt mich, am Abend gibt es Bier und Fussball, Schachtar gegen Metalisk, und nebenbei kann man noch ein paar aktuelle Stimmungen in der Ukraine einfangen. Meine Gesprächspartner würden auch gerne mal mit dem Fahrrad nach Deutschland fahren, aber der dafür nötige Papierkrieg würde einen schon ermüden, bevor man überhaupt einen Kilometer gefahren sei. Dabei geht es gar nicht so sehr um Dinge wie die Annäherung an die EU, sondern viel grundlegender überhaupt erstmal um eine respektvolle Behandlung des Westens gegenüber der Ukraine, schließlich könne man als Bürger desselbigen ja auch ohne Schwierigkeiten und "Nachweis der Rückkehrwilligkeit" hier einreisen. In diesen Tagen ist das ja alles gerade wieder ein topaktuelles Thema.
Die Grenze zu Moldawien will ich am Grenzübergang Criva kreuzen. Die Straße dorthin östlich von Chernovitsi ist zwar auch als dicke Landstraße in der Karte eingezeichnet, Verkehr gibt es aber kaum. Moldawien ist kein Transitland und so fährt dort nur hin, wer unbedingt hin möchte. Auffallend sind an diesem Tag die zahlreichen Hochzeiten in den Dörfern und jede der Hochzeitsgesellschaften versucht die anderen zu übertrumpfen: mit der Anzahl an Nobelautos in der Einfahrt oder mit der Höhe der Lautsprechertürme im Garten, aus denen zeitgenössischer Krach schallt. An einer ganz besonders auffälligen Menschentraube halte auch ich kurz an und werfe bei einer kleinen Pause einen Blick über den Gartenzaun. Was auch immer es zu sehen geben soll, ist aber noch nicht da und lässt sich auch Zeit, so dass ich nach endlicher Zeit weiterfahre. Es wartet ja noch die Grenze. Die moldawische und ukrainische Kontrolle erfolgt in Criva in einer Station - es ist eben nur ein sehr kleiner Übergang. Als Fahrradfahrer wird man, wie ich es bisher überall erlebt habe, direkt nach vorne druchgewunken. Die gesamte Prozedur ist in wenigen Minuten abgewickelt, mit meinem schlechten Russisch will sich hier auch niemand lange aufhalten: harmloser Touri. Anschließend rolle ich also durch Moldawien. Es ist das erstmal, dass ich dieses Land besuche, und so bin ich naturgemäß sehr neugierig. Der Unterschied ist zunächst nur marginal: lateinische Schrift, wenn auch nicht überall, ein paar mehr neue Autos. Moldawien ist ein Agrarland. Über zwei Drittel der Fläche sind landwirtschaftlich genutzt und größere, zusammenhängende Waldgebiete gibt es eigentlich nur in der Mitte. Es ist nicht besonders flach, ganz im Gegenteil, die Hügel sind teils sehr beachtlich, zahlreich, und erstrecken sich über das ganze Land. Ich werde die nächsten Tage viel bergauf und bergab fahren. Nennenswerte Städte außerhalb der Hauptstadt Chisinau gibt es eigentlich kaum, und bis Balti, der zweitgrößte Stadt Moldawiens, werde ich erst morgen schaffen. Für diese Nacht steht also auf jeden Fall Zelten an. Auf einem Hügel, der mir einsam genug erscheint, entschließe ich mich an einer T-Kreuzung, nicht weit von einer Bushaltestelle, hinter ein paar Büschen an einem Feldrand mein Zelt aufzubauen. Ich bin ein absoluter Sonntags-Zelter und das Zelt habe ich auch nur geliehen, eher für den Notfall, aber für eine Nacht wird das schon gehen. Ich verstecke mein Rad ein bisschen und dann krieche ich ins Zelt - und beschließe es nicht wieder zu verlassen. Isomatte oder dergleichen habe ich natürlich auch nicht mitgenommen. Nach einer Stunde fängt es an zu regnen. Nach zwei weiteren Stunden beginnt in der Bushaltestelle eine Party und irgendwann, es ist schon sehr spät, setzen sich die Feierenden, wohl betrunkenen, in ein Auto fahren die paar Meter zu meinem Gebüsch und blenden die Scheinwerfer voll auf - in meinem Zelt wird es taghell. Dann murmeln sie irgendwas und fahren ohne auszusteigen davon - und ich entspanne mich wieder ein bisschen. In der Dämmerung kriech ich aus meinem schäbigen Unterschlupf und packte alles zügig zusammen, froh, endlich weiterfahren zu können. Geschlafen habe ich natürlich nicht sehr viel.

In Edinet ist dann erstmal Zeit für ein Frühstück. Es ist Montag und heute auch Start des neuen Schuljahrs in Moldawien. Überall sind adrett gekleidete Jungen und Mädchen an den Händen ihrer Eltern unterwegs, manchmal auch nur an den Händen größerer Geschwister - zahlreiche moldawische Kinder müssen ohne ihre Eltern auskommen, die auf der Suche nach Arbeit im Rest von Europa unterwegs sind. Zusätzlich sind aber auch viele Polizisten vor Ort, die den Verkehr an Fußgängerüberwegen beobachten oder ihn von Zeit zu Zeit für einen neuen Trupp an Schulkindern unterbrechen. Ich fahre weiter Richtung Süden auf der Nationalstraße M14, einer breit ausgebauten Piste, auf der am Rand viel Platz für mein Fahrrad ist. Auch ist hier der Belag überwiegend recht gut, so dass die Kilometer vorbeifliegen. Schon am Mittag erreiche ich mein Tagesziel Balti.

Das Hostel, welches ich im Internet entdeckt hatte, stellt sich als Studentenwohnheim heraus - kein Thema, denke ich, fragen wir mal ob sie trotzdem ein Zimmer haben. Und tatsächlich: eine Studentin nimmt sich meiner bald an und gemeinsam trotteten wir von Büro zu Büro bis ich schlussendlich einer Dame gegenübersitze, die mir begeistert mitteilt: der Direktor habe zugestimmt! Mein Zimmer befindet sich in der internationalen Sektion des Wohnheims, in der während des Semesters acht Austauschstudenten Platz finden. Es sind noch nicht alle angekommen, so dass diese Nacht noch Platz für mich ist. Die drei, die sich schon eingefunden haben, lerne ich anschließend im Laufe des Abends kennen, und am Abend tauschen wir allerlei Geschichten über Studium, Moldawien, Europa und den Rest der Welt aus - einfach großartig.

Der nächste Tag führt mich in die Hauptstadt Chisinau. Einer der drei des vorangegangenen Abends hat mir die Fahrt über die sogenannte "Betonka" empfohlen, wie die Nationalstraße M14 streckenweise auch genannt wird (dort wo sie noch den Originalbelag besitzt). Auf dem Abschnitt Balti-Chisinau weist sie neben einer landschaftlich schönen Führung auch nur wenig Verkehr auf. Ich überprüfe meine Planung und sehe, dass ich auf diese Straße wieder etwa nach halber Wegstrecke treffen werde - so belasse ich es bei der ursprünglichen Route und verlasse Balti nach Südosten. In Singerei biege ich von der großen Landstraße ab. Von hier an habe ich vor mich über Nebenstraßen bis zur Betonka durchzuschlagen. Durch eine fantastisch weite Landschaft kurve ich über kaum mehr als Feldwege anschließend durch die tiefste moldawische Provinz. Wieder auf einer etwas größeren Straße, halte ich in einer langen Steigung an, um eine kurze Pause einzulegen. Während ich in die Landschaft schaue, kommt ein Bauer mit einem Pferdekarren des Weges, und hält neben mir an: eine Mitfahrt gefällig? Da es ohnehin gerade nur bergauf ging, willige ich ein, lade das Fahrrad in seinen Wagen und nehme neben ihm auf dem Kutschbock Platz. Dann zuckelten wir gemütlich durch die Gegend und versuchen uns so gut es geht zu unterhalten. Als wir vor seinem Haus stoppen, ist die Fahrt aber noch nicht zu Ende: er hat es mir schon auf der Fahrt angekündigt, um eine Einladung in sein Haus werde ich nicht herumkommen - und so lasse ich mich auf seine Gastfreundschaft ein. Eine leckere Mahlzeit, positive Eindrücke und eine Flasche irgendeines selbstgemachten Alkohols reicher setze ich mich gut eine Stunde später aber dann doch wieder auf mein Rad, um dann noch die restliche Strecke bis Chisinau in Angriff zu nehmen, die sich wiederum aus langen Auf- und Abfahrten zusammensetzt. Ein paar Motorrad-Reisende überholen grüßend hupend und sogar ein weiterer Radtourist kommt mir entgegen. In einem sehr versteckten Hostel finde ich einige Stunden später Unterkunft, gerade rechtzeitig mit Sonnenuntergang. Im dunklen und schlecht beleuchteten Chisinau fühlt man sich schon als Fußgänger nicht besonders sich, das muss mit dem Fahrrad nicht unbedingt sein.


Durch die Provinz


Moldawische Landschaft

Es folgt ein Ruhetag. Das Rad bleibt stehen und eher ziellos lasse ich mich zu Fuß und mit dem öffentlichen Verkehr einen Tag lang durch Moldawiens Hauptstadt treiben. Am vorigen Abend habe ich ein paar Polen im Hostel kennengelernt und gemeinsam haben wir uns an den Alkohol des Bauern gemacht. Als ich am späten Nachmittag wieder ins Hostel zurückkehre, sind sie aber bereits weitergefahren. Lesen, Füße hochlegen, einfach mal keine Eindrücke verarbeiten, so sieht der Rest des Tages aus.


Chisinau

Ausgeruht setze ich meine Reise am Folgetag fort. Das Territorium von Moldawien hat zwei Kuriositäten aufzuweisen: die Pridnestrowische Moldauische Republik, gemeinhin auch als Transnistrien bekannt, und Gagausien, die beide schon lange vor dieser Reise meine Neugier geweckt haben. Im Chaos der neunziger Jahre haben beide Landflecken sich von dem neu entstandenen Moldawien unabhängig erklärt und während es gelang den Konflikt in Gagausien mit dem Zugeständnis von umfangreichen Autonomierechten beizulegen, mündete er in Transnistrien in einen Bürgerkrieg. Aus diesem erhob sich ein de-facto-Regime, das es auch über 20 Jahre später noch gibt. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, beiden "Staaten" einen Besuch abzustatten, entschied mich dann aber in Chisinau statt für einen Tagesausflug nach Tiraspol für's Pausieren. So bleibt jetzt aber noch Gagausien auf meiner Route und meine nächste Unterkunft möchte ich mir in Comrat suchen, der Hauptstadt des sehr überschaubaren und zudem auch nichtmal richtig zusammenhängenden Territoriums. Dorthin führt mich überwiegend die M3, eine zunächst als autobahnähnliche Betonpiste beginnende, dann aber mit zunehmendem Abstand zu Chisinau sich immer weiter von dieser Beschreibung entfernenden Straße, die dann bei Porumbrei schlussendlich abrupt ganz endet und in eine ganz normale Landstraße übergeht. Es folgt eine steile Abfahrt mit ordentlichen Schlaglöcher, danach geht es jedoch wieder gemütlicher weiter. Die Bezeichnung M3 wird bei Cimislia dann jedoch nochmals aufgegriffen und am frühen Nachmittag erreiche ich auf ebendieser eine unscheinbare Hügelkuppe, auf welcher ein in Beton gegossener Schriftzug thront: Gagausien! Noch ein paar mal bergauf und bergab, vorbei an Comrats rostiger Bahnanbindung und einer imposanten Industriebrache, dann kommt das Tagesziel in Sicht. Besonders schön ist Comrat nicht und mit knapp 24.000 Einwohnern auch angepasst an die Ausmaße Gagausiens. Die Gagausen sind ein Turk-Volk, und so finden sich zwischen den rumänischen und russischen Schriftzügen hier jetzt auch noch ein paar türkische Schriftzeichen. An der Hauptstraße steht eine Atatürk-Bibliothek, eine Universität, dazwischen Lenin und einer Parallelstraße weiter hinten tatsächlich auch ein kleines Hotel. Hier beschließe ich Quartier zu beziehen.
Von Comrat aus liegen noch zwei Tagesetappen vor mir: einmal bis nach Vulcanesti und von dort das Finale nach Galati. Die Landschaft hat hier verglichen mit dem Norden deutlich an Farbe verloren, die sonst alles bedeckenden Felder machen langsam einer Steppe Platz. Viel Verkehr habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Über Nebenstraßen, immer wieder rein und raus aus dem gagausischen Territorium, fahre ich parallel zur M3 bis Taraclia. Die Dörfer liegen alle unter einer staubigen Schicht. Über lange Strecken sind aber auch hier die Straßen von Wallnussbäumen gesäumt, wie in ganz Moldawien, in denen ich schon in den vergangenen Tagen oft Menschen mit Stöcken herumstochern habe sehen. Nur die fliegenden Obstverkäufer fehlen, gerne würde ich mich gelegentlich nochmal eindecken. Aber wo keiner langfährt, gibt es eben auch nichts zu verdienen. Vulcanesti ist ein besseres Dorf, aber immerhin mit einem ziemlich großen Hotel. Wer da sonst so übernachtet, erschließt sich mir nicht so recht, es liegt auch nicht wirklich direkt hinter der Grenze. Die Ortschaft und die umliegenden Felder bilden eine weitere gagausische Insel und wie in Comrat ist man auch hier Lenin gegenüber freundlich eingestellt: das Denkmal vor dem Rathaus machte einen gepflegten Eindruck.


Im Süden

Dann die letzte Etappe. In der Morgensonne geht es in zügigem Tempo bis Slobozia Male, wo ich wieder auf den Pruth treffe. Unterwegs kaum ein Auto. Nur aus einer Böschung springen plötzlich ein paar Hunde eines Schäfers hervor, wenige Meter weiter verstärkt von einem weiteren Monstrum, wobei nur dessen Trägheit eine Kollision verhindert. Glücklicherweise geht es bergab und so trete ich kräftig in die Pedale um die Viecher abzuhängen, nach einer Weile verlieren sie die Lust und bleiben zurück. Auf moldawischer Seite fällt die Landschaft am Ufer des Pruths sehr steil ab, man kann weit nach Rumänien hineinsehen. Am Horizont erkennt man schon Galati. Meine letzten Meter in Moldawien sind die ersten für ein neues Team: mir entgegen kommen an der Grenzstation zwei frisch eingereiste. Kurz grüßend rollen wir aneinander vorbei, mein Tagesziel Galati jetzt nichtmehr weit. Die Grenzabfertigung geht wieder in wenigen Minuten vonstatten, die Moldawier werfen einen kurzen Blick in einer meiner Taschen, den Rumänen reicht schon die Information, dass ich als Tourist unterwegs bin. Zwischen den beiden Grenzkontrollen überquere ich den Pruth ein letztes Mal, die Donau linkerhand erkennbar. Dann folgt noch eine schnurrgerade Straße ins Stadtzentrum von Galati, et voila, am Ziel!
Noch am gleichen Tag fahre ich von hier mit einem Regionalzug, in dem man widerwillig mein Fahrrad mitnimmt, nach Bukarest. Der Zug ist sehr gut gefüllt, aber wenn andere Leute sich nicht vom Einladen von Koffern abhalten lassen, in denen man bequem einen ganzen Hausstand transportieren kann, dann passt sicher auch noch ein Fahrrad rein. Leider lässt es sich nirgendwo festschließen, aber dennoch geht alles gut. In Bukarest gönne ich mir einen kleinen Stadtrundgang im Dunkeln und ein paar Stunden Schlaf in einem Hostel, bevor ich mich dann in den frühen Morgenstunden zum Busbahnhof Rashani begab. Für die Rückreise habe ich den Bus gewählt: billig, zeitlich vertretbar und unkomplizierter Fahrradtransport waren die Argumente. Von Bukarest aus verkehren täglich mehrere Linienbusse der Gesellschaft Atlassib nach Westeuropa, zugeschnitten hauptsächlich auf das Gastarbeiterpublikum, und teilweise verkehren diese auch mit einem Anhänger. Nichts muss zerlegt oder verpackt werden, lediglich 30 Stunden Busfahrt muss man ertragen können. Etwas krass die Kontraste: zwischen den moldawischen Dörfern und bayrischen Autobahnraststätten liegen Welten. Die Begegnung mit einer deutschen Schulklasse auf Klassenfahrt auf selbiger hatte plötzlich etwas außerordentlich surreales - uns geht es schon ziemlich gut. Etwas zermürbt aber am Leben erreiche ich am Vormittag des Folgetages wieder meinen Ausgangspunkt. Tolle Tour!

Grüße,

Andi